Die Stadt Venedig feiert ihr 1600-jähriges Bestehen – pandemiebedingt in aller Stille. Eine ihrer vielen Attraktionen sind die Mosaiken am Markusdom, die bis heute in der Stadt gefertigt werden
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23.03.2021
Wenn am 25. März 2021 die Stadt Venedig ihr 1600-jähriges Bestehen feiert, werden alle Kirchenglocken der Lagunenstadt läuten. Ansonsten wird das Jubiläum am legendären Gründungstag zu Mariä Verkündigung eher still vonstattengehen, da pandemiebedingt wieder eine ‚zona rossa‘ ausgerufen wurde, was Besucher außerhalb der Stadtgrenzen zurückhält. Für diejenigen, die in Venedig leben, bietet die erneute Zwangspause die Möglichkeit, die architektonische Pracht und Monumentalität der einstigen Seerepublik ungestört zu erleben. So hat man vom menschenleeren Markusplatz einen großartigen Blick auf die Westfassade des Markusdomes, wenn die Sonnenstrahlen das mittelalterliche Mosaik an der Porta di Sant’Alipio zum Leuchten bringen.
Erzählt wird hier die Geschichte von der Überlieferung der Gebeine des Heiligen Markus im 9. Jahrhundert, gezeigt wird die Gestalt der Basilika zur Entstehung des Mosaiks, als sie noch frei war von späteren gotischen Verzierungen und Dekor durch Beutegüter wie die berühmten bronzenen Pferde aus Byzanz. Als die ersten Seeveneter im 5. Jahrhundert vom Festland in der Nordlagune siedelten, war diese grandezza freilich noch nicht vorhanden. Spätere Quellen berichten, dass die Lagunenbewohner – damals noch Teil der römischen Provinz Venetia-Histria – in Hütten wohnten, die den Nestern von Seevögeln glichen.
Erst im 11. Jahrhundert, als die Dogenrepublik bereits autonom konstituiert war, wurde der heutige Markusdom unter dem Dogen Domenico Contarini errichtet, der in späteren Jahrhunderten immer wieder Umgestaltungen erfahren hat. Die Ausstattung mit Mosaiken nach byzantinischem Vorbild, also die ornamentale und figürliche Gestaltung mit goldenen und bunten Glaswürfeln auf nassem Mörtel oder Kitt, zog sich bis ins 18. Jahrhundert. Seither werden die tesserae, die handgefertigten Mosaiksteine, gepflegt, restauriert und bisweilen ersetzt.
Die Produktion des berühmten Goldmosaiks oro di San Marco liegt heute in der Hand eines Unternehmers aus Vicenza. Riccardo Bisazza hat vor einigen Jahren die Leitung der im 19. Jahrhundert gegründeten Mosaikmanufaktur ‚Orsoni 1888‘ übernommen. Im Cannaregio-Viertel, hinter hohen Mauern versteckt, liegt die einzige Glashütte, die weiterhin berechtigt ist, im historischen Zentrum in Venedig mit offenem Feuer zu arbeiten.
Im Farblager, das der venezianische Maler Virgilio Guidi die biblioteca del colore, also Farbbibliothek, taufte, lagern rund 3500 Glasplatten mit verschiedenen Farbschattierungen, darunter rund zwanzig verschiedene Gold- und Silberschattierungen. Das berühmte ‚Markusgold‘ ist nicht darunter, denn es wird exklusiv für den Markusdom hergestellt. Die Besucher der Manufaktur – zweimal im Monat öffnet Orsoni seine Pforten – können erleben, wie auf blaue Glasplatten feinstes Blattgold aufgelegt und mit hauchdünnem Kristallglas sandwichartig ‚eingeschweißt‘ wird.
Die fertigen Platten werden dann von Hand zugeschnitten und es ist faszinierend zu sehen, wie die Mosaikplättchen zart abgeklopft und in Säckchen verstaut werden. Das Markusgold erfährt eine aufwändigere Verarbeitung: der ‚battiloro‘, der Goldschläger, bearbeitet das 24-karätige Gold sechs Stunden lang, also rund drei Stunden länger als das herkömmliche Blattgold. So entsteht eine zartere Textur, die eine größere Tiefe evoziert. Auch wird das Blattgold für den Markusdom nicht in blaues, sondern bernsteinfarbenes Glas gepresst, das auf eine stärkere Tiefenwirkung zielt. Betrachtet man die Glasblätter nebeneinander, so besticht das ‚Markusgold‘ durch seine filigrane und antikisierende Aura, die der Zeit entrückt zu sein scheint.
Es ist tröstlich, dass diese jahrtausendalte Handwerkskunst bis heute gepflegt wird, denn aufgrund des wiederholten Extremhochwassers – das seit Herbst/Winter 2020 mit der testweisen Inbetriebnahme des mobilen Deichsystems MOSE seltener geworden ist – bilden sich oben in den Markuskuppeln rosettenartige Salzblüten um die Mosaiksteinchen, die langsam zersetzt werden. Die jahrtausendalte Bausubstanz der Löwenrepublik muss daher behutsam erneuert werden, im besten Fall mit adäquatem, nach alter Art hergestelltem Ersatz.