Aus unserer Reihe „Fund meines Lebens“: Die Direktorin des Museum Rietberg in Zürich Annette Bhagwati entdeckte den richtungsweisenden Wert einer Skizze aus vorkolonialer Zeit in Benin
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31.03.2021
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 5
Kurz nachdem ich 2019 mein Amt als Direktorin des Museums Rietberg in Zürich angetreten hatte, nahm ich an einer Kuratoriumssitzung teil, bei der mögliche Ankäufe diskutiert wurden. Ich traute meinen Augen kaum, als als Erstes ein Blatt von 1823 vorgestellt wurde mit dem Titel „Sketch of the Burying Place of a King of Benin“. Das Blatt wird dem Ingenieur und Archäologen Giovanni Battista Belzoni (1778 – 1823) zugeschrieben und sollte nur wenige Tage später zur Auktion kommen. Die Skizze zeigt einen königlichen Ahnenschrein in Benin-City, im heutigen Nigeria. Der Altar versammelt – beeindruckend inszeniert – die bedeutendsten Gelbgussobjekte und Schnitzereien aus den höfischen Werkstätten eines Königs von Benin. Ins Auge fallen vor allem die geschnitzten Elfenbeinzähne auf Gedenkköpfen, von denen etliche im Zuge der Strafexpedition der Briten 1897 nach Europa gelangten. Die Zeichnung war prägend für mich, ich kannte sie bis dahin jedoch nur aus der Forschungsliteratur.
Das Blatt hat einen immensen kunsthistorischen Wert. Es ist praktisch das einzige Zeugnis der vorkolonialen Zeit, auf dem die berühmte höfische Kunst Benins in ihrem ursprünglichen Präsentationszusammenhang zu sehen ist. Die Objekte dienten der Ahnenverehrung. Das sorgfältige Arrangement auf einem Podest (Altar) wiederum weckt Assoziationen mit musealen Ausstellungskonventionen und ist ein Hinweis darauf, dass die Objekte auch vor Ort als eigenständige Kunstwerke wertgeschätzt wurden. Die europäisch anmutenden Hüte der beiden Boten links des Schreins erinnern an die jahrhundertealten vorkolonialen Handelsbeziehungen zwischen Afrika und Europa, und daran, wie diese Beziehungen mit der Gewaltherrschaft der Kolonialzeit endeten.
Das Museum Rietberg konnte die Skizze mit Mitteln des Rietberg-Kreises erwerben. Sie befindet sich derzeit im Depot, soll aber in die Dauerausstellung von Werken der höfischen Kunst Benins aufgenommen werden.
Das Blatt hat mich darin bestärkt, wie wichtig es ist, bei der Präsentation nichtwestlicher Kunst in einem westlichen Museum auch den lokalen Ausstellungskontext sichtbar zu machen. Nur so lässt sich nachvollziehen, wofür ein Werk ursprünglich gedacht und wertgeschätzt war und wie es gesehen wurde. Weiterhin ist es eine Aufforderung, sich aktiv mit der Provenienzgeschichte der Kunst Afrikas und ihren kolonialen Verflechtungen auseinanderzusetzen.