Die Künstler des Manifests „Preparing for Darkness“ wie Adrian Ghenie oder Nicola Samorì möchten in ihrer Malerei der heutigen Zeit mit Melancholie begegnen
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10.03.2021
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 3
Ein künstlerisches Manifest sorgt derzeit für Furore: „Preparing for Darkness“ – ein bemerkenswertes Pamphlet, das einen Diskurs über die Inhalte einer Malerei anstoßen will, die der heutigen Zeit gerecht wird – einer Zeit, ähnlich der vor 100 Jahren, als die spanische Grippe in Europa wütete und Maler wie Egon Schiele und Edvard Munch für die damalige Avantgarde Akzente setzten. „Die intensive Betrachtung eines Kunstwerks ist in den Bedürfnissen eines existentiellen Charakters verankert“, meint auch Antonio Michele Coppola, der größte italienische Sammler zeitgenössischer Kunst: „Fragen tauchen auf, die unlösbar sind, man stellt sich den großen Themen des Lebens, intellektuelle Prozesse entwickeln sich, Neugierde und Staunen werden einfach erweckt.“ Und dementsprechend will auch das Manifest einen Schlussstrich ziehen unter die Diversität der Stile, Zitate und Andeutungen, will den postmodernen Schwebezustand der letzten Jahrzehnte beenden, einer Kunst den Garaus machen, die sich immerwährend nur auf sich selbst bezieht – wie Uwe Goldenstein in einer kürzlich vorgelegten Publikation zum Thema aus der Selected Artists Edition betont. Die Befreiung der Kunst habe bereits vor Langem stattgefunden, beispielsweise im „Informel“ – irgendwann werde die Freiheit des Ausdrucks dann aber einfach zur leeren Hülle, der Gefühlstransfer in der Kunst nur mehr zum bloßen Zeichen.
Folgt man ihm in dieser Ansicht, ist alles Ähnliche, was Künstler später auf die Leinwand brachten, nichts weiter als bloße Attitüde. Und wo er recht hat: Selbstverständlich landet eine Malerei, die sich immer nur auf bereits vorhandene Kunstströmungen bezieht, wie selbstverständlich in einer Endlosschleife – die Inhalte dünnen sich aus …
Wie vollzieht sich nun aber ein genereller Richtungswechsel in der Malerei? Goldenstein meint, das magisch anmutende Erlebnis vor dem Bild solle nun wieder in den Vordergrund rücken. Und zahlreiche Künstler – allesamt Kinder der Siebziger- und Achtzigerjahre – sehen das genauso: Sie möchten der heutigen Zeit – in der die Welt gegen eine Pandemie mit hoher Sterblichkeit ankämpft, in der die Erde bei abnehmender Artenvielfalt einer Klimakatastrophe entgegengeht, in der vielerorts die politischen und gesellschaftlichen Strukturen erodieren – mit Melancholie begegnen.
KUNST UND AUKTIONEN hat mit den Protagonisten von „Preparing for Darkness“ über die Herausforderungen einer Malerei gesprochen, die der Gegenwart gerecht werden kann: mit Teodora Axente, Radu Belcin, Adrian Ghenie, Flavia Pitis und Nicola Samori. Ein zweiter Artikel zum Thema soll dann zeigen, dass die fünf Künstler aus Rumänien und Italien nicht alleine dastehen, sondern Teil einer gesamteuropäischen Bewegung sind.
Teodora Axente (*1984 in Sibiu/Rumänien)
Die Arbeiten Teodora Axentes widmen sich der Dualität von Geist und Materie – zwei Sphären der Existenz, zwischen denen sich der Mensch, hin- und herpendelnd, zu entdecken versucht. „Das Geheimnis meiner Figuren wird durch die Kostüme aus ungewöhnlichen Materialien noch verstärkt, die sie in eine edle, aber beunruhigende Welt entführen“, sagt die heute in Cluj lebende Künstlerin. „Aluminiumfolie, Pappe, transparente Folie oder Details der Mensch-Tier-Metamorphose versetzen uns in eine Welt des Fantastischen.“
2011, als Axente den „Essl Art Award“ erhielt, wurde sie einem internationalen Publikum bekannt. Im Handel wird sie unter anderem durch die Galerie Rosenfeld (London) vertreten. „Ich denke, dass das Auge immer von der äußerlichen Helligkeit des Objekts angezogen wird. Es ist wie ein Magnet, der uns veranlasst, uns zu nähern, zu analysieren und in die Tiefe zu gehen, um herauszufinden, was jenseits des äußeren Aspekts dieser Sache liegen könnte“, sagt sie.
Radu Belcin (*1978 in Brașov / Rumänien)
Wie kaum ein anderer Maler seiner Generation beherrscht Radu Belcin die virtuose Malerei im Stile eines Caravaggio, Rembrandt, Zurbarán oder Velázquez. Und so ist es wenig verwunderlich, dass sich seit geraumer Zeit die größten internationalen Sammler und Institutionen für sein Werk interessieren. Aber das Angebot ist rar und die Zeit der moderaten Preise könnte bald schon vorbei sein. Noch wird der Künstler unter anderem durch die Selected Artists Gallery (Berlin) und Valérie Delaunay (Paris) vertreten – jedoch laufen bereits Vorgespräche mit einer großen Londoner Galerie, die seine Position übernehmen will.
„Ich sehe Dunkelheit als einen Ort, der in den Tiefen von uns verborgen liegt, und es erfordert Mut, so tief in den Abgrund unseres Seins hinab- zusteigen, wo alle möglichen Dinge gesehen und gefühlt werden können“, so der mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Künstler. „Diese Erfahrung steht nur für Seelen bereit, die sich wundern – die Fragen stellen und sich trauen zu suchen, ganz gleich, was sie finden. Die Dualität des Geistes, die Dinge oberflächlich in gut und schlecht trennt, gehört nicht hierher.“
Adrian Ghenie (*1977 in Baia Mare/Rumänien)
Adrian Ghenie untersucht und unterläuft in seiner Malerei historische und künstlerische Narrative. Seine Gemälde, die oft auf menschliche Erfahrungen und Ideen des kollektiven Unbewussten zurückgreifen, zielen darauf ab, Gefühle von Verletzlichkeit, Frustration oder Sehnsucht freizulegen. Dabei rückt der Künstler häufig toxische Persönlichkeiten aus seiner Heimat Rumänien ins Bild, die er größtenteils aus Quellen des 20. Jahrhunderts entnimmt. Diese historischen Figuren erscheinen in seinen Bildern oft im Stile filmischer / fotografischer Vignetten in gespenstischen Interieurs.
Heute – nicht zuletzt durch seine Teilnahme an der Venedig-Biennale von 2015 mit „The Darwin Room“, einer Referenz an Rembrandts „Der Philosoph“ (1632) – zählt Ghenie zu den bedeutendsten Malern unserer Zeit. Der Künstler verbindet und erweitert historische Techniken: Er beherrscht das barocke Helldunkel ebenso wie den gestischen Farbauftrag – wie übrigens die allermeisten Künstler der Bewegung. Auf Auktionen erzielen Ghenies Gemälde heute regelmäßig Zuschläge im Millionenbereich. Er wird unter anderem durch die Galerie Thaddaeus Ropac (Salzburg, London, Paris) vertreten.
Flavia Pitis (*1979 in Făgăraș / Rumänien)
„Bilder zu schaffen, die das Alltägliche, Gewöhnliche mit dem Ewigen verbinden, ist das, was ich in meinen Arbeiten suche“, so die frühere Studentin der National University of Fine Arts „Nicolae Grigorescu“ in Bukarest (1997–2002), die 2004 ein Forschungsstipendium zur Bildtheorie in Florenz absolvierte. „Ich extrahiere symbolische Bilder direkt aus dem Kern der Realität, indem ich sie auf metaphorische Weise übersetze. Dabei bin ich mehr daran interessiert zu hinterfragen, was vor unseren Augen verborgen ist, als das Sichtbare darzustellen.“
Pitis’ hyperrealistische, zum Teil auch gefaltete Leinwände sind derzeit noch ein Geheimtipp für ambitionierte Sammler und Institutionen. In gewisser Weise versucht die Künstlerin – wie sie selbst sagt – die Lücken der Wahrnehmung, die mit den Sinnen per se nicht fassbare Natur der Dinge zu „ermalen“. Aus einem generellen Zustand des Zweifelns – dem natürlichen Verlangen, zu erklären, zu wissen, zu verstehen und zu fühlen –, folge eine Neigung zur Kontemplation, zur melancholischen Wiederbelebung der Träume, so die Künstlerin. Pitis wird unter anderem durch die Selected Artists Gallery (Berlin) sowie Valérie Delaunay (Paris) vertreten.
Nicola Samorì (* 1977 Forlì / Italien)
„Es gibt eine Unterdrückung der Bildsprache, da Malerei eine Tätigkeit ist, die schmutzig, erotisch, grob und unausrottbar ist“, so der Absolvent der Kunstakademie in Bologna. „Ich mache keine Videos und ich mache keine Fotos, aber wenn ich es täte, würde ich in Angst leben, dass eines Tages die Mittel, mit denen ich Bilder machen kann, verschwinden oder kaputtgehen könnten. Eine Sache, die eine Steckdose braucht, ist fragiler als eine, die am Handgelenk befestigt ist“, meint Samorì, dessen Werke sich oft auf die italienische Malerei des 17. Jahrhunderts beziehen. In all seinen Arbeiten negiert der Künstler klassische Formen der Repräsentation, indem er auf die Materialität und Künstlichkeit der Bilder fokussiert.
Mittlerweile ziehen die Preise für Samorìs Gemälde auf Auktionen an. Der Künstler wird durch die Galerie Eigen + Art (Berlin, Leipzig) vertreten. Hin und wieder bietet auch Selected Artists (Berlin) Werke von ihm aus Privatsammlungen an.