Ein Gespräch mit dem Künstler Leszek Skurski über das Malen mit Zement, den polnischen Witz und den ewigen Kampf zwischen Figuration und Abstraktion
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11.04.2021
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 5
Bereits 1995 wurde der aus Danzig stammende Leszek Skurski mit dem „Nationalen Staatspreis für Malerei in Polen“ ausgezeichnet, damals gerade einmal 22 Jahre alt. Der heute überwiegend in Fulda lebende Künstler ist vor allem durch seine reduzierten Figurenkompositionen bekannt geworden, die bereits in zahlreichen internationalen Ausstellungen zu sehen waren. Seine Werke befinden sich in großen Museen und privaten Sammlungen – beispielsweise in der Kollektion der BMW-Erben Quandt oder beim Comedy-Star Dieter Nuhr. Die Zeit der Covid-19-Pandemie betrachtet der 48-Jährige als Gelegenheit, seine Malerei auf den Prüfstand zu stellen. Unser Autor Sebastian C. Strenger hat mit Skurski in seinem Atelier auf Mallorca gesprochen.
Du meinst mit Corona? Nun, bei mir ist die Phase der Experimente angebrochen. Klassische Malmittel wie Acrylfarben, Öl oder Ölkreide ersetze ich gerade durch Erde, Beton, Zement etc. Und da Erde, Wasser, Sand hier auf Mallorca eine andere Beschaffenheit haben als in Süddeutschland, befinde ich mich gerade in einem spannenden Prozess. Die Farbverläufe und pastosen Stellen in meinen Bildern sind durch den Einsatz dieser Materialien mehr denn je von der Natur bestimmt. Aber nicht nur der Mix ändert sich – auch die Motive. Ich habe beispielsweise begonnen, alle „Calas“ (span. Buchten) hier zu malen, wie es vor mir schon Miquel Barceló getan hat. Er lebt übrigens fast nebenan …
Viele Menschen glauben, dass meine Bilder einfach sind. Dabei brauche ich den überwiegenden Teil meiner Zeit, um Ideen zu sammeln. Denn wenn ich mich entscheide, ein bestimmtes Bild zu malen, dann steckt darin immer auch eine Art Witz. Und das Paradoxe ist: Je einfacher ein Bild zu malen ist, desto mehr Zeit benötigt die gedankliche Entwicklung. Ich könnte verschiedene Skizzen fertigen, um mir die Umsetzung zu vergegenwärtigen – aber das macht mir keinen Spaß. Kurzum: Es ist supereinfach, sich während des Malens in eine produktive Phase zu versetzen, aber das ist eigentlich nur die Spitze des Eisbergs.
Wenn mich etwas berührt hat, dann versuche ich, dieses Gefühl in ein Bild hineinzuvermitteln. Dabei habe ich mir eine ganz klare Voraussetzung geschaffen, nämlich dass meine Bilder zu über 90 Prozent weiß sein sollen. Mit Absicht habe ich immer mal wieder auch ein buntes Bild gemalt. Das sehe ich als meine künstlerische Freiheit an. Aber an sich gilt: je weniger, desto besser – das ist natürlich nicht unbedingt einfacher. Wenn ich auf meine Bilder der vergangenen zehn Jahre schaue, stelle ich so zwar eine Kontinuität fest, aber die löst bei mir bis heute keine Langeweile aus. Allerdings habe ich mir fest vorgenommen, wenn ich eines Tages aufstehe und ich mag meine eigenen Bilder nicht mehr sehen – oder ich habe nichts mehr zu sagen –, dann höre ich sofort mit dem Ganzen auf!
Genau. Ich liebe es nun mal, zu malen. Aber das ist dann auch die größte Gefahr für einen Maler – in den Prozess des Malens verliebt zu sein. Denn das bedeutet oft auch, mit einem Bild nicht fertig zu werden. Eigentlich ist das bei mir sogar fast immer so! Ich zerstöre auch ganz viele meiner Bilder …
Ich male drei bis vier Tage an einem Mittelformat. Und dann kommt der Moment der Entscheidung. Entweder stelle ich es erst einmal in die Ecke. Dann muss es in mir reifen. Manchmal schaue ich erst nach ein paar Monaten wieder drauf, manchmal erst nach Jahren. Aber es gibt eben auch Bilder, bei denen ich sofort weiß, dass das Mist ist! Neulich habe ich versucht, anders zu malen, indem ich eine Frau darstellte, die an der Badewanne saß. Ich fand die Atmosphäre, die ich mir da ausgedacht hatte, eigentlich ganz cool. Und ich war noch nicht fertig, da war es bereits um das Bild geschehen …
Meine Bilder sind visuelle Verarsche! Die Figuren da sind ja gar nicht richtig gemalt, aber sie wirken wie richtige Menschen. Je näher man herantritt, desto klarer wird einem allerdings, dass es sich um abstrakte Arbeiten handelt. Beim neulich entstandenen „Way Out“ beispielsweise sind die Personen zwar mit Grafit vorgemalt, aber die Farbe – Acryl – füllt die Formen nur bedingt aus, denn die Akzente sind nur fragmentarisch gesetzt.
Es geht in meinen Werken ja immer auch um das Thema Reduktion. Also: Wie viel Reduktion verträgt eine Figur – egal ob beim Radfahren, Laufen oder Auf-der-Toilette-Sitzen –, um in den Körper noch Dynamik reinzubringen? Es ist verblüffend, denn oft gehe ich in Gedanken erst einmal drei Schritte zu weit. Da bin ich manchmal so radikal, dass ich denke, ich könnte doch eigentlich nur noch schwarze Punkte setzen – denn diese schwarzen Punkte könnten aus meiner Sicht ja das Gleiche bedeuten.
Ja. Es ist immer der Grat zwischen Figuration und Abstraktion, auf dem ich wandle. Es geht also immer darum, es genau so hinzubekommen, dass der imaginäre Betrachter das Motiv gerade noch zusammengesetzt bekommt, also mit seinem Blick kompensieren kann.
Genau darum, dieses Thema auszureizen! Irgendwo musst du dich ja dranhängen, denn ich könnte eigentlich alles malen, von fotorealistisch bis altmeisterlich. Das wäre mit meiner akademischen Ausbildung vom Handwerklichen her gar kein Problem.
Manchmal gehe ich mit meinen Ideen von links nach rechts. Mal gibt es Ideen, die mich mehr überzeugen, dann wieder welche, die mich weniger überzeugen. Aber im Kern versuche ich, immer eine Spannung zu finden. Und dann geht es darum, diese Spannung auch auszureizen. Manchmal geht es mir auch um die Schwelle, bei der es anfängt, kitschig zu werden. Das reizt mich total! Denn die Malerei als Medium an sich fängt ja in unserem Zeitalter bereits an, kitschig zu sein.
Als ich in der Kunstakademie gearbeitet habe, war ich zuletzt als Assistent für Zeichnung tätig. Aber heute würde ich sagen, ich bin durch und durch Maler. Ich arbeite mit dem Fleck! Und eben nicht mit dem Strich, wie der Zeichner.
Nein, an sich nicht. Aber es ist genauso wie im All: Da spricht man auch von „oben“ und „unten“, obwohl es dort „oben“ und „unten“ faktisch nicht gibt! Aber du musst dich einfach selbst verorten. Und ich versuche eben, Probleme in der Malerei zu lösen. Mein Bild „Polish Riot“ beispielsweise stellt eine Hommage an meine Solidarność-Zeit dar – ist also politisch aufgeladen und enthält durch ein Weinrot auch einen Tick Farbe im Banner. Und daher verliert es sich auch nicht in einer zerstreuten Gruppe von Figuren auf einer weißen Leinwand, bei der es um gesellschaftliche Interaktion ginge.
Ich bin ja davon abhängig, dass Menschen meine Bilder sehen möchten. Aber wäre das nicht der Fall, würde ich trotzdem malen. Denn ich bin süchtig! Aufmerksamkeit verschafft mir beispielsweise, wenn ein Betrachter etwas in ein Bild hineinsehen möchte – weil er so ist, wie er ist. Der Effekt tritt vor allem dann zutage, wenn man sich an meine Figuren gewöhnt, die Sprache meiner Malerei bereits kennengelernt hat – wenn also der reduzierte Duktus akzeptiert und verstanden wurde. Ich nutze dieses Besucherverhalten für meine Ausstellungen, indem ich „offene“ Bilder zwischen andere hänge. Ich selbst empfinde mich aber vor allem als Dokumentar …
Ich denke in Bildern. Ich speichere auch während eines Films bestimmte Stills ab, die ich dann häufig – und sehr gerne – auf die Leinwand bringe. Mein Bild „Visitation“ beispielsweise gehört dieser Werkgruppe an. Allerdings gestatte ich mir keine Bilder, die meine Kunst beschreibbar werden ließen – denn ich will nicht, dass es am Ende heißt: Der Herr Skurski malt Bilder aus Tarantino-Filmen. Aber der Film als Genre gehört zu meinem Leben. Er ist ein Teil davon und so sind, wenn man so will, auch meine Film-Stills autobiografisch.
Die Titel entstehen sehr oft beim Malen – quasi als Eselsbrücke für mich. Aber es sind meistens gar keine Titel, sondern Namen! Ich höre beim Malen häufig Hörbücher oder lasse eine Serie zum 20. Mal laufen. Mir geht es darum, irgendetwas im Hintergrund zu haben – Input, der mich ablenkt. Denn wenn ich mich zu sehr auf ein Bild konzentriere, dann enge ich mich auch ein.
Um Gottes Willen: nein! Ich sage bereits seit 25 Jahren, das Malen ist nichts Therapeutisches: Es ist auch kein Ritual – sondern ein Job. Wobei: Ich bin mir plötzlich nicht mehr so ganz sicher … Ich kann nicht leben ohne zu malen. Ist Liebe therapeutisch? Dann ist es wahrscheinlich auch das Malen.
Pro Jahr entstehen 50 bis 80 Bilder. Sowohl kleine Formate, aber auch bis zu 2 mal 3 Meter große. Ich arbeite schnell, wenn das Motiv klar ist. Früher bin ich ganz anders vorgegangen. Damals sind Bilder noch entstanden, während ich gearbeitet habe. Das war natürlich – gerade für mich – eine Riesengefahr, da ich beim Malen immer wieder etwas Neues entdeckt habe, das ich besser machen wollte – und dabei habe ich mich oft auch verloren. An manchen Bildern habe ich dann sechs bis acht Monate gesessen. Und durch den stetigen Farbauftrag wurden die Arbeiten letztlich auch sehr pastos. Die heutigen Bilder bilden dazu einen Kontrast. Mein Duktus ist heute fast performativ. Das kann ich aber auch nur so machen, weil ich meinem inneren Bild folge.
Ich muss sehr viel laufen. Ich trete während des Entstehungsprozesses immer wieder vom Bild zurück, mindestens drei Meter. Meine Maximaldistanz im Atelier sind zehn Meter – und die nutze ich auch aus. Ich muss immer Schritte zurücklegen, um das Visuelle in der mir typischen Art hinzubekommen. Zu nah zu stehen bedeutet oft, dass das Sujet zu genau gemalt wird, und ohne vor- und zurückzugehen, könnte ich den Abstraktionsgrad nicht kontrollieren. Außerdem soll das Bild ja auch sehr frisch gemacht wirken – so mal eben hingemalt. Dennoch gibt es oft übermalte und dann wieder freigelegte Stellen. Niemand ahnt, wie oft ich eine Person überarbeitet habe, denn am Ende sieht es so aus, als hätte ich das eben mal in ein paar Sekunden hinbekommen.
Nur als Kontrastmittel. Manchmal aber auch, um den Farbauftrag, der partiell durchaus mal pastoser sein kann, zu brechen. Es ist eigentlich wie in der Musik: Du hast einen Bass und dir fehlen für das große Ganze noch die hohen Töne. Dabei kommt dann der Strich zum Einsatz …
Vielleicht bin ich ja doch auch Zeichner! (gemeinsames Gelächter)