Wer die Museen und Schlösser Münchens einmal aus einer neuen Perspektive erleben will, sollte sich auf einen Streifzug durch die Möbelgeschichte begeben. Denn zu allen Zeiten begeisterte sich die Geschmackselite der bayerischen Hauptstadt für exquisites Wohnen
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12.04.2021
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Weltkunst Nr. 177
Selbst kunstbeflissene Münchner wissen es meist nicht, und auch unter den Touristen, die eigens wegen der Kunstschätze anreisen, haben nicht viele dieses Thema im Sinn: München ist eine Möbelstadt. Es lohnt sich sehr, die Museen und Schlösser der Stadt einmal mit diesem Fokus zu durchwandern. Das typische Münchner Möbel gibt es natürlich nicht. Aber zu einigen Zeiten – vor allem in der Renaissance unter Maximilian, der zum Kurfürsten aufstieg, im Rokoko mit den Schöpfungen Cuvilliés’ unter Karl Albrecht, im Biedermeier und zuletzt im Jugendstil – zeichneten die Möbel, die hier entstanden oder hier geschätzt wurden, doch eine besondere Note aus. Wo kann man sie sehen?
Besonders viele hochkarätige Stücke haben sich im Residenzmuseum erhalten, darum beginnen wir in dem weitläufigen Schloss mit unserem Streifzug durch die Möbelkunst. Hier im Herzen der Stadt lebten und residierten die Wittelsbacher von 1508 bis 1918, erst als Herzöge, dann als Kurfürsten und ab 1806 als Könige von Bayern. Uns zieht es zunächst ins Antiquarium. Herzog Albrecht V. ließ diesen spektakulären Saal 1568 bis 1571 mit der seinerzeit gewaltigsten Tonnendecke nördlich der Alpen für seine Sammlung antiker Skulpturen errichten. Unter den Nachfolgern Wilhelm V. und Maximilian I. wurde der 66 Meter lange Raum zu einem Fest- und Bankettsaal umgewidmet. Für die öffentlich zelebrierten Fürstentafeln ließ der Hofkunstintendant Friedrich Sustris auf der Estrade um 1590/1600 zu beiden Seiten zwei Kredenzen einbauen. Die wuchtigen, in geometrischen Schmuckfeldern gegliederten Nussbaumanrichten mit geschnitzten Ceres- und Bacchus-Häuptern auf den Türen und ihren getreppten Aufbauten dienten als Schaubuffets für das prächtige Majolika-Service, das Wilhelm V. 1576 in Faenza in Auftrag gab.
Die Besucher können die zahllosen Säle und Kabinette der Residenz leider nicht mehr in chronologischer Abfolge durchwandern. Wir verlassen deshalb den offiziellen Rundgang, um der Entwicklung der Möbelkunst zu folgen. Herzog Maximilian, seit 1598 an der Macht, ließ im Hinblick auf die Kurwürde, die er 1623 erlangte, seit 1611 den Kaiserhoftrakt errichten und in dessen Westflügel die Raumflucht der sieben sogenannten Steinzimmer prachtvoll mit Marmor und Scagliola ausstatten. Die Räume dienten als Gästeappartement, wenn das Kaiserpaar in München weilte. Aus Maximilians Kunstkammer und seiner persönlichen Leibgalerie stammen Prunktische mit kunstvollen Gestellen und virtuos eingelegten Platten sowie üppig verzierte Kabinettschränke aus erlesenen Materialien, die alle Kunsttechniken ihrer Zeit vereinen.
Ein Paradebeispiel ist der Prunktisch, den Maximilian anlässlich der Erlangung der Kurwürde 1623 bei einem Augsburger Meister in Auftrag gab. Mit seinen Marketerien aus Gold, Silber, verschiedenen Steinen und Edelhölzern nimmt er bereits die spätere Boulle-Technik vorweg. Im Zentrum der gravierten Platte ist eine ältere Pietra-dura-Tafel eingelassen, die angeblich aus der Prager Hofwerkstatt als Geschenk Kaiser Rudolfs II. an den Münchner Hof gelangte. Damit nicht genug, das Bildprogramm mit Tierkreiszeichen, Jahreszeiten und Allegorien auf die fürstlichen Tugenden korrespondiert in seiner Lobpreisung des Kurfürstenpaars mit dem Deckenprogramm.
Zu bestaunen ist auch eine vier Meter lange Scagliola-Tischplatte für die Fürstentafel, die immer nur temporär im Antiquarium aufgestellt war. Auf die Scagliola, eine Einlegetechnik aus verschieden eingefärbtem Stuckmarmor, hatte Maximilian gleichsam ein Monopol. Sie ist das Werk von Blasius Pfeiffer, der als Begründer der Münchner Marmoratoren-Dynastie gilt und deshalb „Fistulator“ genannt wurde.
Mit diesem Marmor-Surrogat, das die Inkrustationen antiker Kaiserpaläste nachahmte, stattete man Maximilians Privatoratorium ebenso aus wie Kabinette oder Türrahmen und erstmals auch Möbel. Und dann gab es noch die Pietra dura, die damals hochgeschätzt war. Für die Einlegearbeiten aus edlen Steinen fehlten in Bayern die Materialvorkommen. So orderte der Hof die Platten aus Prager und Florentiner Werkstätten, die mit hiesigen Gestellen kombiniert wurden. Ein herrliches Beispiel dafür ist der Prunktisch, der nach 1623 in Florenz gefertigt wurde, mit zwölf großen Lapislazuli-Einlagen, feinem Blumendekor und dem kurfürstlich-bayerischen Wappen im Zentrum.
Max Emanuel ergänzte nach seinem Regierungsantritt 1680 den Bestand der Luxusmöbel um vier bedeutende Schaustücke aus einheimischer Produktion. Die Augsburger Meister Esser und Wolfbauer erhielten vom Kurfürsten den Auftrag für zwei gewaltige Kabinettschränke und zwei Prunktische mit Edelmetall-Marketerie und rot hinterlegtem Schildpatt (1704–15), heute in den Trierzimmern im Ostflügel des Kaiserhoftrakts zu bewundern. Ansonsten schätzte Max Emanuel „fremde Kostbarkeiten“ und bereicherte den Möbelbestand um Ankäufe aus Antwerpen und Paris sowie ostasiatische Lackkabinette. Doch sein Hauptaugenmerk lag auf dem Ausbau von Schloss Schleißheim.
Mit Karl Albrecht übernahm 1726 ein Kurfürst – ab 1742 als Karl VII. auch Kaiser – die Regierung, der den Paradeappartements der Residenz wieder besondere Aufmerksamkeit schenkte. Seit Ludwig XIV. gab der französische Königshof den Ton in der Lebens- und Wohnkultur an. So bestellte der Bayernherrscher Möbel bei den besten Ebenisten in Paris, etwa den einzigartigen Pultsekretär von Bernard II Vanrisamburgh für das Paradeschlafzimmer. In den Jahren 2001/02 wurde das Schreibmöbel, konzipiert wie eine exzentrische Skulptur und mit einer Fülle von vergoldeten Bronzebeschlägen versehen, in über 2000 Stunden für die Ausstellung „Pracht und Zeremoniell“ erforscht und restauriert. Leider kann man dieses Juwel mittlerweile nur noch aus größerer Entfernung betrachten. Das ist besonders schade, denn es handelt sich hierbei um ein berühmtes Lackmöbel mit Streugold-Dekoration, das nicht aus China oder Japan stammt, sondern (und zwar in höchster Qualität) komplett in Paris gefertigt wurde.
Ebenfalls aus den frühen 1730er-Jahren stammt Vanrismanburghs üppig mit Goldbronzen versehenes Bureau plat, ein Schreibmöbeltyp, der damals gerade erst in Mode gekommen war. Angeblich pflegte Karl Albrecht Staatsdokumente daran zu unterschreiben. Auch das originale Pariser Schreibzeug aus feuervergoldeter Bronze ist zu bestaunen. Charles Cressent, ein weiterer Protagonist der Pariser Ebenistenkunst der Régence und des Louis-XV-Stils, ist in der Residenz mit der angeblich weltweit größten und bereits zu seinen Lebzeiten erworbenen Werkgruppe vertreten.
Möbelkunst, die tatsächlich in München entstand, erleben wir hingegen in den Schöpfungen des begnadeten Hofarchitekten und Innenausstatters François Cuvilliés dem Älteren. In den frühen 1730er-Jahren gestaltete er die sogenannten Reichen Zimmer mit motivisch wie farblich aufeinander abgestimmten, geschnitzten, weiß- und goldgefassten Sitzgarnituren, Konsolen und Kommoden samt Türen und Wanddekorationen, Spiegel- und Bilderrahmen sowie den Zimmerdecken zu vollendeten Gesamtkunstwerken. Cuvilliés, der aus dem Hennegau im heutigen Belgien stammte, verwandelte die Enfilade trotz aller gebotenen zeremoniellen Anforderungen in lichte, glänzende, zauberhafte Rokoko-Fluchten, für die München bis heute berühmt ist.
Über die Königin-Mutter-Treppe gelangt man in den oberen Stock, dessen Ausstattung und Möblierung König Ludwig I. dem Klassizisten Leo von Klenze übertrug, wie Cuvilliés Hofbaumeister und Innenausstatter in einer Person. Die Abfolge der Appartements für Ludwig und seine Gemahlin Therese ist spiegelbildlich angeordnet. Um 1834/35 wurden die meisten Räume von den Vorzimmern mit Betttruhen für das Dienst- und Wachpersonal, den Schlafzimmern, den Salons de Service mit weiß-gold gefassten Möbeln bis zu den beiden Thronsälen mit leuchtend rot bezogenen vergoldeten Thronsesseln im typisch antikisierenden Klenze-Stil eingerichtet. Den größten Teil von Klenzes Möbelentwürfen führte Melchior Frank aus. So auch die aus der Reihe fallenden lyraförmigen, weiß gefassten Satztischchen mit feinen vergoldeten Profilen, die in Thereses Schreibkabinett auf eine neue bürgerliche Epoche vorausweisen. Ansonsten durchschreiten wir auch hier inszenierte Staatsräume ohne private Atmosphäre. Erst nach Ludwigs Abdankung 1848 folgte mit Max II. eine bewusst bescheidenere Note auch in dessen Räumen.
Nach all diesen Eindrücken führt uns die Möbelwanderung ins Bayerische Nationalmuseum an der Prinzregentenstraße. Zugegeben, Möbel bilden nicht das Herzstück der weltberühmten Sammlungen, und unglücklicherweise sind derzeit weder das Biedermeier noch die Jugendstilabteilung zu sehen. Trotzdem ist, beginnend mit Truhen und Schränken der Spätgotik, eine Fülle bedeutender Stücke zu erleben. Beim Rundgang fallen zwei exotische Prunktische ins Auge. Lange hat man sie wegen ihrer reich mit Perlmutt ornamentierten Platten für spanisch-maurische Arbeiten gehalten. Dann wurde der Dekor als typisch indisch erkannt. Man vermutete, es seien Exportartikel gewesen, wie sie im 16. Jahrhundert in fürstliche Kunstkammern gelangten. Doch schließlich stellte sich heraus, dass sie 1637 in München entstanden! Die Tischgestelle, aus Schlangen- und Ebenholz auf Fichte furniert und in Silber graviert, sind Werke des Peter Herz, der wiederum aus einer Augsburger Schreiner- und Silberkistler-Familie stammt.
Singuläre, genuin Münchner Höhepunkte sind die beiden drei Meter hohen Doppelschreibschränke, die Kurfürst Max Emanuel bereits 1704 vor seiner Flucht nach Belgien bei seinem „Hof- und Galanteriekistler“ Johann Puchwiser vermutlich für Schloss Schleißheim in Auftrag gab und erst nach seiner Rückkehr aus dem Exil 1715 abnehmen konnte. Man geht davon aus, dass sie als Gegenstücke für eine bestimmte Raumsituation geplant waren. Über einem mächtigen Kommodenunterbau finden sich seitlich schräge Pultklappen, während der Mittelteil einen drehbaren Tabernakelkasten mit dreifachen Verwandlungsmechanismen aufweist. Alle Schauseiten sind vollständig mit Boulle-Marketerien aus Schildpatt, Messing, Kupfer, Zinn und Horn überzogen. Wobei Puchwiser das Schildpatt rot hinterlegte und so zum Leuchten brachte, ebenso das blau hinterfangene Horn, das dadurch wie Lapislazuli schimmert.
In Puchwisers dichten, flächenfüllenden Ornamenten tauchen Details aus französischen Kupferstichen auf, die er jedoch neu arrangiert und mit Motiven kombiniert hat, die sich auf Max Emanuel beziehen. Beim genauen Betrachten entdeckt man humorvolle Einsprengsel wie Hasen, Eichhörnchen oder Sphingen mit Hut. Schlafende Hunde, bayerische Löwen oder kindliche Putten sind wohl eigene Erfindungen. Auf die für französische Hofmöbel charakteristischen Bronzebeschläge verzichtete Puchwiser.
Das wichtigste und umfangreichste Ensemble an Luxusmöbeln des 18. Jahrhunderts im Museum bilden die Schöpfungen von Vater Abraham und Sohn David Roentgen aus Neuwied mit ihren berühmten technischen Raffinessen, dem hohen Standard der Ausführung und feinen bildwürdigen Holz-Marketerien. Sie waren damals in ganz Europa begehrt. Der Möbelschatz kam 1990 mit der Sammlung Fritz Thyssen ins Haus.
Einen Eindruck vom eleganten Münchner Klassizismus vermittelt eine um 1805 entstandene Sitzgarnitur für den Staatsminister Montgelas. Die Lehnengitter erinnern an englische Möbel der gleichen Zeit, typisch münchnerisch ist allein das Kirschbaumholz, das massiv und als Furnier für die Gestelle verarbeitet worden ist. Um 1810 wurden ein Sekretär und ein Aktenschrank in Mahagoni furniert und mit ortstypischer Schwarzlotmalerei statt Marketerie mit aus Paris importierten feuervergoldeten Bronzen als Gegenstücke kreiert, die sich nur im Innenleben unterscheiden. Beachtung verdient ein eleganter runder Tisch aus den Hofgartenzimmern der Residenz von 1813. Das schwarz gebeizte Eichenfurnier kontrastiert mit den kostbaren Silbereinlagen um die Zarge und entlang der drei geschwungenen Beine. Die Schreinerarbeit des aufwendig gestalteten Möbels stammt wohl vom Hoftischler Daniel, die Einlagen vom Silberarbeiter Jehle.
Früher pilgerten Münchner Familien nicht zuletzt wegen der anschaulich inszenierten Wohnkultur ins Stadtmuseum. Aber längst folgt das Haus, in dem einst der Möbelspezialist Hans Ottomeyer wirkte und revolutionäre wissenschaftliche Erkenntnisse nicht nur zum Biedermeier gewann, dem Mainstream und setzt „aktuelle“ Schwerpunkte in der Präsentation seiner Sammlungen. Zudem lässt der ersehnte Um- und Neubau auf sich warten, sodass aus den berühmten Möbelbeständen des 19. Jahrhunderts und des Jugendstils leider nur einige signifikante Stücke ausgestellt sind.
Der Begriff „Biedermeier“ als Verkörperung einer heilen vergangenen Welt kam 1855 in den „Fliegenden Blättern“ auf, in denen der fiktive Dorfschullehrer Gottlieb Biedermaier eben „die gute alte Zeit“ vor der 1848er-Revolution heraufbeschwor. Dass die Impulse für jenen neuen Möbelstil, der später zum Inbegriff bürgerlicher Wohnkultur wurde, jedoch vom Hof ausging, ist mittlerweile unstrittig. Max I. Joseph favorisierte für seine privaten Wohnbereiche nicht die schweren, weiß gefassten und vergoldeten Bildhauermöbel Klenzes. Die königliche Familie gab sich bewusst bescheiden und entspannte sich in den vergleichbar bequemen Wohninseln, die bevorzugt in hellem heimischen Kirschbaumholz gefertigt wurden. Als Beispiel dafür sei ein Sekretär mit feuervergoldeten Basen und Kapitellen am Schreibfach genannt, den Joseph Reichmair 1815 als Meisterstück schuf und ausstellte. Max Joseph erwarb ihn für stolze 330 Gulden. Nachweislich stand er in den Gelben Zimmern der Residenz, bevor er ins Bayreuther Schloss gelangte.
Eine Besonderheit des Münchner Biedermeiermöbels war der Umdruckdekor. Die Technik, in England ab Mitte des 18. Jahrhunderts zur Dekoration auf Porzellan und Steinzeug und seit etwa 1790 auch auf Möbeln angewandt, wurde 1794 in Paris und 1810 in Wien patentiert. 1818 präsentierte der Möbelfabrikant Johann Georg Hiltl das Verfahren erstmals in einer Münchner Ausstellung. Bald wurde es zu seinem Markenzeichen, das er sich ebenfalls patentieren ließ.
Im Stadtmuseum derzeit ausgestellt ist ein runder, in Mahagoni furnierter Tisch auf drei Beinen, dessen Platte Hiltl um 1824 wie bei einem Quodlibet mit aufgedruckten Kupferstichen und Lithografien schmückte. Beliebt waren reale Motive, die den Käufern vertraut sein mussten. Wir sehen das Oktoberfest mit Pferderennen, einen Stich aus einem Modejournal sowie das Portal der Münchner Frauenkirche. Neben einer idyllischen Szene aus dem Nymphenburger Schlosspark integrierte Hiltl geschickt auch seine eigene Geschäftskarte. Solche Tische dienten sicher nicht zum täglichen Gebrauch, sondern waren beliebte Schaustücke einer adeligen oder zumindest betuchten Käuferschicht. Zu diesem Tisch hat sich eine einfache Platte erhalten, die zum Schutz der empfindlichen Oberfläche aufgelegt werden konnte.
Der Historismus ist wenigstens in einer Facette des Neorokoko in einem kompletten Salon anschaulich zu erleben. Das 16-teilige, reich geschnitzte und üppig vergoldete Möbelensemble aus Lindenholz mit Marmorplatten und Dekorationen des Hoftapezierers Josef Wagner hat der Möbelfabrikant Anton Pössenbacher 1888 für die „Deutsche Nationale Kunstgewerbeausstellung“ als „hocharistokratischen Salon“ im Louis-XIV-Stil nachempfunden. Pössenbacher begegneten wir indirekt schon in der Residenz, denn die Firma führte bereits Klenze-Entwürfe Ludwig I. aus. Später lieferte das Unternehmen Möbel für die Alpenschlösser Ludwigs II. und stattete auch die Kantine des Berliner Reichstags aus.
Der Jugendstil, einst ebenfalls eine reich bestückte Abteilung des Stadtmuseums, ist nur mit einigen wenigen Möbeln vertreten. Wie weit der Bogen stilistisch gespannt ist, zeigen zwei sehr konträre Beispiele. Da ist die gotisch inspirierte Eichentruhe mit Eisenbeschlägen, die Hermann Obrist 1897 auf der legendären Glaspalast-Ausstellung präsentierte – die Schau gilt als Wiege des Münchner Jugendstils. Legendär ist der Armstuhl, den Richard Riemerschmid im Jahr 1900 für einen Wettbewerb kreierte, der Möbel für einkommensschwache Käufer zum Thema hatte. Aus Kanthölzern, Brett und ausgesägten Halbkreisen, den Materialien Buchenholz und Eisenbeize entstand ein Sitzmöbel von zeitloser Modernität. Riemerschmid erhielt dafür den ersten Preis.
In der Nürnberger Schreinerei J. Fleischhauers Söhne fortlaufend mit großem Erfolg hergestellt, wurde der Stuhl zum Klassiker der Epoche – ein noch handwerklich gefertigter Vorläufer von Riemerschmids später maschinell hergestellten Serienmöbeln, die er für die Deutschen Werkstätten in Dresden-Hellerau entwickelte. Bleibt nur zu wünschen, dass das Stadtmuseum in nicht allzu ferner Zukunft seine reichen Möbelschätze wieder angemessenen ausstellt.
Unsere letzte Station in der Innenstadt ist die Neue Sammlung, beheimatet in der Pinakothek der Moderne. Hier kann man sich sehr gut über die Entwicklung der Thonet-Stühle und des Möbeldesigns seit 1900, auch über das Bauhaus und seine Folgen informieren. Die Münchner Möbelkunst ist jedoch nur mit einem Musikzimmer-Stuhl von Riemerschmid vertreten. Sein ebenfalls gezeigter Schreibtisch von 1905 gehört schon zu dessen Dresdner Maschinenmöbel-Programm.
Verlassen wir das Zentrum in Richtung Schloss Nymphenburg. Als krönenden Abschluss wollen wir uns nicht nur im Park ein wenig erholen, sondern einen letzten Abstecher in das Lust- und Jagdschlösschen Amalienburg machen. 1734 bis 1739 von François Cuvilliés errichtet und komplett mit Wanddekorationen, Spiegeln und Möbeln ausgestattet, machte es Karl Albrecht seiner Gemahlin, der Kaisertochter Maria Amalia, zum Geschenk. Darin sind Architektur, Innendekoration und Mobiliar zu einem Juwel des höfischen Rokoko verschmolzen. Jetzt wissen wir es aus eigener Anschauung: Die Möbelkunst war in allen Epochen ein großes Münchner Thema.