Der Markt des Malers und Kommunengründers Otto Muehl zieht an. Wie soll der Kunstbetrieb umgehen mit dem Werk des Aktionisten, der Kinder missbrauchte und misshandelte? Und was sagen seine Opfer dazu?
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06.04.2021
Ein Gemälde, das in seiner fröhlichen Farbigkeit an Pop-Art denken lässt, zeigt zwei Figuren. Sie saugen an den Brüsten einer übergroßen Frau. In Zeichnungen, die an den späten Picasso erinnern, sind Menschen bei erotischen Interaktionen zugange. Darüber hinaus wartet die Ausstellung „Otto Muehl. Change – Bilder der 80er Jahre“ im Wiener Palais Schönborn-Batthyáni mit ein bisschen Abstraktion (gestisch ebenso wie geometrisch), kunstinterner Ironie (der Künstler lässt sich ein Ohr abschneiden) und viel Neoexpressivem auf.
Otto Muehl (1925–2013) hat die Malerei nicht neu erfunden, wie sich in dem Palais zeigt, das die traditionsreiche Kunsthandlung Wienerroither & Kohlbacher bespielt. Die Schau ist eine Kooperation mit der nahe gelegenen Galerie Konzett, die bis Ende Februar „Otto Muehl. Die Sünden der Väter“ zeigte. Das Werk des Wiener Aktionisten findet verstärkt Eingang in den Kunstmarkt, auch über Österreich hinaus. Der Kunstbetrieb huldigt seinen Arbeiten, teils über die Maße. So erklärte der Galerist Philipp Konzett Ende Januar 2021 in einem Interview, der Louvre habe den Maler 2001 in einer Ausstellung mit Werken von der Renaissance bis zur Gegenwart „zum bedeutendsten Künstler seines Jahrhunderts gekürt, wie Michelangelo für die Renaissance oder Rembrandt für die flämische Malerei des 17. Jahrhunderts“. Ob das ironisch gemeint ist?
Muehl gründete in Wien eine Kommune, die sich 1974 auf dem Friedrichshof im Burgenland niederließ. Leben und Kunst sollte vereint, die starren gesellschaftlichen Strukturen des österreichischen Nachkriegsmief abgeschüttelt werden – freie Sexualität und Gemeinschaftseigentum sollten dabei helfen. Allerdings herrschte ein autoritärer und sexistischer Geist. Muehl spielte Menschen gegeneinander aus, missbrauchte und misshandelte Kinder. Dafür wurde er 1991 zu sieben Jahren Haft verurteilt.
Bereits 2004, als das Wiener Museum für Angewandte Kunst eine große Muehl-Schau zeigte, formierten sich ehemalige Mitglieder der Kommune unter dem Namen Re-Port. Die Gruppe ist bis heute aktiv. Einer ihrer Protagonisten, Hans Schroeder-Rozelle, sagt in einem Gespräch mit der Weltkunst: „Muehl gründete eine unterdrückende, autoritäre und menschenverachtende Sekte.“ 1998 zog Muehl nach Portugal und lebte dort in ähnlichen Strukturen weiter. „Nach seiner Haft hat er in Portugal weitergemacht“, so Schroeder-Rozelle.
Das erzählt auch Paul-Julien Robert. Der Filmemacher und Fotograf wuchs am Friedrichshof auf und drehte darüber 2012 den mehrfach preisgekrönten Dokumentarfilm „Meine keine Familie“. Darin zeigt sich, wie Kinder vor Publikum mit kaltem Wasser überschüttet wurden, um sie zu demütigen: Nicht nur sexualisierte Gewalt stand an der Tagesordnung, sondern auch psychische Misshandlung. Dementsprechend tun sich viele Kinder vom Friedrichshof bis heute schwer, im Leben Fuß zu fassen. Für sie müssen Ausstellungen von Muehl mitsamt ihrer verherrlichenden und relativierenden Prosa wie ein Schlag ins Gesicht wirken.
Doch sie wehren sich. 2019 formierte sich anlässlich einer Muehl-Ausstellung am Friedrichshof die Gruppe Mathilda. Auch Paul-Julien Robert ist Teil davon. Die Aktion damals entstand relativ spontan, erzählt er: „Wir wurden überrascht von der Einzelausstellung Otto Muehls, genau an dem Ort, wo er seine Verbrechen beging. Es war irritierend, dass er genau dort diese Wertschätzung bekommen sollte, noch dazu ohne Kontext.“ So intervenierte Mathilda bei der Finissage: Projektionen ergänzten die kuratorischen Texte, Roberts Film wurde gezeigt, eine Rede erzählte von Muehls Verbrechen und seinem Psychoterror.
Seit 2020 leitet Robert zudem ein dreijähriges Projekt mit dem Titel „Performing Primal Communism“. Es ist Teil eines Programms für künstlerische Forschung und möchte Muehl-Opfern zu ihrer Stimme verhelfen. „Wir laden sie ein, ihre Geschichten zu erzählen und beispielsweise dem Narrativ vom freien Leben am Friedrichshof entgegenzutreten“, so Robert. Über eine Website können Menschen Erzählungen und dokumentarisches Material teilen. So soll mit der Zeit ein Archiv entstehen. Auch die Frage, wie in Zukunft mit Mühl umgegangen wird, steht im Raum. Robert plädiert etwa dafür, den teils traumatisierten Opfern Muehls einen Teil der Erlöse aus Kunstverkäufen zukommen zu lassen.
Teile des Kunstmarkts sind mittlerweile vorsichtiger. Noch 2019 versteigerte das Dorotheum für 87.800 Euro ein Aktgemälde von Mühl, das laut Aussage von Hans Schroeder-Rozelle und Paul-Julien Robert ein jugendliches Missbrauchsopfer darstellt. Doch mittlerweile setzt sich das Auktionshaus mit Re-Port in Verbindung, wenn bedenkliche Mühls eingeliefert werden. Galerist Konzett dagegen erklärte im Interview, dass ihn das Privatleben eines Künstlers nichts anginge.
Die häufig eingeforderte „Trennung zwischen Werk und Künstler“ funktioniert im Fall Muehls jedenfalls schlecht. Schließlich betrachtete er selbst seine Kommune als Gesamtkunstwerk. Für generelle Ausstellungsverbote spricht sich dennoch kaum jemand aus. Schroeder-Rozelle sagt: „Eine freiheitliche Gesellschaft sollte die Kunst von Mühl nicht verbieten – es dürfen aber keine Bilder ausgestellt werden, auf denen von ihm missbrauchte Kinder dargestellt sind.“ Die Frage bleibt, wie der Markt einen adäquaten Umgang mit ihm und seinem Werk finden kann.