Die Zuschreibung des „Salvator Mundi“ an Leonardo da Vinci ist höchst umstritten, und seit seiner Versteigerung im November 2017 war das teuerste Kunstwerk aller Zeiten nicht mehr zu sehen. Ein Dokumentarfilm enthüllt brisante Hintergründe
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16.04.2021
Unter Experten hatte es immer erhebliche Zweifel gegeben, ob der „Salvator Mundi“ tatsächlich ein eigenhändiges Gemälde von Leonardo da Vinci ist, seit es 2011 in der Londoner National Gallery erstmals als ein solches ausgestellt wurde. Die Skepsis stieg eher noch, als das teuerste Werk aller Zeiten nach seiner 450-Millionen-Dollar-Versteigerung im November 2017 bei Christie’s nicht wieder öffentlich gesehen wurde. Im Louvre Abu Dhabi nicht, wo man es angekündigt hatte, und ebenso wenig in der großen Leonardo-Ausstellung im Pariser Louvre im Herbst 2019, wofür es als eine Hauptattraktion (nun weltberühmt durch den unfassbar hohen Preis) vorgesehen war.
Was ging hier vor sich, rätselt seither die Kunstwelt. Alles, was mit dem Bild zu tun hat, machte weltweit Furore. Und dies, obwohl der „Salvator“, gelinde gesagt, ein ästhetisch höchst problematisches Werk ist. Schön sind eigentlich nur die Hand, einige Partien des Gewands und die Kristallkugel. Das Gesicht dagegen ist auf gespenstische Weise glatt und leblos, alles andere als ansprechend. Vielleicht kann man es sogar so formulieren: Wäre das Gemälde nicht mit Leonardos Namen verbunden und suchten Kunsthistoriker nicht schon seit Langem nach der Urversion seines in verschiedenen Quellen dokumentierten Welterlösers, dann würden sich womöglich selbst manche Kenner nach diesem Bild nicht unbedingt umdrehen. Erst durch den Preisrekord wurde es zur Ikone und hat sich dem Weltgedächtnis eingeprägt.
Jetzt wurde eine nächste Etappe dieser spektakulären Geschichte erreicht, denn der französische Autor, Journalist und Filmemacher Antoine Vitkine hat die Gründe für das Verschwinden des „Salvator“ enthüllt. Dieser Tage wurde seine Dokumentation „Saviour for Sale“ (Erlöser zu verkaufen) erstmals auf dem TV-Sender France 5 ausgestrahlt. Leider hat man aus Deutschland keinen Zugriff auf den Stream des Films – was hoffentlich so zu werten ist, dass er bei uns bald gezeigt wird. Doch geben die Kolleginnen und Kollegen vom Art Newspaper, der FAZ und anderen Medien, die ihn schon im Vorfeld sehen konnten, den Inhalt so detailliert wieder, dass die brisanten Fakten im Raum stehen.
Vitkine rollt die ganze Erfolgsgeschichte des „Salvator“ auf und hat es geschafft, fast alle Beteiligten und Profiteure vor die Kamera zu bringen. Das beginnt mit dem New Yorker Kunsthändler Robert Simon, der das Bild 2005 „aus Neugier“ für 1175 Dollar erwarb: auf einer Auktion in New Orleans, in dessen Katalog das Werk als „nach Leonardo da Vinci“ rangierte. Es habe „ziemlich schrecklich“ ausgesehen, so Simon, der das Gemälde in die Hände der angesehenen Restauratorin Dianne Modestini in New York gab. Sie arbeitete jahrelang, legte Übermalungen frei, bis eine Art Ruine entstand, die sie dann mit ihren Retuschen glättete, sodass (so muss man es ausdrücken) eine Version entstand.
Es spricht für Modestini und ihr restauratorisches wie wissenschaftliches Ethos, dass sie ihre Arbeit mit vielen Fotos der verschiedenen Stadien, mit Vergleichsabbildungen, Detailstudien und technischen Durchleuchtungen auf ihrer Webseite öffentlich gemacht hat (salvatormundirevisited.com). Hier findet man alles über die Geschichte des „Salvators“ bis in die jüngste Zeit. Auch der lange Prozess der Zuschreibung ist dokumentiert, genauso die Hintergründe der Londoner Ausstellung und Beratungen mit maßgeblichen Kennern. Es ist eine wirklich spannende Lektüre. Und anderem erinnert Modestini daran, dass der „Salvator“ 1958 aus der britischen Cook Collection bei Sotheby’s London für 45 Pfund nach New Orleans verkauft wurde.
Nach seiner Nobilitierung durch die Londoner National Gallery verkaufte Robert Simon das Gemälde. Vermittelt von Sotheby’s, ging es im April 2013 als Private Sale an einen anonymen Käufer. Später kam heraus, dass der Genfer Händler Yves Bouvier 80 Millionen Dollar dafür gezahlt hatte und es kurz darauf an den russischen Oligarchen Dmitrij Rybolowlew für 127,5 Millionen vermittelte. Rybolowlew, der bei Bouvier Kunstwerke für knapp zwei Milliarden Schweizer Franken erwarb, merkte irgendwann, welch exorbitante Margen dieser mit ihm verdiente, und verklagte den Genfer Kunsthändler jahrelang wegen Betrugs und überhöhter Preise.
Vor Gericht blitzte der Russe ab, aber dafür machte er zumindest mit dem „Salvator Mundi“ ein blendendes Geschäft, als er diesen 2017 Christie’s zur Auktion und einer beispiellosen Marketingkampagne überließ. Dazu gehörte, dass der „letzte da Vinci“, wie er jetzt ohne Erwähnung jeglicher Werkstattbeteiligung betitelt wurde, in einem glamourösen „Post-War & Contemporary Art Evening Sale“ unter den Hammer kam. Der Käufer blieb unbenannt, aber bald schon sickerte durch, dass es der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman war.
Was seither mit dem „Salvator“ geschah, blieb bis bislang völlig im Dunkeln. Diese Obskurität hat Vitkine in seiner Dokumentation jetzt spektakulär ausgeleuchtet. Seine Kronzeugen sind zwei französische Ministeriumsmitarbeiter, offenbar in höheren Position, die vor laufender Kamera – aber verdunkelt und anonym – eine brisante Geschichte erzählen. Mohammed bin Salman vereinbarte im April 2018 bei einem Staatsbesuch in Paris auf höchster Ebene mit Präsident Emmanuel Macron, dass seine Rekordpreis-Trophäe in der Leonardo-Ausstellung gezeigt werden soll.
Schon im Juni 2018 kam das Gemälde in den Louvre und wurde dort mit dem versammelten Sachverstand des Museums, allen technischen Raffinessen des Restaurierungslabors und mit Hilfe von hinzugezogenen internationalen Experten drei Monate lang untersucht. Am Ende waren sich alle einig: Der „Salvator“ ist kein eigenhändiges Werk Leonardos; der Meister leistete allenfalls einen Beitrag dazu.
Die saudische Delegation, der Louvre-Direktor Jean-Luc Martinez das Ergebnis mitteilte, war düpiert und das Ganze weitete sich hinter den Kulissen zur Staatsaffäre aus. Denn der Kronprinz forderte, das Bild müsse, ausgewiesen als 100-prozentiger Leonardo, direkt neben der „Mona Lisa“ hängen. Der heikle Hintergrund war ein milliardenschweres Entwicklungsprojekt, dass Frankreich 2018 mit Saudi-Arabien ausgehandelt hatte.
So schalteten sich neben dem Kulturminister auch der Außenminister ein, um den Louvre zum Einlenken zu bewegen. Das Museum hätte das Bild gerne gezeigt, aber eben zu seinen eigenen Bedingungen und nicht als zweifelsfreien Leonardo. Das Hin und Her zog sich so lange hin, dass sogar zwei Katalogversionen (mit und ohne „Salvator“) produziert wurden. Am Ende entschied, wie so oft in Frankreich, der Präsident selbst. Das war im September 2019, einen Monat vor Ausstellungsbeginn. Macron stützte die wissenschaftliche Expertise des Louvre; mit der Glaubwürdigkeit der sakrosankten Kulturinstanz stand auch die Glaubwürdigkeit des Staats auf dem Spiel. Ob man in Deutschland auch so entschieden hätte – etwa wenn es um einen vergleichbaren Fall aus China ginge?
Der „Salvator“ reiste mit unbekanntem Ziel wieder ab, die Untersuchungsergebnisse kamen wie ein Staatsgeheimnis unter Verschluss. Als die Ausstellung, die in vier Monaten 1,1 Millionen Besucher anziehen sollte, am 21. Oktober eröffnete, fehlte im Katalog die Nummer 157. Während der Laufzeit der Schau versuchte man von französischer Seite noch eine Einigung mit den Saudis zu finden. Chris Dercon, seit 2019 Präsident der Vereinigung der französischen Nationalmuseen und des Grand Palais, reiste im Herbst eigens nach Riad, um noch einen Weg zu finden, den „Salvator“ trotzdem in der Ausstellung zu zeigen.
Eine Merkwürdigkeit, deren Widersprüche zu Vitkines Recherchen bislang nicht gelöst werden konnte, ist ein 46-Seiten-Buch des Louvre über den „Salvator“, im Dezember 2019 gedruckt, aber nie in Umlauf geschweige denn in Verkauf gebracht. Das Art Newspaper enthüllte im März 2020 die Existenz des Büchleins und breitet jetzt anlässlich der Filmdokumentation in einem zweiten, ausführlichen Artikel seinen Inhalt aus. Es sollte offenbar erscheinen, falls es der „Salvator“ doch noch in die Ausstellung geschafft hätte.
Völlig im Gegensatz zu dem Dossier, dass der Louvre (den beiden gesprächigen Ministerialbeamten zufolge) nach der Untersuchung des Gemäldes den Saudis und der französischen Regierung präsentierte, schreibt Museumsdirektor Martinez im Vorwort des ominösen Büchleins: „Die Ergebnisse der historischen und naturwissenschaftlichen Untersuchung erlauben es uns, das Zuschreibung des Werks an Leonardo da Vinci zu bestätigen.“ Was ist hier geschehen? Man kann es sich nur so vorstellen, dass der politische Druck auf den Louvre auch nach Macrons Standhaftigkeit gegenüber den Saudis noch so groß war, dass man sogar bereit war, aus den Beobachtungen bei der Untersuchung des „Salvator“ andere Schlüsse zu ziehen.
Der Louvre verweigert aktuell jeden Kommentar zu dem Buch. Es ist, als würde es nicht existieren. Aber das Art Newspaper zeigt sogar ein Foto davon und referiert die von den Autoren vorgebrachten Argumente für die Zuschreibung an Leonardo. Filmregisseur Vitkine, vom Art Newspaper zu dem Buch befragt, kann sich die Existenz der zwei so konträren Expertisen aus demselben Haus auch nicht erklären. Er habe Martinez vor einem Jahr nach dem Auftauchen des Buch darauf angesprochen: „Er erklärte, dass der Louvre nicht über Bilder spricht, die ihm nicht gehören, und nicht das Recht hat, Bilder zu untersuchen, die nicht zu den nationalen Sammlungen gehören.“ Es wird also gemauert, der ganze Fall soll offenbar ein Staatsgeheimnis bleiben.
Derweil kann das Wallstreet Journal mit einer weiteren Neuigkeit zum „Salvator“ aufwarten: Er hing bis letztes Jahr in der Yacht Serene des saudischen Kronprinzen, wie jetzt eine ungenannte Gewährsperson bestätigte, die das Gemälde dort auf dem Roten Meer gesehen hat. Zurzeit befindet sich die Serene in einer niederländischen Werft zur Überholung, der „Salvator“ soll zuvor an einen geheimen Ort in Saudi-Arabien gebracht worden sein.
Eines steht aber fest: All diese Geschichten und Verdunklungen tragen zur Mystifizierung bei und sorgen dafür, dass der Weltenretter immer mehr zum Phantom wird. Es geht um Geld und Macht, um Staatsräson und Gesichtsverlust, um wissenschaftlichen und sonstigen Ehrgeiz, nie aber um die ästhetische Wirkung, die das Bild auf die Menschen ausübt. Erst wenn Museumsbesucher, wo auch immer in der Welt, dem „Salvator Mundi“ von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten können, wird sich zeigen, ob er eine Aura jenseits von Preisrekorden und Polit-Verwicklungen besitzt. Ob er tatsächlich als ein Mythos der Kunstgeschichte taugt.