Der Schauspieler Sylvester Groth über die Maler der Leipziger Schule, die Brandmauern von Berlin und seine Liebe zur bildenden Kunst
Von
20.04.2021
/
Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 6
Sylvester Groth, gerade 63 Jahre alt geworden, gehört zur ersten Garnitur deutscher Schauspieler. Der vielfach ausgezeichnete Darsteller, Hörbuch- und Synchronsprecher blickt auf eine erfolgreiche Bühnenkarriere zurück – war unter anderem an der Berliner Schaubühne, am Wiener Burgtheater sowie bei den Salzburger Festspielen engagiert. Mit großen Publikumserfolgen begann sein Theaterengagement in Schwerin und dann am Staatsschauspiel Dresden. Seine erste Kinohauptrolle spielte er in Frank Beyers DEFA-Film „Der Aufenthalt“, der bundesdeutschen Öffentlichkeit ist er durch die Reihe „Tatort“, in der er 1998 in „Schimanski“ debütierte, und als Magdeburger Kriminalhauptkommissar Jochen Drexler im „Polizeiruf 110“ sowie als Generalmajor Schweppenstette in der Serie „Deutschland 83“ bekannt. Einem weltweiten Publikum empfahl er sich in Streifen wie „Stalingrad“ (1993), „Mein Führer“ (2007), „Hilde“ (2008) sowie als Joseph Goebbels in Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“ (2009). Das Filmmuseum Potsdam ehrte den Schauspieler 2013 mit einer Retrospektive. Mit unserem Autor Sebastian C. Strenger führte Groth ein sehr privates Interview – und offenbarte dabei nicht nur seine Liebe zur Kunst und zum Sammeln, sondern erklärte dabei so ganz nebenbei auch noch den Zusammenhang zwischen Kunst und Schauspiel.
Die Filmbranche dreht wie verrückt. Gott sei Dank.
Ja, leider, die Theaterschauspieler trifft es härter. Obwohl: Die Festengagierten werden ja weiterbezahlt. Und der Staat zahlt ja Subventionen, wenn die Eintrittsgelder wegbrechen.
Es kommt auf die Angebote an. Es wird einem ja viel angeboten. Aber es ist auch sehr viel dabei, was ich nicht machen möchte. Aber da ist jeder anders …
Ja. In seinem Qualitätsanspruch bei Drehbüchern. Da hat ja auch jeder andere Interessen. Mich interessieren nur sehr wenige Sachen – und da wählt sich das auch leicht aus.
Das auch. Manchmal sagt man sich: Das war jetzt genug von dem oder dem Typ. Das will man dann nicht mehr!
Es kommt doch immer darauf an. Wenn es gut ist, macht man es auch. Wenn Tarantino nochmal anrufen würde für Goebbels, würde ich es sofort wieder machen. Weil du da eben auch weißt, dass du in guten Händen bist! Aber es einfach nur so zu machen, ohne Idee? Nee, das ist doch uninteressant. Und da will man dann auch nicht unbedingt drunter gehen.
Ich habe bereits früh begonnen, Kinderhörspiele damals in Leipzig gemacht, ein bisschen Theater gespielt – und dann ergab sich das so. Ich lernte die Schauspieler – also die richtigen Schauspieler – am Theater kennen. Und dann sagte ich mir: Die haben doch eigentlich ein tolles Leben. Kriegste auch noch Geld dafür. Kannst überall hin. Und dann habe ich gedacht, ja dann werde ich das mal. Das war jetzt nicht so der innere Wunsch, ich muss das werden. Nee, nee – es gab ja nichts anderes für mich! Ich hab’ dann noch einen Beruf vorher gelernt. Da hat meine Mutter drauf bestanden.
Elektriker. Das musste ich lernen, vorher, obwohl ich wusste: Ich werde das nie machen. Aber für die Schauspielschule musste man sowieso Abitur haben oder einen Beruf. Und dann habe ich mich für den Beruf entschieden, bin Elektriker geworden und dann direkt zur Schauspielschule. Das war von 1977 bis 1980.
Das kam durch Leipzig. In Leipzig war die Hochschule der Künste. Und dadurch lernte ich einfach Maler kennen: Sighard Gille (*1941), Gudrun Brüne (*1941), Bernhard Heisig (1925–2011) … Also das ergab sich dann so. Johannes (*1953) und Walter Heisig (1909–1984) habe ich dann erst später kennengelernt. Vor allem Walter habe ich immer sehr geschätzt. Ich verehre ihn sehr. Und die Saskia Gille, die damalige Frau von Sighard: Sie hat mich eigentlich so eingeführt in die Kunst. Die kannte natürlich alle – und dann schaute man sich natürlich Ausstellungen, Bilder an. Nicht dass sie mir etwas erklärte, sondern man merkte so ganz nebenbei, worauf es ankommt, wenn man ein Bild anschaut. Denn das muss man auch lernen: ein Bild anzusehen und nicht einfach vorbeizugehen; hinzugehen und zu schauen, was ist da drin und was mich darin interessiert. Manchmal ist nichts drin, dann geht man auch weiter. Und da hab ich in Leipzig eine ganz gute Schule gehabt. Das waren da natürlich auch tolle Maler. Ja – besser ging’s in der DDR nicht. Das war schon die Crème de la Crème und das Beste vom Besten. Aber da war manchmal natürlich auch ziemliches Zeug dabei. Aber das macht ja nix. Das gehört ja auch dazu.
Haben, haben, haben, haben! Doch, das wollte ich dann schon haben. Doch!
Nee, das habe ich mich da nicht so wirklich getraut. Ich hab’ damals auch noch nicht so viel Geld gehabt, in der DDR.
Mein Gott, was war das denn …?
… nee, einen Uecker? Du bist ja auch aus dem Westen, ne? Na, das ist ja auch was anderes, obwohl, der Uecker ist ja auch aus dem Osten.
(leichtes Pfeifen) Ich überlege noch … Meistens habe ich etwas geschenkt bekommen oder etwas getauscht. Und ich habe das nie mit so viel Geld in Verbindung gebracht. Oder so spekuliert wie manche Menschen, die da sagen: Oh, das Bild muss ich haben – das wird mal viel wert und dann steht es da rum oder steht im Keller. Nee, das war nicht mein Ding. Gekauft habe ich eigentlich erst viel später.
Nicht direkt von den Malern, aber auch. So etwa, dass ich schon mal so eine Zeichnung kriegte oder einen Druck – das schon! Ah, jetzt erinnere ich mich an mein erstes Bild … Das ist ein Maler, den ich jetzt wieder gesucht habe und der in Leipzig von einer Galerie vertreten wird: Roland Frenzel (1938–2004), ein super Maler! Ein angeblich Schizophrener, aber auch ein sehr eigener und kluger Mensch, glaube ich.
Ich habe eine Landschaft von ihm. Eigentlich wie eine Skizze in Öl. Und da sitze ich davor und gucke da rein und jedesmal siehst Du da etwas anderes. Ein Baum, ein Haus und vielleicht zwei Figuren in einer Schneelandschaft. Eben sehr schön interpretierbar. Die Art der Malerei gefällt mir. Und jeder wird da was anderes sehen und wieder andere werden es vielleicht furchtbar finden. Ich finde: Das ist das Schönste, was es gibt. Und das habe ich geschenkt bekommen von Saskia Gille. Sie kannte den Maler persönlich und als ich das Bild sah, gefiel mir das sofort. Und dabei hatte ich keine Ahnung von Malerei oder so. Und dann hat sie es mir irgendwann geschenkt.
Ja. Gegen andere Bilder. Ich hänge ja auch nicht so an Sachen. Besitz ist eben nicht so mein Ding!
Einmal das. Aber als Mensch sollte man vor allem mobil bleiben! Sich also einzurichten, und dann hocke ich hier – nee, da habe ich Angst vor, mich zu setteln. Das hat mich auch nie interessiert. Ich möchte immer unterwegs sein! Und das habe ich bis heute einigermaßen geschafft. Ansonsten würde ich denken, dass ich verblöde – und das möchte ich nicht.
Das Atelier von Bernhard Heisig im Atrium kannte ich nur von außen. Aber bei Gudrun Brüne war ich. Die hat mich mal gemalt. Da gibt es zwei Zeichnungen von etwa 1974, also bevor ich nach Berlin ging, die sie mir neulich mal geschenkt hat. Entstanden sind die, weil sie damals einen Auftrag für ein riesiges Gemälde im Rathaus hatte – und da habe ich dann damals für sie Modell gestanden, mit einem Bauarbeiterhelm auf. Ganz seltsam, aber schön.
Nein. Sagen wir, ich war damals Modell und habe da ein paar Stunden an ein paar Tagen gesessen. Und das war direkt mit Gudrun und wir kennen uns ja heute noch und sehen uns ab und zu. In der Jugend macht man so Sachen, das fliegt dann so vorbei und dann sieht man sich wieder und das ist schön.
Ich möchte nicht in die Vergangenheit schauen. Ich mache das nur ungern.
Ja. Ich lebe mit meinen Bildern.
Ja. Werner Heldt (1904–1954) mag ich sehr. Das ist jemand, der mich sehr, sehr fasziniert und interessiert. Da hätte ich auch gerne ein Ölbild, aber das kann ich mir nicht leisten. Bei Brusberg, also der Galerie Brusberg, war damals mal eine Heldt-Ausstellung mit vielen Leihgaben, und da war ein Bild dabei, das gehörte einer älteren Dame aus Essen, glaube ich. Und ich dachte: Das will ich haben und dabei war es nur so groß (deutet ein Format von 30 mal 40 Zentimetern an). Das hätte ich am liebsten gleich dort abgehängt!
Diese wahnsinnig schönen Häuser mit ihren Berliner Brandmauern, die ich so sehr liebe. Ich glaube, es stand dort aber damals nicht zum Verkauf. Ungefähr so wie mein Blick aus dem Fenster, bei dem ich mir dann denke: Da ist ja mein Heldt! Also brauche ich ihn nicht an der Wand. Ich schaue raus und weiß, in welcher Stadt ich bin. Diese nackten Mauern in ihrem abendlichen Zwielicht, ganz faszinierend, wenn sie eben nur noch zu Umrissen werden. Das mag ich gut leiden.
Leider, leider. Alles wird ja irgendwie weggeputzt und hübsch gemacht.
Es ist anzunehmen. Ich weiß es nicht.
Ab und zu mache ich das. Mich interessieren die Kunst und der Maler, der da ist. Dem sagt man dann guten Tag und guckt, was es Neues gibt und kauft vielleicht ein Bild. Den Lutz Friedel hab ich so entdeckt. Ein toller Maler. Von dem hab ich mir ein paar Bilder gekauft. Das war eine Entdeckung!
Von Friedel habe ich das erste Bild vor zwanzig Jahren gekauft. Das war so eine Havellandschaft. Wunderbar! In Schwarz-Weiß gemalt. Unglaublich schön. Das hängt bei mir. Aber wir haben uns erst jetzt eigentlich ein bisschen kennengelernt. Jetzt fahre ich ab und zu raus und er malt mich. Und wir reden ein bisschen. Irgendwie ganz schön dort draußen in seinem Haus in Brandenburg. Die Malerei hat ja auch sehr viel mit meinem Beruf zu tun.
Das habe ich bei Walter Eisler (1954–2015) gemerkt. Dass der dieselben Probleme hat, wenn er ein Bild malt, wie ich sie habe, wenn ich an einer Rolle arbeite. Es ist haargenau dasselbe, aber anders. Die Abwägung: Was mache ich; was mache ich nicht? Was lasse ich weg? Welche Farbe nehme ich? Ist es laut oder leise? Das hat mich sehr inspiriert. Bei ihm war ich sehr oft im Atelier und habe ihn eigentlich kennengelernt, als ich 2001/02 in Leipzig war und dort „Hamlet“ machte.
Er war damals in der Vorstellung und er kam dann anschließend und legte mir ein Buch von sich zum Pförtner. Und ich bin tot umgefallen, weil das so ein schönes Buch war. Mit seinen Bildern drin. Und ich hab mir gesagt: Den musst Du unbedingt kennenlernen! Und dann habe ich ihn angerufen und wir haben uns in seinem Atelier getroffen. Und da habe ich ein Bild gekauft! Was ich aber wieder zurückgegeben habe …
Ich merkte, ich kann mit dem Bild nicht leben. Das war ein wunderschönes Bild. Eigentlich. Das war blöd, aber ich kann es auch nicht einfach irgendwo mit dem Rücken zu mir an die Wand stellen. Das Bild hieß „Hafenrundfahrt“. Ein Riesendampfer im Hintergrund und ein jüngerer Mann sitzt in einem kleinen Ruderboot und fährt einen älteren Mann auf dem Wasser in eine Kaimauer rein. Sehr düster. Sehr bedrohlich. Und dieses Riesenschiff! Er erzählte vorher, dass es sich bei diesem Bild um eine persönliche Aufarbeitung handelt.
Ja, denn das Bild war davon geprägt – und ich konnte es nicht mehr interpretieren, mit meinem Blick. Ich konnte eben keinen anderen Blick mehr darauf bekommen. Bilder, bei denen ich das nicht kann, habe ich oft versucht, wieder zu tauschen. Entweder merkte ich zuvor, dass ein Bild mich nicht anspricht – da kann das Bild ja nichts für! Oder es wird so bedrohlich, dass ich damit nicht leben will. Dennoch; das Tolle bei Eisler bestand immer im Weglassen. Wenn er Häuser malte, konntest Du Dir immer vorstellen, was für Leute dort drinnen wohnen. Das gab dem Material eine Seele. Einfach großartig! Wie in meinem Beruf: Wie weit kannst du dich zurücknehmen? Und es ist anschließend noch lebendig!