Frühes Meissen-Porzellan

Buchtipp: Prachtvolles Versteckspiel

Der Prachtband „Hidden Valuables“ führt in die Welt des frühen Meissen-Porzellans und die höfische Kultur des 18. Jahrhunderts ein

Von Gloria Ehret
05.05.2021
/ Erschienen in Kunst und Auktionen Nr. 8

August der Starke war bekanntlich der „Maladie de Porcelain“ verfallen. Dem sächsischen Kurfürsten und polnischen König ist die Gründung der ersten europäischen Porzellanmanufaktur 1710 zu verdanken. Figuren und Geschirre aus der Meissener Frühzeit gelten als Nonplusultra abendländischer Porzellankunst. Hochbedeutendes Porzellan zu sammeln, geht mit kunstgeschichtlichem Interesse, ästhetischem Anspruch sowie entsprechenden finanziellen Mitteln einher. Kein Wunder, dass innerhalb Europas die Schweiz ein Dorado auch für Porzellansammler bildet. Mit dem über 600 Seiten umfassenden, brillant bebilderten Prachtband „Hidden Valuables. Early Period Meissen Porcelains from Swiss Private Collections“ hat die Münchner Kunsthandlung Röbbig erneut eine üppig ausgestattete Porzellanpublikation auf neuestem Wissensstand herausgebracht. Und nicht zum ersten Mal fungierte Alfredo Reyes als Impulsgeber für eine Sonderschau in Zusammenarbeit von Kunsthandel, Sammlern und Museen. Denn eigentlich war das Buch parallel zur Ausstellung „Meissen – Porcelain Follies“ im Musée Ariana in Genf (Februar bis September 2020) geplant, die wegen der Corona-Pandemie-Beschränkungen jedoch meist geschlossen war. Umso bedeutender ist „Hidden Valuables“ als bleibendes Vermächtnis.

Diese goldmontierte Schnupftabaksdose mit dem Porträt Augusts des Starken entstand zwischen 1723 und 1725 in der Meissener Manufaktur. © Arnoldsche Art Publishers, Stuttgart
Diese goldmontierte Schnupftabaksdose mit dem Porträt Augusts des Starken entstand zwischen 1723 und 1725 in der Meissener Manufaktur. © Arnoldsche Art Publishers, Stuttgart

Im Vorwort reflektiert Michael Röbbig die aktuelle Verbindung zu Sammlern und Museen. Mit Sarah-Katharina Andres-Acevedo hat die Firma Röbbig eine Mitarbeiterin, die längst zu den führenden Fachleuten auf dem Porzellan-Sektor zählt. Zusammen mit der gelernten Porzellanmalerin, promovierten Kunsthistorikerin und Spezialistin für grafische Porzellanvorlagen Claudia Bodinek hat sie das Konzept der „Hidden Valuables“ erarbeitet. Essays von acht Autoren und internationalen Koryphäen auf dem Porzellansektor führen in die Welt des frühen Meissen-Porzellans und die höfische Kultur des 18. Jahrhunderts ein.

Hans Ottomeyer reflektiert die Kunst des Sammelns. Isabelle Payot Wunderli, seit 2016 Projektmanagerin im Museum Ariana und Kuratorin der Ausstellung, hat einen Essay zu den großen historischen Schweizer Porzellansammlern beigetragen. Claudia Bodinek widmet sich Heinrich Graf Brühl (1700–1763), Superintendent der Meissener Manufaktur, seit 1746 Premierminister am Hof Augusts III. und bedeutender Kunstsammler. Erstaunlich, dass Brühl weniger aus Leidenschaft gesammelt, sondern seine Kollektionen eher als Investment in die Zukunft seiner Familie verstanden hat. Nachdem der Hof das Interesse an seiner Gemäldesammlung verloren hatte, wurde sie 1768 an den russischen Zaren verkauft und gehört heute zu den Glanzlichtern der Eremitage. Das nach Brühls Tod ab 1763 erstellte Inventar listet 53 Meissen-Service auf. Das „Schwanenservice“ sowie das „Service mit dem Aste“ erbten seine Söhne; eine Anzahl von Geschirren wurde alsbald verkauft. Das Schwanenservice wurde angeblich zu Brühls Zeiten im polnischen Schloss Pförten vielfach benutzt und hat sich dort bis 1945 erhalten, bevor es in alle Winde zerstreut wurde. Teile des ebenfalls für Brühl produzierten, über 2000 Einzelstücke umfassenden Services „Brühlsches Allerlei“, von Johann Friedrich Eberlein modelliert, wurden schon im 18. Jahrhundert vom russischen Adel erworben. 321 zugehörige Objekte konnten identifiziert und 2019 von der Autorin publiziert werden. In Hinblick auf die Porzellanproduktion wird Brühls besonderes Geschick hervorgehoben, die richtigen Leute zur Umsetzung seiner Pläne und Ideen zu finden.

Aus 2200 Einzelteilen soll das von 1737 bis 1742 entstandene „Schwanenservice“ bestanden haben, das Graf von Brühl in der Meissener Manufaktur bestellte. Gemäß der Bedeutung des Namens Brühl, was soviel hieß wie Feuchtgebiet, wurden sämtliche Ziermotive aus der Mythologie und der Tierwelt des Wassers entwickelt, zu sehen an der prunkvollen Suppenterrine mit Acis und Galatea nach einem Modell von Johann Joachim Kaendler und Johann Friedrich Eberlein. © Arnoldsche Art Publishers, Stuttgart
Aus 2200 Einzelteilen soll das von 1737 bis 1742 entstandene „Schwanenservice“ bestanden haben, das Graf von Brühl in der Meissener Manufaktur bestellte. Gemäß der Bedeutung des Namens Brühl, was soviel hieß wie Feuchtgebiet, wurden sämtliche Ziermotive aus der Mythologie und der Tierwelt des Wassers entwickelt, zu sehen an der prunkvollen Suppenterrine mit Acis und Galatea nach einem Modell von Johann Joachim Kaendler und Johann Friedrich Eberlein. © Arnoldsche Art Publishers, Stuttgart

Cordula Bischoff geht auf das Meissener Porzellan „auff Japanische Arth’“ ein, Haydn Williams auf die „Turquerie“-Mode, Thomas Michie auf die „Chinoiserie“. Meredith Chilton stellt die Commedia dell’ Arte als veritables Porzellan-Theater vor. Sarah-Katharina Andres-Acevedo betrachtet die Maler der „Fêtes Galantes“ als Inspirationsquelle für das Meissener Porzellan.

Der rund 460 Seiten starke Katalogteil enthält 240 Objekte von acht Privatsammlern. Übersichtlich in sechs Kapitel gegliedert, wiederum mit erhellenden Einführungstexten, beginnt er mit Johann Friedrich Böttger. Die über 70 Nummern unter „Johann Gregorius Höroldt“ vereinen Chinoiserien, und Fabeltier-Dekore; es folgen ostasiatische Muster wie Kakiemon und „Famille-Verte“. Die schier unerschöpfliche Phantasie Johann Joachim Kändlers spiegelt sich in rund 100 Positionen mit Figuren von der Commedia dell’ Arte über Galante Gruppen, aufwendig mit französischen Goldbronzen montierten Objekten, dem berühmten Hofzwerg Joseph Fröhlich bis zur vielteiligen „Affenkapelle“. Heinrich Graf von Brühl setzt den Höhe- und Schlusspunkt mit seinem Schwanenservice und Brühlschen Allerlei. Die 13-Nummern umfassende Schwanenservice-Kollektion dürfte übrigens die umfangreichste und damit bedeutendste in Privatbesitz sein. Überwältigend allein schon die rauschhafte Kompositon der beiden, gleichsam aus Wellen und Schaum gestalteten Galatea-Terrinen mit ihren sinnlich-eleganten Figuren, Tieren und Blumen sowie den bekrönenden, geblähten bunt und golden staffierten Schals, die als Deckelgriffe dienen. Ganz anders die Wirkung des „Brühlschen Allerlei: 1745, noch während die Manufaktur mit den letzten Arbeiten am Schwanenservice beschäftig war, gab Brühl dieses Service in Auftrag. Trotz der feinen Modellierung steht hier der malerische Dekor im Vordergrund. Als eine Vorlage der naturalistisch exakt gemalten Blumen- und Gemüsepflanzen diente der zwischen 1737 und 1745 erschienene botanische Atlas „Phytanthoza Ikonographia“ des Regensburger Apothekers Johann Wilhelm Weinmann.

Da der Markt immer in Bewegung ist, können Sammler hoffen, dass doch das ein oder andere Objekt der Begierde wieder einmal angeboten werden wird.

„Hidden Valuables. Early-Period Meissen-Porcelains from Swiss Private Collections“, Hrsg. Sarah-Katharina Andres-Acevedo, Claudia Bodinek, Alfredo Reyes, Röbbig München, Arnoldsche Art Publishers, Stuttgart 2020, 78 Euro
„Hidden Valuables. Early-Period Meissen-Porcelains from Swiss Private Collections“, Hrsg. Sarah-Katharina Andres-Acevedo, Claudia Bodinek, Alfredo Reyes, Röbbig München, Arnoldsche Art Publishers, Stuttgart 2020, 78 Euro

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