Düsseldorf gibt Franz Marcs Meisterwerk „Die Füchse“ an die Nachfahren des ehemaligen jüdischen Besitzers zurück. Das Bild wurde nicht von den Nazis geraubt, sondern in der Emigration verkauft. Eine weitreichende Entscheidung, die zahlreiche Restitutionen nach sich ziehen wird
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01.05.2021
Jetzt ist es amtlich: Der Düsseldorfer Kunstpalast muss sich von einem seiner bedeutendsten Gemälde verabschieden. Der Stadtrat beschloss vorgestern Abend einstimmig, Franz Marcs „Füchse“ von 1913, ein kristallin fragmentiertes Hauptwerk des Expressionisten, an die Erben der ehemaligen Besitzer zurückzugeben. Diese Entscheidung war abzusehen, seitdem die sogenannte Limbach-Kommission Ende März die Restitution empfahl. Offiziell trägt das Gremium den schaurig-bürokratischen Titel „Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts insbesondere aus jüdischem Besitz“; darum wird sie allgemein nur Limbach-Kommission genannt, nach der ehemaligen Vorsitzenden, der 2016 gestorbenen Jutta Limbach, ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts.
Die Einschätzung des Restitutionsfalls der „Füchse“ ist vertrackt. Kurt Grawi, ein jüdischer Bankier in Berlin, hatte das Gemälde 1928 erworben. Es war ihm lieb und teuer, ohne die NS-Diktatur, die ihm die Lebensgrundlage in Deutschland raubte und aus der Heimat vertrieb, hätte er es wohl nie verkauft. Im Zuge der Pogromnacht im November 1938 wurde Grawi mehrere Wochen im KZ Sachsenhausen inhaftiert – nur weil er Jude war. Im April 1939 floh er vor dem Naziterror und konnte sich in Santiago de Chile bei Verwandten seiner Frau Else in Sicherheit bringen. Seine Gattin kam mit den beiden Söhnen im Dezember nach. In Chile war die Familie mittellos und lebte vor allem von Elses Arbeit als Kostümschneiderin.
Als Grawis Nachfahren 2015 die Rückgabe der „Füchse“ beantragten, gingen sie davon aus, dass die Kunstsammlung noch vor der Emigration in Deutschland verkauft wurde – dann wäre es ein eindeutiger Restitutionsfall gewesen. Doch tauchten während der Provenienzforschung durch die Stadt Düsseldorf zweifelsfreie Nachweise auf, dass Marcs „Füchse“ im Frühjahr 1939 mit Hilfe eines Freundes von Grawi nach New York verschifft werden und dort dem MoMA und anderen Interessenten angeboten werden konnte. 1940 wurde es über den aus Berlin emigrierten Kunsthändler Karl Nierendorf an den deutsch-amerikanischen Filmregisseur William Dieterle verkauft. Im Sommer 1961 erwarb der Kaufhaus-Unternehmer Helmut Horten bei Klipstein & Kornfeld in Bern die „Füchse“. Eine Jahr später schenkte er sie der städtischen Kunstsammlung in Düsseldorf.
Das Gemälde ist also kein NS-Raubgut, da es nicht vom Naziregime konfisziert oder gestohlen wurde, sondern es handelt sich um „Fluchtgut“. So bezeichnet man Kunstwerke, die in die Emigration gerettet und dort verkauft wurden – in der Regel zur Bestreitung des Lebensunterhalts. Ob in solchen Fällen restituiert werden soll, ist umstritten und wird sehr unterschiedlich gehandhabt. Düsseldorf scheute wohl die brüske Ablehnung des Rückgabebegehrens und brachte den Fall der „Füchse“ vor die „Beratende Kommission“. Diese empfahl dann (mit sechs zu drei Stimmen) die Rückgabe – mit der Begründung, dass Grawis Emigration und damit der für das Überleben notwendige Verkauf von Marcs Gemälde ausschließlich von den Repressalien des NS-Staats ausgelöst worden seien.
Allerdings verweigerte die Limbach-Kommission 2014 in einem sehr ähnlichen Fall die Rückgabe. Und im Ausland haben Erben meist wenig Chancen, „Fluchtkunst“ zurück zu bekommen. Der Jurist Friedrich Kiechle bezeichnete die Restitution der „Füchse“ sogar schon als eine „rechtswidrige Schenkung“. Es ist ein höchst kontrovers behandeltes Gebiet, für das bislang eindeutige Richtlinien fehlen.
Kein Zweifel, aus moralischer Sicht rechtfertigt das schwere Schicksal der Familie Grawi die Restitution: Ohne den Verlust aller Rechte und Besitztümer, vor allem ohne die Todesgefahr, die ihm in Deutschland drohte, wäre Kurt Grawi nicht in die Zwangslage gekommen, sein Lieblingsbild verkaufen zu müssen. Man würde gerne wissen, ob sich die Limbach-Kommission der Reichweite ihrer Entscheidung bewusst ist. Denn die Düsseldorfer Restitution könnte künftig als Präzedenzfall dafür dienen, im Grunde alles zu restituieren, was nach 1933 aus jüdischem Besitz in andere Hände kam.
Für eine Voraussage muss man kein Prophet sein: Es wird sicher bald ein Wiedersehen mit den „Füchsen“ bei Sotheby’s oder Christie’s geben. Ein so überragendes Meisterwerk von Franz Marc war seit Jahrzehnten nicht auf dem Markt. Der bisherige Spitzenpreis von 12 Millionen Pfund netto, erzielt 2008 in London für die „Weidenden Pferde“ von 1910, könnte hier bis in die Gefilde von 30 oder sogar 50 Millionen übertroffen werden. Doch sollten wir uns hüten, den Marktaspekt mit den ethischen und juristischen Fragen zu verbinden. Denn wie gesagt, moralisch spricht viel für die Restitution von „Fluchtkunst“. Wer will sich der ohnehin viel zu späten Anerkennung des erlittenen Unrechts verweigern? Von Düsseldorfer Stadtpolitikern, die öffentliche Schmähung bei einer Ablehnung fürchten müssen, kann man das gewiss nicht verlangen.
Leider gab es offenbar nicht einmal den Versuch, mit den Grawi Erben frühzeitig eine Einigung über den Verbleib (also den Rückkauf jenseits der Auktionsmaschinierie) dieses bedeutenden Kunstwerks zu erzielen. Womöglich wäre die unklare Rechtslage ein gewichtiges Argument für eine Zahlung unterhalb des Top-Marktpreises gewesen. Das ist nun nicht mehr möglich. Hoffen wir, dass die „Füchse“ eine gute neue Heimat finden, am besten in einem Museum, wo sich weiterhin viele Kunstfreunde daran erfreuen können.
Es bleibt das heikle Problem, zu dem auch die Limbach-Kommission in ihrer Empfehlung nichts Erhellendes beigetragen hat: Durch die bisherige internationale Praxis seit dem „Washingtoner Abkommen“ von 1998 ist die bedingungslose Rückgabe in Fällen wie den „Füchsen“ nicht unbedingt abgedeckt. Eigentlich müssten die 44 damals beteiligten Staaten jetzt das Regelwerk präzisieren. Dass „Fluchtkunst“ nur in Deutschland restituiert wird, kann jedenfalls keine Lösung sein.