Die Wiener Albertina widmet Xenia Hausner eine große Retrospektive. Ein Gespräch mit der österreichischen Malerin und Bühnenbildnerin über chinesische Kunst, ihre Kindheit im Wien der Siebzigerjahre und das letzte Bild
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15.06.2021
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 10
Bevor sie zur Malerei kam, arbeitete Xenia Hausner als Bühnenbildnerin in London, Wien und Salzburg. Und auch Anfang 2020 brillierte sie in dieser Disziplin wieder an der Staatsoper Unter den Linden, als André Heller dort mit „Der Rosenkavalier“ sein Operndebüt in Berlin gab. Die mittlerweile 70-jährige Künstlerin verfolgte seit je einen innovativen, eigenwilligen Ansatz, findet ihre Motive mitunter auf Schrottplätzen und Müllkippen. Einen ganz eigenen Charakter gewinnt ihre Malerei nicht zuletzt auch durch die lebhafte Einbeziehung zwischenmenschlicher Gegensätze. Die Albertina in Wien widmet ihr derzeit eine große Retrospektive. Unser Autor Sebastian C. Strenger besuchte Xenia Hausner in ihrem Wiener Atelier in der ehemaligen „Austria: Alpenmilchzentrale“ – und tauchte dort in ihren Kosmos ein.
Im Laufe meines Lebens fühlte ich mich immer wieder auch zu Malereien hingezogen, die ganz anders waren als meine – wie die von Cy Twombly oder Mark Rothko. Persönlich liebe ich die malerische Primitivität, belasse auf meinen Bildern sehr viel flächig und ganz bewusst grob. Es gibt zwar Gesichter, die sehr stark durchgearbeitet sind, aber es gibt eben auch lange, offene Strecken, in denen flächige, direkte Malerei passiert. Na klar, Lucian Freud hat grandiose Porträts gemalt – aber ich bin woanders. Bei Edward Hopper beispielsweise, was die Farbe und die Einsamkeit angeht. Und bei den jungen Künstlern gibt’s zum Beispiel Adrian Ghenie, der mich begeistert. Der hat eine Francis-Bacon-Vitalität und -Destruktion in seinen Bildern – und eben etwas sehr Irrationales, Spontanes, das mich interessiert.
Destruktion kommt bei mir vor, aber bei ihm ist ja die Destruktion zum Schluss der Bildinhalt. Bei mir findet die Destruktion im Vorfeld statt, im Arbeitsprozess. Im Sinne einer ununterbrochenen Zerstörung bei nachfolgendem Wiederaufbau: So funktioniere ich. Aber das, was wir zum Schluss bei mir im Bild sehen, ist etwas anderes als bei Bacon oder Ghenie. Bei ihnen ist die Destruktion ja am Ende ein ästhetisches Prinzip. Und da steh’ ich auch drauf.
Ja, wurscht! Ist halt so. So male ich. Die Malerei verändert sich ja auch und geht in eine andere Richtung. Aber das kann ich nicht kommentieren. Das will ich auch nicht analysieren. Das ist mein persönliches Magma. Das muss im Dunkeln bleiben.
Ich glaube, ich würde etwas ganz Triviales nehmen und würde versuchen, es radikal zu malen. Es könnte ein Schalter oder eine Kupplung oder irgend etwas ganz Alltägliches sein. Entscheidend ist die Vitalität der Umsetzung.
Ich war mehrfach in China, habe dort zum Beispiel im Shanghai Art Museum ausgestellt – Bilder mit rothaarigen, schwarzhaarigen und blonden Frauen. Wir sind dann bei der Eröffnung mit dem Bürgermeister durch die Ausstellung gegangen. Und er sagte: „Very interesting, all Self-Portraits?“ Das ist so lustig, denn da habe ich verstanden, die können unsere Gesichter individuell auch nicht entziffern. Ist man länger in Asien, sieht man sich ein, dann kann man jedes Gesicht individuell lesen. Und der Bürgermeister – deshalb komme ich jetzt überhaupt darauf – hat natürlich sofort auch gefragt: „Why don’t you paint Chinese people? Da habe ich gesagt: „Good idea!“
Es hat dann mal wieder einige Jahre gedauert. Ich habe dann viel fotografiert. Das tue ich ohnehin gern, weil so eine Stoffsammlung, ein Zettelkasten entsteht – ein Fundus an Möglichkeiten eben. Das können auch Kabel, Schläuche oder Straßendeckel sein, die mich formal interessieren.
Ja und nein. Oft werden sie dann Bestandteil des Werks und finden sich in einem neuen Zusammenhang wieder. Der Kontext ist vielleicht verschoben. Drei Jahre nach der Shanghai-Schau habe ich dann eine Ausstellung gemacht, die hieß „Look Left – Look Right“. Da ging’s um ein dialogisches Prinzip. Asiatische Menschen und westliche Menschen in einer Gegenüberstellung. Aus dieser Serie sind in der aktuellen Schau in der Albertina einige Bilder zu sehen.
Ich habe gar keinen gezielten Blick irgendwohin. Mein Auge bleibt einfach begeistert hängen. Mich interessieren Bilder, Luftschächte, Kabelgewirr, Trafos – und alles, was das Leben an Spannendem zu bieten hat. Vor allem Menschen, egal ob westliche oder östliche. Ich habe da eine Neugier und eine Begeisterung. Außerdem muss man wissen: Die jungen chinesischen Maler greifen zwar die Themen aus ihrem kulturellen Hintergrund auf, aber ästhetisch sind sie oft West-Überflieger! Sie haben sehr schnell verstanden, was der westliche Kanon ist. In ihrer zeitgenössischen Kunst verbinden sie westliche Ästhetik mit asiatischen Inhalten. Es ist eben eine total globalisierte Kunstwelt.
Na ja, zu Haus gab’s einen Vater, der Maler war …
Das war bei uns so, wie in jedem anderen Künstler-Haushalt auch: Kunst war etwas Gewöhnliches, jedenfalls nichts Weihevolles oder Bewundernswertes – Kunst war das tägliche Tischgespräch. Bei Ärzten ist das prinzipiell nicht anders. Die reden den ganzen Tag über Medizin und ihre Kinder werden oft Mediziner. Kunst war bei uns einerseits das Gewöhnlichste, aber es hat eben auch die nötige Begeisterung dafür gegeben. Und ja: Es war mir als Kind oft langweilig im Museum, ich habe dann zwar rebelliert, aber trotzdem oft auch Mitreißendes erlebt.
Mir ist das gar nicht aufgefallen. Das war die Normalität.
Man muss das so verstehen: Die Bildinhalte, die dort im Atelier gemalt wurden, waren für mich Alltag – und immer schon da. Ich habe das alles gar nicht hinterfragt. Ich hatte ein kleines Dreirad, mit dem bin ich im Atelier immer um den Vater an der Staffelei herumgefahren. Ich erinnere mich: Einmal war auf einem Bild sehr viel Grün – und mir war das fad, ich wollte es bunter haben. Ich bin dann wieder eine Runde gefahren und hab gesagt: „Papa, nimm endlich Rot!“ Es war nicht so wichtig, was auf dem Bild zu sehen war. Eine Hieronymus-Bosch-Märchenwelt war das vielleicht. Vielleicht hatte sie etwas Bedrückendes oder Düsteres. Aber ich habe das nicht so bemerkt: Das war einfach so. Wir reden ja jetzt von den späten Fünfziger- bis Sechzigerjahren – vor allem von den späten Fünfzigern: Wir hatten kein Geld, es waren beengte Verhältnisse und eine Erfolgsstory war nicht in Sicht. Und Wien hatte zu dieser Zeit diesen Ost-Look. Aber ich habe auch keinen anderen Look gekannt. Und wir waren so eine kleine Zelle – Vater, Mutter, Kind – und haben symbiotisch zusammengelebt. Meine Mutter hat auch mitgearbeitet, bei Kunst am Bau, hat Steine gezwickt und Mosaike damit gelegt. Später erst hat die Erfolgsgeschichte ihren Lauf genommen.
So mit 14 Jahren wollte ich einfach nur weg. Bedrückend ist ein interessantes Wort, das ist mir damals richtig aufgefallen. Es gab eine gewisse Düsternis bei uns zu Hause. Ich habe damals immer Kinder beneidet, die Geschwister hatten und Eltern mit einem normalen Beruf. Die sind heimgekommen, ihr Job war zu Ende und sie hatten gute Laune. Das gab es bei uns nicht, es gibt ja auch keine Trennung von Kunst und Leben. Je nachdem, ob ein Ateliertag gelungen war oder nicht, war die Laune bei Tisch besser oder schlechter. Aber ich würde meinen, alle Kinder, die in Künstler-Haushalten aufgewachsen sind, erzählen Ähnliches.
Ja, verrückt. Ich habe mich sehenden Auges für dieses Leben entschieden und möchte auch kein anderes haben. Es gab keinen Schlüsselmoment, nein. Es ist passiert. Ich habe zuerst Bühnenbild gemacht und gar kein Bedürfnis nach Malerei verspürt. Die Malerei war verschüttet oder verdrängt – oder was auch immer.
Na, was sie mich eben haben machen lassen, damals. Das konnte man sich nicht aussuchen! Ich habe als Jahrgangsbeste einen Assistentenjob am Burgtheater bekommen. Und dann habe ich mich da halt reingekniet. Allerdings gab es in der Zeit eigentlich noch nirgerndwo Bühnenbildnerinnen. Das war alles männerdominiert. Das hat mich damals schon geärgert.
Bei der Malerei! Trotz improvisierter Settings für meine Bilder: Die haben mit Theater nichts zu tun – auch wenn das gern hineininterpretiert wird. Für mich ist Malerei die ultimative Freiheit: hier hast du eine weiße Platte – und jetzt mach etwas daraus. Ich bin vielleicht überhaupt nur zum Theater gegangen, weil mich bestimmte Zusammenhänge immer schon interessiert haben – visuelle und auch zwischenmenschliche! Aufgegriffen habe ich das dann erst später in einer stringenteren Form. Ich male jetzt diese zwischenmenschlichen Beziehungen, für die ich auch das Skript liefere. Und dafür gibt’s eben Settings, die ich baue. Aber das sind letztlich nur nebensächliche Vorstufen. Was am Ende allein zählt, ist das Bild: Rot, Blau, Grün – und mit welcher authentischen Energie ich mich an einem Futon oder an einem Ohr abarbeite und in welcher Gewichtung die Dinge zueinanderstehen.
Sie sind für mich funktionelle Bestandteile auf dem Weg zum Bild. Aber sie sind nicht gemeint als Installationen, die einen eigenen ästhetischen Stellenwert haben. Für mich sind sie funktioneller, interimistischer Schrott!
Das ist doch alles nur Deklaration. Wenn einer kommt und sagt: Das ist für mich eine Installation, dann ist es für ihn so – ich sehe es anders. Die zeitgenössische Kunst ist in erster Linie eine Willenserklärung. Insofern habe ich nicht den Willen, das zur Kunst zu erklären. Man könnte meinen, es wäre der radikalere Ansatz, aber meine Radikalität muss in der Malerei stattfinden!