Johann Bernhard Fischer von Erlach war Architekt des Kaisers in Wien und errichtete dort berühmte Bauten. Auch der Barockstadt Salzburg hat er sich wie kein zweiter Künstler bis heute eingeprägt
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18.07.2021
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 187
Wer auf Salzburg herabschaut, und dazu gibt es in der von Bergen gesäumten Stadt genügend Möglichkeiten, wird immer etwas von ihm sehen. Und auch beim Blick über die Salzach auf die Silhouette der Altstadt bleibt man unweigerlich an der Kollegienkirche hängen. Auf der anderen Seite des Flusses setzt die Dreifaltigkeitskirche ihren Akzent. Weitere Gotteshäuser und ein Schloss sowie der Hochaltar in der Franziskanerkirche sind vom gleichen Künstler entworfen. Und zwei der berühmtesten Sehenswürdigkeiten wohl zumindest in der Konzeption: die Felsenreitschule und die Pferdeschwemme. Die Rede ist von Johann Bernhard Fischer von Erlach, dem Architekten, der Österreichs Barockarchitektur vor und nach 1700 prägte.
Johann Ernst Graf Thun, Fürsterzbischof von Salzburg, wurde um 1693 auf Fischer aufmerksam. Dieser war fünf Jahre zuvor von Lehrjahren in Rom zurückgekommen und hatte schnell Aufsehen erregt mit Wiener Adelspalästen, temporären Triumphpforten und einem kühnen Entwurf für Schönbrunn, der Versailles übertroffen hätte. Sein erster Auftrag in Salzburg galt der Neugestaltung der Seitenfassade des fürsterzbischöflichen Hofstalls. Das Gebäude ist heute das Festspielhaus und dadurch stark verändert, aber Fischers Gestaltung hat sich erhalten.
Der Clou ist das Portal, das Fischer in raffinierter Schichtung und Modulierung vor- und zurückschwingen lässt. Kurvierungen aus Konvex und Konkav spielen bei ihm immer eine Rolle; das hat er schon bei den römischen Vorbildern Borromini und Bernini genau studiert und treibt er gern zu höchst einfallsreichen Blüten. Es gibt kaum eigene Äußerungen von diesem Künstler, aber überliefert ist seine Absicht, immer etwas „Ungemeines“ zu erfinden: ungewöhnliche, neuartige, höchst wirkungsvolle Einfälle, die fast alle seine Entwürfe charakterisieren.
Es macht sich immer wieder bemerkbar, dass Fischer 1656 in Graz als Sohn eines Bildhauers geboren wurde und bei seiner Ausbildung in Rom zunächst diesem Metier nachging. Seine Architektur ist oft plastisch, ja körperhaft aufgefasst, außerdem spielen Steinskulpturen eine Rolle, die über das Dekorative hinausgehen. So auch am Hofstall, wo das Gebälk von nackten Kraftprotzen getragen wird, deren Torsi auf nach unten verjüngten Pfeilern sitzen („Hermatlanten“). Darüber spielt sich vor einer Schmuckädikula, auch sie nicht ohne Exzentrik, eine theatralische Trias aus Figuren und einer Vase ab.
Fischer hatte damals seine erste Erfolgssträhne. Er habe „vierzehn große Werke unter den Händen“, schrieb er. 1689 war er zum Architekturlehrer des Thronfolgers, des späteren Kaisers Joseph I., ernannt worden. Dessen amtierender Vater Leopold I. verlieh dem aufstrebenden Fischer den Adelstitel „von Erlach“, der Sohn und Nachfolger übertrug ihm 1705 die Oberaufsicht über alle kaiserlichen „Hof- und Lustgebäude“. Schloss Schönbrunn bei Wien wurde später unter Maria Theresia zwar verändert, doch stammt das österreichische Versailles in der Konzeption und allen wesentlichen Fassadengliederungen von Fischer.
Für Kaiser Karl VI., der 1711 seinem früh verstorbenen Bruder Joseph nachfolgte, baute er in Wien die Karlskirche und die Hofbibliothek, denen er mit tektonischer Monumentalität, gewaltigen Säulen und Anleihen aus der römischen Architektur eine imperiale Wirkung verlieh. So entwickelte Fischer erstmals einen „Kaiserstil“ für die Habsburgermonarchie. Bei seinem Tod 1723 war er eine europäische Berühmtheit.
Fischer war in Prag sowie in Böhmen und Mähren aktiv. Im schlesischen Breslau, das damals noch zu Österreich gehörte, fügte er dem Dom die Kurfürstenkapelle an, deren raffiniertes Zusammenspiel von Säulen, Pilastern und Kuppelaufbau Goethe 1790 so bewunderte, dass er stundenlang davor verweilte. Fischers Arena aber war Wien, das sich damals in der Konkurrenz internationaler, vor allem italienischer Architekten mit höchst ehrgeizigen Österreichern in eine Metropole des römisch und französisch geschulten Spätbarocks verwandelte. Hier lebte und arbeitete Fischer, neben seiner Tätigkeit für die Habsburger baute er Stadtresidenzen und Gartenpalais für die wichtigsten Adelsfamilien.
Neben Wien hinterließ Fischer die meisten Spuren in Salzburg: Fünfzehn Jahre, von 1694 bis 1709, stand er im Dienst von Erzbischof Thun, der mit den Bauten des angehenden Stararchitekten seiner Residenzstadt ein neues Gesicht verleihen wollte. Die Dreifaltigkeitskirche, integriert in die breite Fassade des Priesterseminars, war Fischers erster Sakralbau. Auch hier das Spiel mit den Kurven: Die Fassade schwingt zwischen den Türmen fast halbkreisförmig zurück, während sich darüber das Tambourgeschoss und die Kuppel kräftig aufblähen. Wirkungsvoll akzentuiert das Würdemotiv der Doppelsäulen die Mittelachse. Bei allen Innenräumen seiner Kirchen lotete Fischer aus, wie sich der längsgerichtete Longitudinalbau mit der Tendenz des Zentralbaus verbinden lässt. Hier ist es ein großes Längsoval (ein typisches Fischer-Element), durchstoßen von zwei mittigen Kreuzarmen.
Mit der Kollegienkirche, dem Gotteshaus der Universität, katapultierte sich Fischer mit einem Schlag in die erste Reihe der europäischen Architekten seiner Zeit. Die Fassade ist von einem Relief zarter Pilaster überzogen, umso kräftiger und voluminöser wölbt sich ihr Mittelteil nach außen. Überraschend niedrig sind die kurvenreich dekorierten Türme, was die hohe Kuppel in ihrer Wirkung als Stadtkrone nur steigert.
Der Innenraum ist noch ungewöhnlicher, nämlich eine steile Raumschlucht, in der Proportionierung eher gotisch als barock. Die ganze Struktur ist zwar systematisch und geometrisch entwickelt, aber aus der Komplexität aus Pilastern, Arkadenbögen, Tonnengewölben, runden und längsovalen Kuppeln ergibt sich ein zunächst verwirrender Eindruck, der sich erst beim intensiven Hinschauen auflöst und die Virtuosität des Entwurfs offenbart.
Auch in den kleineren Bauten trifft man auf Fischers kreative Einfälle. In der Kirche des Johannesspitals sind es die Eckkurvierungen, die den Rechteckraum aufwerten. Beim Ursulinenkloster ist es die raffinierte Integration in den Stadtraum, sichtlich nach dem Vorbild der Piazza del Popolo in Rom. Wie dort verschmilzt die Fassade zwei spitz zulaufende Straßen und lässt mit den Seitentürmen die Häuserreihen beginnen.
Der völlig in Loggien geöffnete Mittelteil von Schloss Klessheim (heute ein Kasino) war ebenfalls „ungemein“ – im kalten Alpenklima allerdings so sehr, dass Johann Ernst von Thun schnell darauf drang, beide Geschosse mit Fenstern zu verschließen, was die Hauptidee des Gebäudes leider zerstörte. Nach dem Tod seines erzbischöflichen Auftraggebers kam der Architekt des Kaisers nie wieder nach Salzburg. Aber sie blieb eine Fischer-von-Erlach-Stadt. Bis heute.