Das geplante Deutsche Fotoinstitut ist vor der Bundestagswahl in die Sackgasse geraten – vor allem durch den Standortstreit zweier Städte. Dabei wird eine solche Forschungsstätte wegen der prekären Haltbarkeit des Mediums dringend gebraucht. Ein Kommentar
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22.09.2021
Die zeitgenössische Fotografie steckt in einer Krise. Man mag das kaum glauben angesichts ihrer Präsenz überall in Museen, Privatsammlungen und am Kunstmarkt. Cindy Sherman und Richard Prince, Nan Goldin und Wolfgang Tillmans, Andreas Gursky und Candida Höfer sind weltberühmte Stars. Sie haben den Weg dafür bereitet, dass die Fotokunst auch bei einer jüngeren, von den digitalen Medien geprägten Generation überall in der Welt populär ist. Das große Problem ist die Haltbarkeit der Farbfotografien, seien sie analog oder digital aufgenommen. Die C-Prints beginnen irgendwann zu bleichen, ihre Farben verändern sich, bei Großformaten können sich sogar unschöne Linien entlang der Papiernähte entwickeln. Besitzer, die wie bei Gursky schon Millionenbeträge für einzelne Werke ausgegeben haben, sind darüber nicht erfreut.
Auch wenn darüber niemand gern offen spricht: Die prekäre Haltbarkeit der Bilder bedroht den gesamten Markt der Fotokunst, angeblich lassen sich immer mehr Sammler davon abschrecken. Den Fotografen bleibt nichts anderes übrig, als Bilder für die Museen wie die privaten Käufer neu herzustellen. Problematisch ist in diesem Zusammenhang natürlich auch die langfristige Aufbewahrung in Archiven. Wie sollen diese mit den Abzügen umgehen? Welche Rolle kann dabei die Speicherung der digitalen Daten spielen? Und viele Fragen mehr. Es ist ein gewaltiger Komplex der Erhaltung von Kulturgut, und man wundert sich, dass die Idee eines zentralen Instituts, das sich mit diesen Fragen befasst, darüber forscht und einheitliche Maßstäbe entwickelt, in Deutschland erst so spät Konturen angenommen hat.
Im Jahr 2013 konzipierte der Fotospezialist Thomas Weski erstmals für Düsseldorf ein solches Institut. Natürlich bezog er sich auf die hier groß gewordenen Fotokünstler der »Becher-Schule« wie Höfer, Gursky oder Thomas Ruff, um nur die Spitze zu benennen. Damals versandete das Projekt, aber nach einer Berliner Tagung im Sommer 2019, zu der Kulturstaatsministerin Monika Grütters eingeladen hatte, kam Dynamik in die Angelegenheit. Grütters berief danach eine Expertengruppe, darunter Weski, zur Konzipierung eines Bundesinstituts für Fotografie. Schon im folgenden Frühjahr präsentierte das Gremium seine Ideen und plädierte für Essen als Standort, da es dort bedeutende Fotosammlungen und an der Folkwang Universität eine renommierte Ausbildungsstätte gäbe, außerdem mit der Zeche Zollverein einen geeigneten Standort, wo schon die Hochschule und andere Institutionen mit Fotobezug angesiedelt sind.
Düsseldorf hatte indes nicht geschlafen, sondern in einem eigens gegründeten Verein, in dem Andreas Gursky als treibende Kraft agiert, schon 2019 Fakten geschaffen, indem man sich Bundes- und Landesmittel von mehr als 80 Millionen sicherte. Zudem präsentierte die Stadt im März 2020 ein eigenes Konzept für ein Institut im Ehrenhof. So steigerte sich das Ringen der beiden Nachbarstädte. Es heißt, Animositäten zwischen einzelnen Beteiligten spielten dabei eine ungute Rolle. Jedenfalls gab Düsseldorf selbst dann nicht nach, als eine Machbarkeitsstudie, von Grütters in Auftrag gegeben, ebenfalls Essen den Vorzug gab.
Es war das letzte große Projekt, das die Ministerin vor der Bundestagswahl auf den Weg bringen wollte. Nun ist die Erfolgsbilanz einer Politikerin gewiss kein entscheidendes Argument für eine so wichtige Gründung. Aber eine Stärke Grütters’ war eben immer, wie sie solche Vorhaben in den Gremien der Berliner Politik durchbringen und die notwendigen Mittel dafür sichern konnte. Darum lief auf einmal die Zeit. Da sich die Fronten immer weiter verhärteten, suchten Grütters und die nordrhein-westfälische Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen den Kompromiss und schlugen vor, beide Städte zu beteiligen. Bei einem Spitzengespräch Mitte August in Berlin hätte es die Chance zu einer finalen Einigung gegeben. Dann sagte aber Düsseldorfs Oberbürgermeister in letzter Minute seine Teilnahme ab. Die Runde fand mit den Vertretern aus Essen trotzdem statt, aber ohne Düsseldorf (und seine Geldmittel) kam man auch nicht weiter.
Jetzt findet kommenden Sonntag die Wahl statt, und niemand weiß, wer künftig die Bundeskulturpolitik bestimmen wird. Für Grütters stehen nach derzeitigem Ermessen die Chancen nicht sehr gut. Womöglich hat das Fotoinstitut unter den neuen Konstellationen gar keine Chance mehr. Man war so nah dran, aber jetzt kann es durchaus sein, dass der unselige Städtestreit, vor allem die Unnachgiebigkeit Düsseldorfs dem Projekt den vorzeitigen Todesstoß versetzt hat.
Indessen schlafen die wenigen Fotorestauratoren, die es in Deutschland gibt, sowie die Labore für Fotokunst wie Recom Art in Berlin nicht, sondern experimentieren ständig mit neuen Verfahren und Materialien. Unter dem Dach der Deutschen Gesellschaft für Photographie etablierten sich das »Netzwerk Fotoarchive« und die Arbeitsgruppe »Erhalt von zeitgenössischen Photographien«, wo sich die Spezialisten auf hohem Niveau austauschen. Während der politischen Denkpause – die jetzt hoffentlich nur eintritt – sollten die Beteiligten in Essen wie Düsseldorf erkunden, wie ein künftiges Fotoinstitut von der dezentralen Kompetenz profitieren kann, ohne dabei den kommerziell arbeitenden Laboren das Wasser abzugraben. Manchmal ist die Verschiebung eines Projekts auch eine Chance und dient der Verbesserung des Ganzen.