Die Auswahl an Gemälden des Niederländers Herman III Saftleven auf dem Kunstmarkt hat in den vergangenen zehn Jahren nachgelassen – doch zu beobachten ist eine Verteuerung von Spitzenqualitäten
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24.09.2021
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 14
Wie vom Maler beabsichtigt, folgt der Blick von erhöhtem Augenpunkt einem gewundenen Flusslauf, der zur in kühlen Blautönen verschwimmenden Bildtiefe führt; am zuverlässig linken Ufer unterbrechen im Mittelgrund vielleicht ein reich staffiertes Dorffest, das geschäftige Treiben der Bauern oder der Arbeiter einer Hafenanlage die rigorose Führungslinie. Und weil Herman Saftleven (Rotterdam 1609 – 1685 Utrecht) die immer gleichen Kompositionsmuster besonders seiner Rheinlandschaften hinter einem mannigfaltigen Aufgebot an Detaillösungen kaschierte, bestellten seine Kunden nicht selten gleich ein passendes Gegenstück dazu, das die vertrauten Motive behutsam variierte, ohne die Fantasie des Malers oder gar des Käufers zu überfordern. Die große Zahl dieser vor allem seit den 1650er-Jahren entstandenen Arbeiten wie auch sein Verharren in den Grenzen seiner Spezialisierung sprechen eigentlich dafür, dass er nach der Orientierung an so unterschiedlichen Vorbildern wie Abraham Bloemaert, Jan van Goyen, Pieter de Molijn oder den Italianisanten Cornelis van Poelenburgh und Jan Both mit seinen dicht bevölkerten Flusslandschaften eine dauerhaft einträgliche Marktnische gefunden hatte, die wenig Raum ließ für Ausflüge in andere Themenbereiche. Daher war die Standardisierung seiner Produktion vermutlich die einzig praktikable Antwort auf die gewachsene Nachfrage.
Herman Saftleven stammte aus einer Rotterdamer Künstlerfamilie. Sein Vater war vor allem als Historienmaler hervorgetreten, sein älterer Bruder Cornelis mit christlichen und bäuerlichen Themen. Seine Ausbildung erhielt er im Atelier seines Vaters. 1632 ließ er sich in Utrecht nieder, heiratete und gründete eine Familie. Da ihm dort erst 1654 das Bürgerrecht zuerkannt wurde, wurde er zuvor auch nicht in der Lukasgilde geführt. Die dadurch zunächst eingeschränkten Netzwerke ersetzte ihm wohl seine Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Remonstranten, die, obwohl in den calvinistisch geprägten Niederlanden verfolgt, einflussreiche Persönlichkeiten zu ihren Mitgliedern zählte und ihm somit nützliche gesellschaftliche Kontakte bot. Dass Saftleven seit Beginn der zweiten Jahrhunderthälfte in Utrecht in hohem Ansehen stand, bezeugt auch seine wiederholte Wahl zum Dekan der Lukas-Gilde. Treu blieb ihm der Erfolg aber wohl nicht: Angeblich starb er hochverschuldet.
Die Auswahl an Gemälden Saftlevens hat in den vergangenen zehn Jahren nachgelassen – nicht nur in Bezug auf die Stückzahlen, sondern auch hinsichtlich der Qualität. Denn obwohl die Offerte mit rund 70 Losen um fast 20 Prozent abnahm, schnellte der Anteil der Rückgänge von einem Drittel auf deutlich über 40 Prozent. Mit dem schwierigeren Abverkauf korrespondiert die Zunahme von Transaktionen unter 10.000 Euro, die sich mittlerweile auf ein Viertel verdoppelt haben. Demgegenüber ist allerdings auch eine Verteuerung von Spitzen-Qualitäten zu beobachten; der Rekordzuschlag bei 220.000 Dollar, der 2008 bei Sotheby’s, New York, für eine „Landschaft mit Reisenden“ erteilt wurde, blieb seither zwar unerreicht, doch dafür zeigten die Bieter nun größere Bereitschaft, wenigstens Preise über 50.000 Euro zu akzeptieren. Immerhin konnten sieben Gemälde über diese Schwelle gehoben werden, vor 2011 war dies trotz breiterer Offerte nur viermal gelungen.
Zahlen in dieser Höhe lassen sich weiterhin vor allem in London und New York realisieren, doch auch im deutschsprachigen Raum werden Saftlevens Bilder rege gehandelt. Immerhin 40 Prozent der Ware werden dort angeboten, während das Engagement deutscher Häuser derzeit rückläufig ist und nur noch bei gut 10 Prozent liegt. In der Offerte dominieren die seit den 1650er-Jahren in großen Stückzahlen entstandenen Rheinlandschaften in meist kleineren Formaten, wobei überwiegend Datierungen aus den Sechziger- und Siebzigerjahren auf den Markt gelangen. Angesichts der Homogenität der Offerte in Themenwahl und Standard der Ausführung ist vor allem der Umfang der Staffagen preisbestimmend. Gleich zwei Spitzenwerte notierte Sotheby’s, London, 2012 mit zwei Sätzen korrespondierender „Rheinlandschaften“. Im Dezember verbesserten sich dort zwei postkartengroße Kupfertäfelchen mit einer Morgen- und einer Abendstimmung von vorgeschlagenen 20.000 auf 55.000 Pfund, zuvor im Juli war ein allerdings annähernd doppelt so großer und ungleich opulenter staffierter Satz von 50.000 sogar auf 70.000 Dollar gehoben worden. Eines dieser beiden Motive, eine „Rheinlandschaft mit vielen Figuren vor einer Taverne“, tauchte im Februar 2018 in der New Yorker Filiale noch einmal auf; nur unwesentlich breiter und auf Kupfer gemalt, war die 1663 datierte Ansicht inzwischen allerdings topografisch zugeordnet. Insofern schien der muntere Preisvorschlag von 120.000 Dollar nicht einmal unberechtigt, dennoch musste der im Titel so detailliert beschriebene „Blick auf Linz am Rhein mit Lastkähnen beim Entladen am Kai, in der Nähe ein Gasthof“ bereits 10.000 unter Taxe abgegeben werden.