Gezeichnet, gemalt, aber selten gesehen: Wie das Nashorn seinen Platz in der Kunstgeschichte einnimmt
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27.09.2021
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 15
Wenn das Rhinozeros, das schlimme / Dich kriegen will in seinem Grimme / Dann steig auf einen Baum beizeiten / Sonst hast du Unannehmlichkeiten“, reimte einst Wilhelm Busch. Und in Afrika sagt man: „Sprich nicht vom Nashorn, wenn kein Baum in der Nähe ist“. Die Vignette, die Busch dazu zeichnete, verrät, dass ihm das Tier durchaus vertraut war. Schließlich konnte man es in den Zoologischen Gärten bestaunen. Seit 1856 war eines im Tiergarten Schönbrunn zu sehen. Und Berlin besaß 1878 immerhin fünf Nashörner. Das war durchaus ein teures Vergnügen. Dresden musste 1873 für ein Exemplar 12.000 Mark bezahlen. Und Hagenbeck verlangte 10.000 Mark für ein Tier (rund 600 Mark verdiente damals ein Arbeiter im Jahr.) Das konnten sich nur die gut dotierten Zoos in den großen Städten leisten. Und deshalb war der Besitz auch eine Frage des Prestiges, stadtbürgerlich gewendet.
Dreieinhalb Jahrhunderte zuvor hatte das nicht anders ausgesehen. Da demonstrierten Könige mit dem Besitz von exotischen Tieren, dass ihnen auch ferne Weltgegenden untertan waren. König Manuel I. von Portugal hielt in seiner Menagerie mehrere Elefanten und Löwen, außerdem einen Leoparden sowie Gazellen, Antilopen und Affen. Und im Mai 1515 kam nach einer Seereise von 120 Tagen ein Rhinozeros dazu. Sultan Muzaffar II. von Gujarat hatte es Afonso de Albuquerque, dem Gouverneur von Portugiesisch-Indien geschenkt, der es seinem König schickte. Das war nach gut einem Jahrtausend das erste Nashorn, das wieder nach Europa kam. Und das seinen Nachruhm bis heute Albrecht Dürer verdankt. Aber dazu später.
Seit 186 v. Chr. der römische Konsul M. Fulvius Nobilior zu seinem Triumph im Circus Maximus die erste Tierhatz organisierte – einen Kampf zwischen Panther und Löwen – gehörten exotische Tiere zu den Spielen. Denn neben den einheimischen – Stieren, Hunden, Ebern, Bären – mussten es, um dem Volk von Rom zu imponieren, Tiger, Leoparden, Panther, Elefanten, Flusspferde, Krokodile, Antilopen – und eben auch, wenngleich selten, Nashörner sein. Sie wurden aufeinandergehetzt oder Gladiatoren traten gegen sie an – meist mit geringen Überlebenschancen. Und Verbrecher, zur „damnatio ad bestias“ verurteilt, wurden ihnen gleich waffenlos ausgeliefert. Da der Bedarf groß, der Nachschub – meist aus Afrika – schwierig, die Beschaffung teuer war, begnügte man sich oft auch mit einer Art Dressur oder der reinen Schaustellung. Trotzdem gerieten die Spiele wiederholt zu einem Gemetzel. So soll Kaiser Commodus einmal fünf Nilpferde, ein andermal zwei Elefanten, eine Giraffe und mehrere Nashörner getötet haben – allerdings aus sicherer Position. Obwohl Kaiser Konstantin die Venationes offiziell verbot, fanden solche Tierhatzen noch bis in 6. Jahrhundert statt. 523 ist die letzte nachzuweisen.
In Bildern spiegelt sich das kaum. Aus spätrömischer Zeit sind Nashorn-Mosaiken aus dem 4. Jahrhundert in der Villa Romana del Casale auf Sizilien und einer Villa in Lod unweit von Tel Aviv zu sehen. Recht häufig begegnet man dem Tier dagegen auf Münzen. Kaiser Domitian ließ 84/85 n. Chr., um die Plebs daran zu erinnern, dass ihm die Nashörner in der Arena zu verdanken sind, ein Exemplar auf die kleinste Münze – einen Quadrans – prägen. Martial hat das in seinem Liber De Spectaculis poetisch verklärt. Im Münzhandel wird dieses bronzene Viertel-Ass häufiger angeboten und gegenwärtig mit 40 bis 275 Euro bewertet.
Recht karg sind auch die literarischen Quellen. Erstmals erwähnt wurde das Nashorn im 2. vorchristlichen Jahrhundert von dem griechischen Geschichtsschreiber Agatharchides. Er erzählt bereits von einem Kampf zwischen Rhinozeros und Elefant, bei dem das Nashorn seinem Feind von unten tödlich den Bauch aufschlitzt – nachdem es zuvor sein Horn an einem Stein scharf gewetzt hatte. Plinius, der nie ein Nashorn gesehen haben soll, hat diese Version übernommen. König Manuel, der sehen wollte, was von dieser Feindschaft zwischen Nashorn und Elefant zu halten ist, erlebte allerdings eine Enttäuschung, als er Elefant und Nashorn gegeneinander hetzen ließ. Der Elefant flüchtete sich in seinen Stall und das Nashorn gab sich gelangweilt.
Aber der Geschichte tat das keinen Abbruch. Dürer schilderte sie unbesehen im Text auf seiner Zeichnung wie auf seinem Holzschnitt. Und er setzte auch ganz unbesehen das Tier selbst ins Bild. Angeregt durch einen Brief, in dem es beschrieben wurde, und wahrscheinlich auch von einer verschollenen Zeichnung. Denn das Nashorn aus Lissabon war jämmerlich in einem Sturm vor La Spezia mit dem Schiff untergegangen, mit dem König Manuel es als diplomatische Gabe an Papst Leo X. – dem er zuvor bereits den Elefanten Hanno geschenkt hatte – weiterreichen wollte, um dessen Wohlwollen für die portugiesischen Besitzungen in Indien zu gewinnen.
Heute mag es zwar eigenartig scheinen, ein Tier zu zeichnen, das man nicht gesehen hat, doch ungewöhnlich war das damals nicht. Auch nicht für Dürer. Schließlich sind seine Zeichnungen von Delfin, Kamel, Dronte, Krokodil und Löwe (vor der Reise in die Niederlande) ebenfalls Fantasiestücke oder Übernahmen aus zweiter Hand. Man kannte keine Scheu, Kraft der Einbildung und mit mehr oder weniger Vorstellungskraft ins Bild zu setzen, was Reisende berichtet hatten, was man in den Bestiarien oder Büchern wie dem Physiologus, der die Tierwelt beschreibt und zugleich christlich deutet, lesen konnte. Deshalb bevölkern die eigenartigsten Elefanten Buchmalereien und Gemälde, sieht man allerhand seltsame Tiere auf frühen Holzschnitten, erscheinen Strauß, Kamel, Giraffe eher fantastisch als realistisch. Dagegen war selbst Conrad Gessner nicht gefeit, der seit 1551 in den vier Bänden seiner Historia animalium (und zwei weiteren posthumen) die Tierwelt enzyklopädisch zu erfassen versuchte. Neben gut 1000 existenten Arten begegnet man da – wenngleich im Text distanzierend beschrieben – noch Basilisk, Meermönch oder gehörnten Hasen. Denn Gessner stützte sich auf die unterschiedlichsten Quellen und Vorlagen. Und dazu gehörte selbstverständlich Dürers „Rhinocer“ (wie sein Kopf eines „Walrus“, den er wahrscheinlich als Präparat gesehen hatte).