Im Museum Brandhorst in München erkundet die Künstlerin Alexandra Bircken die Schnittstellen zwischen Raum und fleischlicher Existenz
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27.10.2021
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 191
Für ihre Arbeit „Ursprung der Welt“ geht Alexandra Bircken noch ein bisschen weiter als Gustave Courbet vor 155 Jahren. Der Franzose malte für einen Sammler unter diesem Titel eine pornografische Provokation: ein weibliches Geschlecht in Nahsicht. Die Künstlerin blickt tiefer – und fördert ihre eigene Plazenta zutage, die sie 2017 zu einer Skulptur gemacht hat.
Provozierend ist auch das, aber anders. Bedient wird nicht wie im 19. Jahrhundert ein männlicher Voyeurismus, sondern Bircken erhebt Anspruch auf den eigenen Körper. Würde er zweihundert Jahre später weiterhin künstlerisch verwertet, dann bitteschön nach ihren Vorstellungen. Und wer nun, halb fasziniert und halb pikiert, in das Glas mit den schwebenden Innereien schaut, wird jenseits erotischer Fantasien mit biologischen Tatsachen konfrontiert: mit Sex, Schwangerschaft, Geburt.
Im Museum Brandhorst ist das kleine Glas von „L’origine du monde“ im Vergleich zu anderen Arbeiten aus Birckens Atelier schnell zu übersehen. Den Blick fangen Objekte wie ihr präzise zersägtes Motorrad „RSV 4“ ein oder ein Vorhang aus dicken, dunklen Fäden, die sich an manchen Stellen assoziativ verflechten. Sehr haptisch und auch ein bisschen unheimlich, wie die Gebilde im Netz hängen. Dennoch steht das Körperpräparat exemplarisch für die Methode der Künstlerin, deren Werk umfassend in München ausgebreitet wird. Fast immer geht es um Sinnverschiebungen. Manchmal geschieht das mit einem Schnitt, der das Innere von Motoren oder Waffen freilegt, sie unbrauchbar macht und gleichzeitig zum Readymade erhebt. Genauso gern aber widmet sich Bircken den Fetischen des Alltags, von der Nylonstrumpfhose über das Auto bis hin zum Latexanzug. Ihre Kunst legt mögliche Konnotationen frei. Plötzlich stehen sie im Raum wie der berüchtigte Elefant.
Die große Soloschau im Untergeschoss des Hauses verfolgt dieses Vorgehen konsequent durch die jüngere Zeit. Sie heißt schlicht „A–Z“ und hält für nahezu jeden Buchstaben aus dem Alphabet eine Arbeit oder einen Begriff bereit – von „architektonische Intervention“ bis „Warrior“, dem Bronzeabguss zweier Hockeyhandschuhe, deren Form ein wenig an Granaten erinnert. Nach dem Rundgang fühlt man sich mit dem Œuvre der hochgelobten Künstlerin seltsam vertraut. Viele Materialien kehren wieder, das Virile ist ebenso durchgehend Thema wie die Verletzbarkeit des Menschen. Nicht einmal die ledernen Panzer, die sich Motocross-Fahrer für gewöhnlich überziehen, machen sie unverwundbar.
Manches vermittelt seine Botschaft so offensichtlich, dass es über das Anekdotische kaum hinausweist. Wenn Alexandra Bircken, die seit 2018 an der Kunstakademie in München Bildhauerei lehrt, die leeren Hüllen und Knäufe luxuriöser Schaltknüppel an die Wand nagelt, liegt der Sinn buchstäblich auf der Hand. Natürlich geht es um die Faszination für PS-starke Motoren und die phallische Silhouette jener Knüppel, mit deren Hilfe sich das Fahrzeug steuern respektive beherrschen lässt. Dass sie nun erschlafft und wie Trophäen präsentiert werden – und jede von ihnen einen männlichen Namen trägt –, reizt zum Lachen. Mehr nicht. Weit besser ist Bircken, wo sie subtiler vorgeht. Wenn sie etwa die Schutzkleidung von Motorradfahrern wie Bärenfelle ausbreitet oder derart ausstopft, dass der Anzug körperhafte Züge annimmt, bevor er in der Haltung eines Embryos unter der Museumstreppe landet und dort einen unsanften Sturz simuliert.
Die Haut der Skulptur „Storm“ (2013) ist Hülle und zugleich Signum, weil jeder Fahrer seine Kluft individuell gestaltet. Auch mit den Schrammen seiner Stürze, die sich in die farbigen Lederstücke graben. So gesehen erzählen diese ihre Geschichten von Versehrtheit über die Oberfläche – und für letztere hat sich Bircken schon interessiert, als sie 1990 am Central Saint Martins College zu studieren begann. Nach ihrer Zeit an dem renommierten Modeinstitut gründete sie 1995 mit ihrem damaligen Partner Alexander Faridi in London das Modelabel Faridi, es folgte ein Engagement in Paris als Designerin für Jean-Charles de Castelbajac. Doch um das Jahr 2000 ging Bircken nach Köln, entzog sich dem Druck „eines riesigen Apparates“, wie sie ihn von den Modeproduktion kennt, und begann mit Objekten, die „zwar immer noch körperbezogen sind, aber eine eigene Präsenz haben“. Das Ergebnis ist ein Gefühl von Freiheit – und Alexandra Birckens zweite Karriere als Künstlerin.
Ihre Faszination für Stoffe, Texturen und Webtechniken spiegelt sich in den frühen Assemblagen. Beispielhaft dafür steht »Spaceman« von 2005 als plastische Collage aus einem Zweig, in dem sich alles Mögliche verfangen hat. Oft sind das ausrangierte Dinge wie Fäden, Haare oder Reste von Gummi, in denen nach Ansicht der Künstlerin noch die Energie ihrer Herstellung wie der Funktion steckt. Ebenso bleibt es bei der Fokussierung auf Schnittstellen zwischen innen und außen, Haut und Raum, die Eigenschaften von hart und weich, auf Hüllen und darunter Liegendes – selbst wenn es nicht länger um Mode geht. Bircken verwendet Textilien, die ihre Funktion verloren haben; spätestens wenn sie Nylons zerschneidet und zu Wandbildern vernäht, deren Oberflächen so porös sind, dass der Blick zwischen den Schichten hin- und herwandert.
Ihre Objekte sind die eigentlichen Körper, das verwendete Material – ob Stoff, Metall oder Leder – markiert die Grenze zur Introspektion. Daher die Neugier auf das Innenleben diverser Maschinen, die Bircken nicht dekonstruieren will, wie sie in diversen Interviews betont. Ihr Interesse gilt dem Mechanischen, das sich tief im Stahl der Motoren abspielt und dennoch manchen Körperfunktionen ähnelt. Die Rippen der Klimaanlage im Museum überdeckt sie mit weißen Rippenknochen von Rindern, als verbärgen sich darunter die Organe der Institution. In einen der separaten Räume hat sie die Installation „Lunge“ gestellt, die lange vor der Coronapandemie entstanden ist: Eine dünne, rosafarbene Membran bläht sich langsam zum gigantischen Ball und fällt schließlich wieder in sich zusammen.
Es ist, als würde das Haus atmen und damit selbst zum Körper, dem Bircken wiederum ihre Arbeiten einverleibt. Eine schier unendliche Montage aus Pflanzen- und Maschinenteilen, Skiern und Textilem, die den Begriff der Skulptur noch einmal ins Somatische erweitern. Der eigene Körper ist ihre Referenz, ihn rückt Alexandra Bircken immer und bis an die Grenzen des Exibitionistischen ins Zentrum der Wahrnehmung. Und vielleicht ist dies auch der Schwachpunkt der Ausstellung, die quantitativ alles Vorangegangene sprengt. Denn die große Zahl der versammelten Skulpturen lässt ebenso sichtbar werden, dass sich neben den Materialien auch die Methoden wiederholen. Irgendwann auf dem Parcours durch die teils dennoch großartigen Werke fühlt es sich an, als habe man dieses oder jenes eben schon einmal gesehen – etwas variiert, aber doch ähnlich gedacht und gemacht. Am Ende fehlt der gedankliche Bogen, der aus den vielen Buchstaben eine Geschichte macht.
„Alexandra Birken: A–Z“,
Museum Brandhorst, München
bis 16. Januar 2022