Schwarze Glanztonkeramiken gehören zu den großartigsten Zeugnissen antiken Kunsthandwerks. Mit ihrer eleganten Farbe und durchdachter Funktionalität spiegeln sie die Lebenswirklichkeit der griechischen Antike
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05.10.2021
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 190
Keine Götter und Heroen, weder tapfere Krieger, mutige Wagenlenker noch feierliche Weihehandlungen: Die lebhaften schwarz- und rotfigurigen Vasenbilder der himmlischen und irdischen Welt der alten Griechen, die zu den Glanzleistungen der antiken Kunst zählen, fehlen auf der schwarzen Glanztonkeramik. Sie spiegelt auf andere Weise Lebenswirklichkeit und Alltag der griechischen Antike. Denn schwarzes, nur selten sparsam verziertes repräsentatives Geschirr wurde in erstaunlicher Formenvielfalt im 18. und 19. Jahrhundert in großen Mengen als Grabbeigaben der Oberschicht gefunden. 2019 haben die Antikensammlungen in München der schwarzen griechischen Glanztonkeramik unter dem Titel „Black is Beautiful“ eine Sonderausstellung gewidmet, die aktuell in ihrem Zweigmuseum, dem Pompejanum in Aschaffenburg, zu sehen ist. Man kommt aus dem Staunen nicht heraus, welch großartige Zeugnisse antiken Kunsthandwerks da zu bewundern sind. Gebrauchsgegenstände, deren formschöne Gestaltung und durchdachte Funktionalität alles weit überflügeln, was das Bauhaus unter dem Motto „Form follows function“ kreierte oder modernes Design heute hervorbringt. Schon der Begriff „Glanztonkeramik“ suggeriert, dass wir es nicht mit einfachem, stumpf wirkendem Tongeschirr zu tun haben. Die Beiträge im Katalog erläutern den in prähistorischer Zeit begonnenen Entwicklungsprozess, der in der griechischen Klassik des 5. und 4. vorchristlichen Jahrhunderts zu höchster Perfektion dieser Keramik geführt hat.
Griechische Töpfer arbeiteten längst vielerorts mit hochdifferenzierten Brennmethoden, bevor Athen im 6. Jahrhundert vor Christus den überregionalen Markt für Feinkeramik zu beherrschen begann. Von dort wurden Glanztongefäße in enormen Stückzahlen über viele Generationen in den gesamten Mittelmeerraum verkauft. Im Hellenismus etablierten sich dann lokale, von Griechen betriebene Werkstätten auch in verschiedenen Regionen Süditaliens, in Kampanien und im Umfeld etruskischer Zentren, deren Produkte in Haushalten räumlich und zeitlich weit darüber hinaus in täglichem Gebrauch waren.
Technisch haben die Töpferwerkstätten das aufwendige Herstellungsverfahren im 5./4. Jahrhundert zur Vollendung gebracht. Erst musste der gefundene Ton zur Säuberung geschlämmt, die abgeschöpfte, von größeren Bestandteilen befreite Tonbrühe eingetrocknet und über Wochen oder gar Monate gelagert werden. Das „Mauken“ erhöhte die Plastizität des Tons, aus dem die Töpfer ihre Gefäße formten. Nach dem Antrocknen wurde verdünnter Tonschlicker, der Glanzton, mit dem Pinsel über die gesamte, geglättete Gefäßoberfläche aufgetragen. Der trockene Untergrund saugte den feuchten Malton auf, so gingen Tongrund und Glanztonüberzug eine innige Verbindung ein. Anschließend wurden die durchgetrockneten Gefäße im Brennofen gestapelt, die Temperatur langsam und kontrolliert bis 900 Grad Celsius und behutsam weiter bis 950 Grad Celsius erhitzt. Dann hat man die Luftzufuhr gestoppt und den Ofen hermetisch verschossen, sodass im Inneren ein Sauerstoffdefizit entstand, auf das die Gefäßoberflächen mit einer chemischen Reduktion reagierten: Die Oberflächen des eisenhaltigen Tons färbten sich schwarz, eine Versinterung bzw. Verglasung fand überall dort statt, wo vorher der Glanzton aufgetragen worden war. Öffnete man nun den Ofen, strömte Sauerstoff ein, und die nicht versinterten Oberflächen reoxidierten und wurden wieder hell. Als zeitsparende Glanztonmethode wurden die Gefäße für die Massenfertigung seit der Spätklassik auch in flüssige Engobe eingetaucht.
Die griechischen Keramiker standen in Konkurrenz zu den Metallhandwerkern oder „Toreutikern“, deren prestigeträchtigere und teurere Produkte oft als Vorbilder für Tongeschirr dienten. Häufig lassen typische metallhandwerkliche Details, die bei Keramik keinen Sinn haben, Rückschlüsse auf Metallobjekte als deren Vorbilder zu, die nachzuahmen versucht worden ist.
Immer wieder erstaunen Vielfalt und Variantenreichtum der griechischen antiken Keramik. Dabei nehmen Trink- und Schenkgefäße zum Weingenuss breiten Raum ein sowie Behältnisse zur Aufbewahrung. Erstaunlich, wie durchdacht die Formen und Details aus deren Funktion und Gebrauch entwickelt sind. So verfügen große Wassergefäße über drei Henkel, zwei horizontale Griffe zum Anheben, wenn sie gefüllt recht schwer sind, und einen senkrechten, der das Ausgießen erleichtert. Die trichterförmige Öffnung ermöglicht ein rasches Befüllen am Brunnen. Trinkschalen sind so gestaltet, dass man sie bei den Symposien bequem im Liegen zum Munde führen konnte.
Obwohl die rein schwarzen Glanztongefäße vollendet erscheinen, hat man sie, dem Wandel des Zeitgeschmacks folgend, in der Nachklassik häufig mit farblich kontrastierendem Linien- oder Streifendekor, mit Palmettenfriesen als Stempeldekor oder mit plastischen Rippen, wie sie bei Metallgefäßen beliebt waren, verziert. Im Hellenismus verschwand die elegante Schlichtheit zugunsten szenischer Elemente. Da sich unzählige dieser herrlichen schwarzen Glanztonkeramiken erhalten haben, sind sie nicht nur in Museen zu bewundern, sondern im Antiken-Kunsthandel auch zu erwerben.
„Black is Beautiful. Griechische Glanztonkeramik“
Pompejanum, Aschaffenburg
bis 31. Oktober 2021