Biedermeier

Unser kleines Leben

In der Zeit des Biedermeiers sehnten sich die Menschen nach einer friedlichen, behaglichen Welt und suchten ihr Glück im Privaten. Die Münchner Maler verewigten die Epoche detailreich und mit einem Augenzwinkern

Von Gloria Ehret
22.11.2021
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 191

Es ist erstaunlich, dass die Kunst der Biedermeierzeit am großartigsten in den europäischen Residenzstädten Kopenhagen, Wien oder München gedieh und nicht in Handelsmetropolen wie Frankfurt, Leipzig, Augsburg. In München hatten die kunstsinnigen Wittelsbacher Herrscher entscheidenden Anteil daran. Denn die Blüte der Malerei erlebte dank zugezogener Künstler einen enormen Aufschwung. Im rund 2500 Mann starken Gefolge des pfälzischen Kurfürsten Karl Theodor, der 1777 die Erbfolge in München antrat, kamen der Hofgärtner Ludwig von Sckell, Schöpfer des Englischen Gartens, der Architekt Carl von Fischer oder die Malerfamilie Kobell aus Mannheim. Mit Max Joseph aus der Pfalz-Zweibrücker-Linie der Wittelsbacher, seit 1806 als Maximilian I. der erste bayerische König, folgte nach dem Verlust der linksrheinischen Gebiete an Napoleon eine weitere Künstlerschar aus Düsseldorf.

Spätestens Anfang der 1820er-Jahre bahnte sich eine realistische, auf Naturstudien gegründete Landschaftsmalerei in München an. Wie eng Ludwig I., der kunstsinnige Sohn Maximilians, sich seit seiner Jugend den Künstlern verbunden fühlte, zeigt Franz Ludwig Catels berühmtes Bild „Kronprinz Ludwig in der Spanischen Weinschenke zu Rom“. In fröhlicher Runde feierte er hier 1824 mit dem Bildhauer Thorvaldsen, dem Architekten Klenze, den Malern Philipp Veit, Julius Schnorr von Carolsfeld und anderen.

Fast zwanzig Jahre später, 1843, porträtierte Wilhelm Kaulbach den König volksnah in bürgerlicher Kleidung. Denn die Epoche zwischen dem Wiener Kongress 1815 und der Revolution von 1848 war von der konservativen Restauration geprägt und vermittelte das Wunschbild einer ungestörten Friedenszeit mit Wohlstand, Geborgenheit und privater Idylle, die auch der Adel für sich in Anspruch nahm. In den 1850er-Jahren kam in satirischen Gedichten der Münchner Zeitschrift Fliegende Blätter der Begriff „Biedermeier“ auf und setzte sich für eine Lebensform in „gemüthlicher Biederkeit“, für den Rückzug ins Unpolitisch-Private durch. Beides schlug sich auch in der Malerei nieder.

Biedermeier München
Helene Sedlmayr in Joseph Karl Steelers „Schönheitengalerie“, 1831. © Maria Scherf/Rainer Herrmann/Bayerische Schlösserverwaltung

Das allgemeine Erstarken des Bürgerlichen hielt Ludwig I. nicht davon ab, selbstbewusst zu tönen: „Ich, ich der König bin die Kunst von München.“ Tatsächlich hat er seine Residenzstadt entscheidend mitgeprägt. Er förderte die besten Künstler unabhängig von ihrer nationalen Herkunft oder Konfession. Viele davon lernten oder wirkten an der 1808 gegründeten Königlichen Akademie der Bildenden Künste. Hier wurden die hehren Werte der Kunst als Bildungsinstrument vermittelt. Ludwigs Liebe galt Italien, auch viele Münchner Maler zog es dorthin. In Rom, in der Campagna und auf Sizilien studierten, zeichneten und skizzierten sie die Landschaften, die sie später im Atelier zu idealisierten „Erinnerungsbildern“ komponierten.

Johann Georg Dillis wurde bereits 1814 vom Kronprinzen zu Kunstankäufen nach Italien geschickt, 1822 stieg der Maler zum königlichen „Central-Galerie-Direktor“ auf, lange bevor die von Ludwig ins Leben gerufene Pinakothek 1836 eingeweiht wurde. Unabhängig von diesen hohen beruflichen Weihen ließ Dillis in Vorgebirgslandschaften die Natur in flüssigem Farbauftrag erstrahlen. Als wahrer Naturfreund fing er das bayerische Oberland ohne Requisiten in ebenso schlichten wie grandiosen Licht- und Wolkenstimmungen ein. Wie Dillis begründeten damals Simon Warnberger, Johann Jakob Dorner, Max Joseph Wagenbauer und Wilhelm von Kobell mit ihrem unmittelbaren Verhältnis zur Außenwelt den Ruhm der Münchner Landschaftsmalerei. Oft wandten sie sich auch unspektakulären Motiven wie einem Steinbruch in der Isarlandschaft unter hohem, düsterem Himmel zu.

Akribische Detailfreude

Wilhelm von Kobell, 1766 in Mannheim geboren, seit 1793 in München und anfangs wie viele der holländischen Malerei zugewandt, schuf im Auftrag Ludwigs zwischen 1808 und 1815 eine Serie von zwölf Schlachtenbildern für den Bankettsaal der Residenz zu Ehren der bayerischen Soldaten in den napoleonischen Kriegen. Doch vollzog Kobell mit Nonchalance den Umschwung zur bürgerlichen Kunst. Seine in helles Licht getauchten „Begegnungsbilder“ zeigen schier regungslose Paare oder Figurengruppen in schaubühnenartiger Landschaft. Lange Schatten werfend, bevölkern sie die Umgebung am Tegern- oder Starnberger See, oft vor der Silhouette Münchens am fernen Horizont. Die Trachten und Uniformen gab Kobell so akribisch und detailliert wieder, dass seine Bilder später als Quelle der Volks- und Kostümkunde dienten.

Biedermeier München
Moritz von Schwind, „Gnomen am Zeh der Bavaria“, 1850. © Lenbachhaus

Auch Johann Heinrich von Bürkel war zwischen 1827 und 1837 mehrfach in Italien. Seine Zeichnungen und Ölstudien vor Ort kompilierte er wie die meisten seiner Kollegen im Atelier zu oft kargen Landschaften mit tiefem Horizont und weitem Himmel, darin Schäfer und andere Landbewohner als Staffagefiguren. Wie viele Maler damals von den Niederländern des 17. Jahrhunderts beeinflusst, entwickelte sich Bürkel zum Meister idyllischer, warmtoniger Genredarstellungen von biedermeierlicher Genauigkeit. Bis heute gesucht sind seine fein empfundenen Almbilder mit dunstigen Fernblicken. So wie die meisten Bilder der Münchner Malerei der ersten Jahrhunderthälfte kommen sie ohne falsche Sentimentalität oder humoristische Überspitzungen daher. Dies gilt auch für seinen berühmten, in mehreren Varianten gemalten „Italienischen Wanderzirkus“ auf dem Weg aus Bayern nach Italien mit Kamel, Bären, Wasserbüffel und Affe.

Zwischen Alpen und Antike

Singulär steht Carl Rottmann in der Riege der Münchner Landschaftsmaler. Ähnlich den Deutschrömern, verlieh er der Natur eine entrückte Erhabenheit. Für seine Fresken der Hofgartenarkaden schickte Ludwig den gebürtigen Heidelberger nach Italien und Griechenland. Denn mit Hellas war Bayern seit den Freiheitskriegen und der dortigen Thronbesteigung von Ludwigs zweitem Sohn Otto eng verbunden. Dafür komponierte Rottmann Ideallandschaften aus Einzelstudien und zitathaften Versatzstücken. Im Jahr 1841 stieg Rottmann zum Hofmaler auf. Ob Italien oder Griechenland, ob die bayerischen Alpen, der Kochel- oder der Alpsee: Stets sind seine einsam-heroischen Fernblick-Landschaften von grandiosen Licht- und Wolkenstimmungen überwölbt.

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