Der Vatikan ignorierte die Urheberschaft der italienischen Street-Art-Künstlerin Alessia Babrow – und ließ zahlreiche Oster-Briefmarken mit ihrem Motiv drucken
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07.11.2021
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 17
Audienz oder Geld? Die römische Street-Art-Künstlerin Alessia Babrow hat sich entschieden. Sie lehnte eine Audienz beim Papst ab. Stattdessen verklagt sie den Vatikan. Ihr Urheberrecht ist ihr wichtiger als die Nähe zum Stellvertreter Gottes auf Erden.
Der Konflikt entbrannte um eine Briefmarke des Vatikans, die ein Paste-up der Künstlerin abbildet. Babrow nutzte für ihr Werk eine im 19. Jahrhundert von Heinrich Hofmann geschaffene Ganzfigur Jesu, auf deren Brust sie die Anatomie eines Herzens mit dem Schriftzug „JUST USE IT“ montierte – ein Motiv, das die Künstlerin auch mit Symbolen anderer Religionen kombiniert hat. Babrow hatte das Paste-up 2019 an der Ponte Vittorio Emanuele II in Rom nahe des Vatikans angebracht. Es handelt sich hier also um ein Werk, das nicht für die Ewigkeit gedacht war.
Als Babrow von einem Freund auf die neue Briefmarke des Vatikans für Ostern 2020 aufmerksam gemacht wurde, die in Erstauflage 4 Euro kostete und 1,15 Euro Frankierwert besitzt, war sie schockiert. Die Briefmarke zeigte ihr Paste-up, versehen mit den Worten „Passua“, „Città del Vaticano“, „2020“ und „1,15“ in Graffitischrift, ebenso das Wappen des Vatikans. Sie nahm zunächst an, es handele sich um einen Scherz. Zwar wurde der Künstler Heinrich Hofmann im Zusammenhang mit der Briefmarke genannt und damit gewürdigt – nicht jedoch Babrow. Der Direktor des vatikanischen Amts für Philatelie und Numismatik berichtete dem Magazin Il Mio Papa, er habe das Werk gesehen, während er mit seinem Moped daran vorbeifuhr. Kurzerhand habe er mitten im Verkehr gestoppt und ein Foto gemacht. Um eine Erlaubnis zur Nutzung des Werks wurde Babrow allerdings nie gefragt.
Ein Jahr lang versuchte Babrow mehrfach, mit dem Vatikan in Kontakt zu kommen – persönlich und über ihre Anwälte. Über einen Vermittler bot man ihr schließlich eine Entschädigung in Form einer Audienz beim Papst an. Später dann noch dazu ein paar der Briefmarken und die Anerkennung ihrer Urheberschaft. Eine Urhebernennung allerdings hat der Vatikan nie vorgenommen, auch nicht, als die Identität der Künstlerin durch vielfache Zeitungsberichte über die Geschichte bereits bekannt war.
Somit entschied sich die Künstlerin für den Rechtsweg. Sie verklagt den Vatikan vor einem römischen Gericht durch die Rechtsanwälte Mauro Lanfranconi und Luigi Marcucci auf Schadensersatz. Sie fordern 36.800 Euro für immateriellen Schaden und mindestens 92.000 Euro für Vermögensschäden – der letztgenannte Betrag soll der Summe entsprechen, die der Vatikan durch den Verkauf der Briefmarken eingenommen hat. Durch die Tatsache, dass auf der Briefmarke Barlows Paste-up in Graffitischrift mit den Worten „Passua“ und „Città del Vaticano“ überschrieben wurde, habe der Vatikan sich das Werk nicht nur angeeignet, sondern noch dazu seine Bedeutung unwiederbringlich verzerrt. Die Künstlerin habe ihr „Herz“ ganz bewusst mit Symbolen verschiedener Religionen kombiniert – und eben nicht nur mit der christlichen. Damit habe sie Kritik gegenüber dogmatisch geäußerten Wahrheiten üben wollen. Doch diese Kritik laufe ins Leere, wenn der Vatikan – ein Gegenstand ihrer Kritik – das Werk umgedeutet in die Welt trage. Am 7. Dezember soll die erste gerichtliche Anhörung stattfinden.
Wäre der Fall nach deutschem Recht zu beurteilen, müsste man feststellen: Die Nutzung des Kunstwerks durch den Vatikan würde nicht etwa unter die Panoramafreiheit fallen. Diese kann unter Umständen gelten, wenn dauerhaft im öffentlichen Raum angebrachte, urheberrechtlich geschützte Werke fotografiert und dann vermarktet werden. Hier handelte es sich jedoch nicht um ein Werk von dauerhaftem Charakter. So oder so wäre in Deutschland ein Urhebernennungsanspruch gegeben – und das Recht des Urhebers, sein Werk nicht entstellt zu sehen. Das Co-Branding durch den Vatikan auf der Briefmarke geht allerdings durchaus in diese Richtung. Auch Unterlassungsansprüche wären nach deutschem Recht wohl gegeben. Im italienischen Recht gibt es ohnehin keine Panoramafreiheit. Und unabhängig vom endgültigen Urteil des Gerichts scheint es schon vor dem ersten Verhandlungstag festzustehen: An „die Nächsten“ hat der Vatikan bei der Gestaltung seiner trendigen Briefmarke nicht gedacht.