Schmuck von Andrew Grima

Griff nach den Steinen

Andrew Grima war ein König Midas des Swinging London. Mit seinem schrägen, exaltierten Schmuck begeisterte der Juwelier die Chelsea-Boheme wie auch das britische Königshaus. Jetzt entdecken ihn junge Stil-Freaks wieder

Von Alexandra González
20.12.2021
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 192

Zum 100. Geburtstag hätte man Andrew Grima kein kostbareres Geschenk machen können als die Wiederentdeckung seiner Schmuckkunst durch die Popkultur. So geschehen in der Juli-Ausgabe der Musiksendung „The ACS Show“. Man nehme eine Prise Retro-Charme, den das Soho House am Londoner Straßenzug The Strand im Überfluss bietet, eine eklektisch-experimentelle Playlist sowie einige brisante Themen aus dem Jetzt. Fertig war die Bühne, auf der zwei stilsichere Influencer und ein gut aufgelegter Talkgast die Grima-Juwelen zum Leuchten brachten: Die Moderatoren Ashton Gohil und Emmanuel Lawal – beide DJs, Musikproduzenten und britische Männermodels mit indischen beziehungsweise nigerianischen Wurzeln – präsentierten üppige Cocktailringe. Für die geladene Dragqueen Bimini Bon-Boulash, eine punkige Primadonna der Geschlechterfreiheit, durfte es noch eine Nummer größer sein: An ihrem Halsreif aus gebürstetem Gold schaukelte ein enormer urzeitlicher Ammonit, der im Zentrum mit einem Brillantenmedaillon akzentuiert war. Ziggy Stardust ließ grüßen! Wirklich bemerkenswert, wie nahtlos das Trio an Londons Vergangenheit als Hauptstadt toleranter Gesten und subkultureller Weltläufigkeit anknüpfte.

Grooviness im Schmuckdesign

Dem Juwelier Andrew Grima hätte diese Haltung ebenso gefallen wie die Renaissance seiner Preziosen. Er war ein König Midas des Swinging London, hatte die Ästhetik seiner Zeit früh verstanden und in den Sechzigerjahren im Schmuckdesign die Grooviness durchgesetzt. Groovy – das bedeutete, man fühlte sich nach den Entbehrungen der Nachkriegszeit schwungvoll, todschick und jederzeit bereit für die nächste Party. Grimas Klientel reichte von der Chelsea-Boheme bis in das britische Königshaus; heute schätzen Modeautoritäten wie Miuccia Prada und Marc Jacobs vor allem die Vintagestücke aus der Glanzzeit von 1960 bis 1980. Seit dem Tod des Gründers am 26. Dezember 2007 produziert das Familienunternehmen in Mayfair jährlich maximal dreißig Unikate nach Entwürfen seiner Witwe Jojo Grima und der gemeinsamen Tochter Francesca. Alle sprechen sehr deutlich Andrews Idiom und werden von versierten Goldschmieden handgefertigt, die der Manufaktur teilweise seit vierzig Jahren verbunden sind. Anlässlich seines Geburtstags am 31. Mai 1921 ist erstmals eine umfassende Monografie erschienen. „Andrew Grima. The Father of Modern Jewellery“ (ACC Art Books) wurde von William Grant, Jojos zweitem Ehemann, verfasst. Dass Grant seinem glamourösen Sujet in dieser Rolle eher unkritisch gegenübersteht: geschenkt. Viel beachtlicher ist die Hingabe, mit der er aus dem umfangreichen Firmenarchiv, den Erinnerungen der Familie und Zeitzeugnissen die komplexen Entwicklungsprozesse und Werkphasen zur einer bunten Erzählspirale gewunden hat.

Andrew Grima London Schmuck
Der Juwelier Grima 1971 vor seinem Schaufenster in der Jermyn Street im Zentrum von London. © Grima Archiv

Seine kreative Gabe wurde Andrew Peter Grima einfach in die Wiege gelegt. Der Großvater Andrea ein bedeutender Architekt, die Mutter Leopoldina Literatin und Spross der römischen Farnese-Dynastie, der Onkel Giulio Farnese ein aufstrebender Porträt- und Landschaftsmaler. In Palermo, wo sein Vater John Leinenstickereien fertigen ließ, genoss Andrew eine sorgenfreie Kindheit. Dann zwang der aufkommende Faschismus die maltesisch-italienische Familie zur Emigration nach London. Dort rissen seine Mitschüler dem bildhübschen, dunkellockigen Jungen zur Begrüßung die Perlmuttknöpfe von den Knickerbockern.

Frühe Verantwortung

Als sein Vater im englischen Exil buchstäblich den Verstand verlor, übernahm Andrew, gerade einmal 16 Jahre alt, die Verantwortung für die Familie. Er fand eine Anstellung als technischer Zeichner, aber auch Zeit für ein Turbo-Ingenieurstudium. Nach dem Zweiten Weltkrieg lernte er in einem Schreibmaschinenkurs seine künftige Frau Helène Haller kennen. Bei ihrer Heirat im Juli 1947 hatte er bereits in der Schmuckproduktion des Schwiegervaters seine Berufung identifiziert.

Schmuck Grima Kette
Andrew Grimas Topas-Anhänger „Molten“ von 1969 ist luxuriöser Glamrock. © Grima Archive

Die ersten Entwürfe für H.J. Company waren noch ein braver Art-déco-Nachhall aus poliertem Platin und Diamanten. Doch der Besuch von zwei brasilianischen Mineralienhändlern 1948 änderte alles. Grima überredete seinen Schwiegervater, aufs Ganze zu gehen und den gesamten Farbsteinkoffer zu erwerben. Eine Schatztruhe voller Aquamarine, Citrine, Turmaline und Amethyste im Rohzustand. „Halbedelsteine erlauben mir, in meinen Fantasien zu schwelgen, ohne dafür ein Vermögen auszugeben“, schwärmte er. Ein 50-karätiger Diamant gehöre in den Safe, ein 50-karätiger Topas hingegen könne zu Kunst werden. Stück für Stück entwickelte er seinen üppigen, abstrakten, skulpturalen Signaturstil, bei dem überdimensionierte, farbenprächtige Steine in ihrer ursprünglichen Schönheit geradezu aus der Goldfassung herauszuwachsen scheinen. Und das Gold, lebendig und feinporig, wirkt wie ein natürliches Nugget. Dies war kein Schmuck für den leisen Seufzer, sondern für ein lautes Wow. Ein gewisses Selbstbewusstsein der Trägerin vorausgesetzt.

Uhr Andrew Grima Omega
Für Omega entstand 1969 die extravagante Uhr „Greenland“. © Grima Archive

Hatte Andrew Grima in den Fünfzigern noch Mühe, den spätviktorianischen Mief aus den Schatullen der Briten zu vertreiben, gelang der Durchbruch 1961 mit der Teilnahme an der „International Exhibition of Modern Jewellery 1890–1960“. Alles, was die Schmucksphäre in den letzten 70 Jahren an Glanz und Gloria hervorgebracht hatte, war in der altehrwürdigen Londoner Goldsmiths’ Hall vertreten, darunter Hochkaräter sämtlicher Juweliere der Place Vendôme, Preziosen von Boivin, Fouquet, Verdura, Flato, markanter Künstlerschmuck von Picasso, Dalí, Arp, Calder. Aber die eigentliche Sensation lauerte im letzten Teil der Ausstellungen unter Glaspyramiden, die Tempelbauten aus einem Science-Fiction-Comic glichen. Hier demonstrierten zeitgenössische britische Schmuckdesigner wie John Donald, David Thomas, Gerda Flöckinger den Einfallsreichtum und die Experimentierfreude ihrer strikt gegenwartsbezogenen Ästhetik.

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