Der künstlerische Nachlass des früh verstorbenen Kölner Progressiven Franz Wilhelm Seiwert ging durch Kriegsverluste in Teilen verloren. Entsprechend schmal ist die heutige Offerte – und die Preisentwicklung zeigt aktuell deutlich nach oben
Von
06.12.2021
/
Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 19
Für Agitprop-Künstler gehörte er sozusagen zur Grundausstattung: der gebieterische Imperativ nebst bekräftigendem Ausrufezeichen! Auch der Kölner Maler und Grafiker Franz Wilhelm Seiwert (1894–1933 Köln) fand in den Bildüberschriften zu seinen Illustrationen für progressive Periodika wie den Sturm, Die Aktion und a bis z reichlich Verwendung für ihn. „Proleten erwacht!“, „Massen heraus auf die Straße!“ oder „Revolutionäre Jugend auf! Euch ist der Tag!“, forderte der engagierte Kommunist und Pazifist sein Publikum mit Nachdruck auf und ließ weder in seinen Schriften noch in seinen Bildfindungen Zweifel aufkommen, wo die Fronten im Klassenkampf verliefen: zwischen Staat und Untertanen, Unternehmern und Arbeitern /Arbeitslosen, Bürgertum und Proletariern und schließlich – hier entdeckte sich der Sozialromantiker – zwischen kalter Gesellschaft und warmer Gemeinschaft.
So eng Anliegen und Form in seinen Illustrationen programmatisch verbunden schienen, trat der auch Agitprop-Zwecken so dienliche Expressionismus seiner frühen Holzschnitte doch allmählich zurück. Jenseits der weiterhin explizit politischen Positionierung seiner Themen zeigt gerade das malerische Werk des Künstlers seit Anfang der Zwanzigerjahre seine bewusste Auseinandersetzung mit der Form. Dabei stützte er sich nicht auf rein ästhetische Kategorien, die er dem selbstreferentiellen und folglich asozialen Anspruch bürgerlicher Kunst zuwies und verächtlich als „schwatzhafte Geistigkeit“ abtat. Vielmehr suchte er für seine Mitteilungen den adäquaten Ausdruck „im Dienst der Unterdrückten“.
Die auf den plakativen Effekt gerichteten Bildmittel des Agitprop verwarf er dabei ebenso wie die heroisierende Monumentalmalerei des kleinbürgerlich-reaktionären „Sozialistischen Realismus“. Auch vom Kölner Dada-Kreis distanzierte er sich 1919 bereits im Vorfeld einer gemeinsam projektierten Ausstellung, da dieser ungeachtet seiner „dadaistischen Harlekinaden“ (O-Ton Seiwert) letztlich auch nur den bürgerlichen Kunstbetrieb bediente. Durch seine enge Freundschaft mit Heinrich Hoerle fand er zu einer von den Konstruktivisten inspirierten Formensprache. Mittels verfremdender Geometrisierung entindividualisierte er seine Figuren, Repräsentanten der „ausgebeuteten“ Arbeiterklasse zumeist, zu Stereotypen. Auf ihre zeichenhafte Grundform reduziert, tragen sie auch kein wirklich narratives Element, sondern funktionieren im Bild allenfalls als allegorischer Verweis auf Fremdbestimmtheit und Anonymität der Massen in einer modernen Industriegesellschaft. Darüber hinaus nehmen ihre rhythmische Anordnung zu nahezu uniformen Gruppierungen, ihre starre Verankerung im Bildgefüge sowie auch der additive Erzählmodus deutlichen Bezug zu mittelalterlichen Bildtraditionen auf.
Nach dem Besuch der Kölner Kunstgewerbeschule arbeitete der junge Seiwert bis zum Ausbruch des ersten Weltkriegs in einem Architektur-Büro. Durch die Freundschaft mit dem Philosophen Carl Oskar Jatho fand er Anschluss an die von diesem ins Leben gerufene Kalltalgemeinschaft im beschaulichen (und den Argus-Augen der wilhelminischen Obrigkeit angenehm entrückten) Eifeldörfchen Simonskall. Zu den Mitgliedern der Kommune unter „proletarischer Selbstverwaltung“ zählten Künstler und Literaten aus der Kölner Anarchisten-Szene, darunter auch die Maler Heinrich Hoerle und Otto Freundlich sowie die wohl enigmatischste Figur des Kreises, der Metallarbeiter und Gewerkschaftssekretär Otto Feige.
Als sich die bunte Truppe 1921 auflöste, kehrte Seiwert nach Köln zurück, blieb seinem Mentor Jatho aber weiterhin freundschaftlich verbunden. Dort stellte er in den folgenden Jahren regelmäßig im Kunstverein und auch in Galerien in Düsseldorf, Aachen und Barmen aus. Seine Teilnahme an einer Kollektiv-Schau in Barmen machte ihn 1928 auch international bekannt, sodass er dank einiger Ankäufe eines Detroiter Museums und Aufträgen des Kölner Kunstgewerbe-Museums (des heutigen Museums für angewandte Kunst) halbwegs gesichert durch die schwierigen Jahre der Weltwirtschaftskrise kam. Als Gründungsmitglied der Gruppe progressiver Künstler war er ab 1929 auch Mitherausgeber der Zeitschrift a bis z, dem Sprachrohr der Vereinigung. Der Verfolgung durch die Nationalsozialisten entging er durch seinen frühen Tod wenige Monate nach deren Machtübernahme.
Aufgrund der kurzen Schaffensspanne war Seiwerts künstlerischer Nachlass ohnehin begrenzt; zudem verbrannte ein beträchtlicher Teil der Arbeiten, die sein Freund Jatho nach seinem Tod verwahrte, 1944 bei einem Bombenangriff auf Köln. Die heutige Offerte ist dementsprechend schmal: Ganze acht Gemälde umfasste sie in den Nullerjahren, seit 2014 immerhin ein Dutzend; lediglich zwei konnten nicht vermittelt werden. Soweit die wenigen Ergebnisse einen Trend erkennen lassen – sieben von insgesamt zehn gelangen allein in den letzten zwei Jahren – ist der Kurs für Seiwerts Signatur aktuell deutlich im Aufwind.