In seinem neuen Film verkörpert Florian Lukas den Jugendstilmaler Heinrich Vogeler. Wir sprachen mit dem Berliner Schauspieler über ein Herzensprojekt, das plötzlich erschreckend aktuell wirkt
Von
11.05.2022
Es ist wohl mehr als eine bloße Rolle: Für den neuen Film „Heinrich Vogeler — Aus dem Leben eines Träumers“ scheint sich Florian Lukas geradezu in den Worpsweder Jugendstilmaler verwandelt zu haben. Sein stilles und doch intensives Spiel lässt die innere Zerissenheit des Künstlers spürbar werden. Der Film der französischen Regissereurin Marie Noëlle, der an diesem Donnerstag in die Kinos kommt, mischt auf ungewöhnliche Weise Spielfilmelemente mit dokumetarischem Material und Expertengesprächen. Ein Wagnis, das gelingt, da es die vielfältigen Facetten von Vogelers Biografie und Werk nachvollziehbar darstellt. Zum Interview treffen wir Hauptdarsteller Florian Lukas im Worpsweder Barkenhoff, dem ehemaligen Wohnhaus des Malers. Das Gespräch findet auf einer Gartenbank in der warmen Frühjahrssonne statt, begleitet vom Vogelgezwitscher aus den umstehenden Birken.
Herr Lukas, was wussten Sie vor dem Film von Worpswede und Vogelers Bedeutung für das Künstlerdorf?
Worpswede war mir oberflächlich als Markenname bekannt, den ich mit der Malerin Paula Modersohn-Becker verbunden hat. Viel mehr wusste ich nicht, auch nicht, welche Rolle Vogeler hier gespielt hat. Vor vier Jahren kam dann der Produzent Matthias Greving auf mich zu und sagte, dass er gern Vogelers Geschichte mit mir verfilmen würde. Danach hat sich alles Weitere ergeben: die Projektentwicklung, die Findung der Regisseurin Marie Noëlle. Für mich war es eine schöne Möglichkeit, mich beruflich mit etwas viel intensiver zu beschäftigen, als ich das privat gekonnt hätte. Aber das Interesse daran bestand schon vorher. Der Film ist nun so ein Herzensprojekt, mit dem ich gleichzeitig dazu beitragen kann, Vogeler in der Allgemeinheit ein bisschen bekannter zu machen. Denn das hat er wirklich verdient.
Was fasziniert Sie an der Figur Heinrich Vogeler?
Ich finde die Beschäftigung mit Worpswede und mit dieser Zeit, Anfang des 20. Jahrhunderts, generell sehr spannend. Dazu kommen die Brüche, die Vogeler erlebt hat. Wenn man das mit seinem damaligen Alter verbunden betrachtet: Es ist für mich so unbegreiflich wie unglaublich bewundernswert, dass er in seinen Vierzigerjahren, als die ganze Grausamkeit des Ersten Weltkriegs ihn durchfährt, nicht resigniert oder aufgibt. Stattdessen lässt er etwas Neues daraus entstehen. Das finde ich total faszinierend. Aber auch, wie vielfältig seine Ausdrucksweisen waren. Wie viel er ausprobiert hat in der Malerei.
Er beginnt ja als ein typischer und bald auch gefeierter Künstler des Jugendstils.
Diese Ästhetik liegt mir tatsächlich auch. Ich mag diese Jugendstilbilder wirklich sehr gerne. Diese Atmosphäre des Verträumten und Märchenhaften. Und ich kann schon gut nachvollziehen, warum er sich dieses Bauernhaus gekauft, es umgestaltet und lauter verrückte Künstlerkollegen hier um sich herum versammelt hat. Er hat versucht, eine kleine eigene Insel zu bauen. Eine vermeintlich heile Welt. Um dann irgendwann festzustellen, dass die tot oder leer ist, und dann zu schauen, was könnte man daraus noch machen, außer sich umzubringen.
So kommt es zu einem der Brüche, die Sie erwähnten: Vogeler zieht freiwillig in den Krieg, obwohl er das als Mann in der Mitte seines Lebens nicht müsste.
Ich glaube, aus seinen Aufzeichnungen herausgelesen zu haben, dass Vogeler so ratlos war, was aus seinem Leben, seiner Ehe, seinem Barkenhoff und all dem werden sollte, dass sein Motiv vielleicht auch eine gewisse Todessehnsucht war: sich in einen Krieg zu stürzen, der laut der Propaganda zu einem guten Zweck geführt wird. Sollte er sterben, hätten sich alle Probleme von selbst erledig. Er wurde dann ja nie direkt als Frontsoldat eingesetzt, er musste viel dokumentieren. Am Ende hat er – desillusioniert von den gesehenen Grausamkeiten des Krieges – seinen Friedensappell „Das Märchen vom lieben Gott“ in einem Brief an den Deutschen Kaiser geschrieben. Auch da dürfte er insgeheim gehofft haben, dass ihm dieser Brief das Todesurteil wegen Hochverrats einbringt. Stattdessen ist er in die Psychiatrie gekommen. Und steht dann quasi nach drei Loopings hier wieder an diesem Ort. Und fängt etwas Neues an.
Sie haben selbst länger in Worpswede gewohnt, um sich in Vogeler zu vertiefen, richtig?
Ich hatte mich vorher schon so gut es geht mit der Figur beschäftigt. Dann haben wir hier einen Vordreh gemacht, als wir versucht haben, Geldgeber für den Film zu gewinnen und als noch gar nicht klar war, ob das Ganze überhaupt stattfinden kann. Wir haben dabei viel in der Landschaft gedreht. Und wenn du rausgehst aus dem Ort, dann sieht das immer noch so aus wie auf Vogelers Bildern. Du bist sofort im Jahr 1902.
Das Moor, die Torkähne, das dunkle Wasser des Flusses…
Es war im Winter, es war kalt. Und die Sonne glitzerte nur ein bisschen. Wunderschön. Viele Momente sind tatsächlich auch im Film geblieben. Die ganzen Landschaftsaufnahmen, wie Vogeler durch die Wiesen geht…
In der Anfangsszene, mit dem Zylinder in der Hand?
Genau. Da waren wir ganz allein: Vogeler und ein kleines Filmteam. Das war ein wichtiger Teil der Vorbereitung auf dieses Stück Paradies hier. Irgendwie wurde der Barkenhoff auch mein Haus, ein bisschen. Beim Dreh wird man wirklich Teil dieser Welt. Es ist das große Privileg des Schauspielerberufs, wie ich finde, dass man etwas durchleben kann, was sich tatsächlich wie eine Zeitreise anfühlt.
Der Film basiert stark auf Vogelers Tagebüchern und Briefen. So ist die Sprache auch in den Dialogen sehr literarisch. Hat das für Sie den Zugang zur Figur erschwert?
Zum Lesen ist es super, zum Sprechen tatsächlich eher eine Herausforderung. Wir hatten auch den Anspruch, Vogelers Worte wirklich genauso zu umzusetzen, wie er sie geschrieben hat und möglichst wenig zu verfälschen oder zu adaptieren. Ich habe gar keinen Interpretationsehrgeiz und stelle mich viel lieber in den Dienst des Projekts, diesen Menschen und sein Leben bekannter zu machen.
Man hat auch immer das Gefühl, das Vogeler ein bisschen für die Nachwelt schreibt. Er will sich erklären und rückt sich dadurch selbst in ein besonders Licht. Gerade seine letzten Lebensjahrzehnte haben es ja nochmal in sich: Er wird nach dem Krieg Kommunist, gründet auf dem Barkenhoff eine Arbeiterkommune, die aber scheitert und siedelt dann 1931 nach Moskau über, wo er 1942 ein Opfer des Stalinismus wird.
Ja, und es ist mir einfach unbegreiflich, dass er am Ende keinen Groll verspürt und keine Verbitterung. Denn er ist ja elendig zu Grunde gegangen im Sowjetreich, in der Verbannung in Kasachstan, man hat ihn quasi verhungern lassen. Ich glaube, ich wäre schon sauer gewesen und hätte geglaubt, ich hätte mein Leben hergeschenkt für eine falsche Idee. Doch das hat er offensichtlich nicht gedacht. Vogeler hat immer versucht, das Schöne zu finden im Leben, auch in den schrecklichen Dingen und dieses Schöne größer zu machen. Größer als es vielleicht wirklich war.