Julia Draganović, die Direktorin der Deutschen Akademie Villa Massimo in Rom, über Konkurrenz im Künstlerhaus, ständige Erreichbarkeit und das Ende der Kleiderordnung
ShareEin großzügiges Wohn-Atelier, monatlich 2.500 Euro und ein paradiesischer Garten in Rom: Ein Stipendium in der Deutschen Akademie Rom Villa Massimo zu erhalten gilt nicht umsonst als die bedeutendste Auszeichnung für deutsche und in Deutschland wirkende Künstlerinnen und Künstler im Ausland. Eine hochkarätige Jury wählt zehn Rom-Preisträgerinnen aus den Bereichen Bildende Kunst, Architektur, Literatur und Komposition, denen der zehnmonatige Aufenthalt Inspiration und künstlerische Orientierung ohne finanzielle Engpässe ermöglichen soll. Noch bis zum 25. September 2022 präsentieren die Preisträgerinnen und Preisträger der letzten zwei Jahrgänge ihre in Rom entstanden Arbeiten im Japanischen Palais in Dresden, darunter Heike Baranowsky, David Czupryn, Carsten Saeger und das Künstlerduo Prinz Gholam.
Frau Draganović, seit knapp drei Jahren sind Sie Direktorin der Villa Massimo. Was hat Sie an dieser Aufgabe gereizt?
Ich habe in den vergangenen Jahren hauptsächlich als Kuratorin für zeitgenössische Kunst gearbeitet, mich aber schon immer für alle kulturellen Ausdrucksmöglichkeiten interessiert und früher auch Lesungen, Theateraufführungen und Konzerte organisiert. Es war reizvoll, in der Villa Massimo mit Schriftsteller:innen, Architekt:innen, Künstler:innen und Komponist:innen ein so breites Spektrum an eben diesen Formen zu haben. Hinzukommt, dass ich in den vergangenen Jahren mit vielen Künstler:innen Konzepte entwickelt und sie bei der Neuproduktion von Werken begleitet habe. Ähnlich ist es in Rom. Es ist ein Geschenk, an solchen Prozessen beteiligt sein zu dürfen.
Wie intensiv ist Ihr Austausch mit den Rompreisträger:innen, die jeweils für zehn Monate auf dem Gelände der Villa Massimo leben?
Ich versuche, mich nach den Bedürfnissen der Stipendiat:innen zu richten. In den vergangenen Jahren war das ehrlich gesagt schwierig: Als ich im Juli 2019 anfing, reiste gerade der letzte Jahrgang meines Vorgängers ab, für den ich noch eine Abschlusspräsentation in Deutschland organisiert habe. Ich habe dafür Ort und Mittel gesucht und das hat viele Kapazitäten absorbiert. Nach nur vier Monaten mit dem neuen Jahrgang kam die Pandemie und es gab ständig unterschiedliche Einschränkungen. Aber wir gehörten zu den vier von 38 internationalen Akademien in Rom, die ihren Betrieb während der Pandemie nie eingestellt haben. Im gesamten Jahr 2021 haben wir uns nicht in geschlossenen Räumlichkeiten getroffen, sondern immer draußen versammelt und dafür drei Pop-Up-Pavillons aufgebaut. Atelierbesuche habe ich nur mit Einzelnen gemacht, abhängig davon, womit sich die Preisträger:innen wohlgefühlt haben. Das war auch noch die Zeit vor den COVID-Impfungen. Hinzu kam, dass wir uns in Italien nicht impfen lassen konnten, da man dafür eine italienische Krankenversicherung haben musste. Das hat alles verkompliziert.
Wie haben Sie das Problem gelöst?
Wir haben die NATO zu Hilfe gerufen. Die hatte überschüssige Impfdosen, die sie nicht verfallen lassen wollte, und hat in unserem Veranstaltungsraum eine Impfstation aufgemacht, in die wir alle deutschen Institute in Rom eingeladen haben. Als Institution holen wir nun viel nach, was die letzten Jahre nicht möglich war, sodass sich noch keine Routine entwickelt hat, obwohl ich jetzt fast drei Jahre hier bin. Ich glaube, eine wirkliche Routine kann es auch nicht geben. Wir haben uns auf die Fahnen geschrieben, ein offenes Haus der Künste zu sein, das als Gastgeber für Deutschlands wichtigste Impulsgeber:innen versucht, Freiraum zu schaffen und Möglichmacher zu sein. Das heißt, dass man immer darauf hören muss, was die Menschen, die hierher kommen, möchten und brauchen. Manche wollen zurückgezogen arbeiten, andere suchen Inspiration und Austausch. Die Erwartungen sind extrem unterschiedlich.
Wie ist in Ihrem Alltag das Verhältnis zwischen inhaltlich-kuratischer und administrativer Arbeit?
80 zu 20. Die wahre Herausforderung des Kuratierens liegt ja nicht darin, Ideen zu entwickeln, sondern sie zu realisieren. Dazu gehört im Falle der Direktion viel administratives Geschick. Gott sei Dank haben wir eine gute Verwaltung, die Probleme konstruktiv angeht. Wir haben 13 Mitarbeitende, darunter drei Leute, die die handwerklichen Aufgaben übernehmen und den Park pflegen. Wir unterhalten nicht nur die Villa Massimo, sondern außerhalb Roms auch noch die Casa Baldi und die Villa Serpentara, die zur Akademie der Künste gehört. Meine Arbeit bedeutet neben der konzeptionellen und strategischen Ausrichtung viel Koordination und auch ganz viel Herbergsmutter zu sein. Zu dieser hundertprozentigen Verfügbarkeit kommen noch die Repräsentationsaufgaben: Die Villa Massimo wird in Italien als eine wichtige Vertreterin deutscher Kultur gesehen.
Sprich, Sie sind 24/7 im Dienst?
Ja. Ich wohne auf dem Gelände, an einem der schönsten Orte in Rom, aber ich bin eben auch immer ansprechbar. Einer meiner Vorgänger hat in der Stadt gelebt und das ist nicht gut angekommen. Wenn ich vor der Wahl stünde, würde ich hier wohnen bleiben. Das gehört schon dazu. Aber es ist eine Anforderung an mich, der ich mir zu Beginn nicht bewusst war. Im Sommer wohne ich hier zwei Monate allein. Alle zehn Monate bekomme ich neue Nachbarsfamilien. Das ist schon komisch. Man gewöhnt sich aneinander und darf es aber nicht mit Nachbarschaft verwechseln: Ich kann nicht zu den einen zum Abendessen gehen und zu den anderen nicht. Was ich auch nicht in Betracht gezogen habe ist, dass ich ständig unter Beobachtung bin. Und wie unangemessen wichtig mich viele Leute nehmen. Es wird sehr genau registriert, mit wem ich mich wie lange unterhalte und wen ich als Besuch empfange.
Auch die Studios liegen relativ nah beinander, wie in einer kleinen Reihenhaussiedlung. Man bekommt viel voneinander mit. Mit dieser Nähe müssen sicher auch die Stipendiat:innen lernen, umzugehen.
Alles, was ich über mich gesagt habe, gilt auch für die Rompreisträger:innen. Aber unter den Kreativen kommt dann noch das Sich-Miteinander-Vergleichen oder gar das Konkurrenzdenken hinzu: Selbst wenn man sich vornimmt, hier runterzufahren und konzentriert an einer Sache zu arbeiten, hat man vielleicht Nachbar:innen, die jeden Tag in ein anderes Museum gehen und wiederkommen und sagen: „Hast du das gesehen, hast du dies gesehen?“ Oder es ist umgedreht: Wenn man viel rausgeht, setzt es einen unter Druck, dass andere so viel arbeiten und schaffen. Das ist unvermeidbar. Jeder, der in die Villa Massimo kommt, stellt sich auf den Prüfstand: Gehöre ich hier hin? Habe ich das wirklich verdient? Kann ich mich mit den anderen messen? Was habe ich bisher geleistet? Was kann ich noch leisten? Was werde ich nicht mehr schaffen? Wo sind andere besser als ich? Habe ich die richtige Strategie gewählt? Sollte ich es doch so machen, wie der, der erfolgreicher ist?