Das Restitutionsrecht ist kompliziert. Aktuelle Fälle wie die „Füchse“ von Franz Marc oder die Vogelkopf-Haggada aus dem Israel Museum machen deutlich, dass sich formaljuristische und moralische Ansprüche nicht immer decken
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20.06.2022
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Erschienen in
Kunst und Auktionen 10/22
Kontroversen um die Restitution des Gemäldes „Füchse“ (1913) von Franz Marc, Restitutionsansprüche einer jüdischen Familie gegen ein israelisches Museum und Forderungen einer jüdischen Familie gegen eine andere jüdische Familie … Restitutionsrecht ist eine in vielerlei Hinsicht komplexe Materie. Schon die Bezeichnung ist irreführend, denn eine mechanische rechtliche Bearbeitung kann bei Restitutionsfällen im Kunstbereich selten den umfangreichen moralischen Ansprüchen gerecht werden. Dennoch: Das Ziel gesetzlicher Regelungen sollte sein, ihnen grundsätzlich zu genügen, damit Richter und andere Rechtsanwender im Einzelfall richtig entscheiden können. Derzeit ist dies nicht der Fall, wie sich an einer Reihe von Problemen erkennen lässt, die regelmäßig im Zusammenhang mit Restitutionsfällen diskutiert werden.
Rechtlicher Ausgangspunkt einer Restitution ist immer die Überlegung, ob der jetzige Besitzer überhaupt Eigentum an dem Kunstwerk erlangt hat. Das nach wie vor auch für Kunstwerke geltende Sachenrecht sieht dazu auch bei problematischer Provenienz verschiedene Möglichkeiten vor – zum Beispiel den gutgläubigen Erwerb oder die Ersitzung. Doch selbst wenn sachenrechtlich fehlerfrei Eigentum erworben wurde, darf der Kunsthandel aufgrund des Kulturgutschutzgesetzes Kunstobjekte dann nicht verkaufen, wenn Hinweise zu einer problematischen Provenienz – zum Beispiel ein verfolgungsbedingter Entzug – vorliegen.
Handelt es sich bei dem Eigentümer um eine Privatperson, wird bei Vorliegen eines verfolgungsbedingten Entzugs mit den Rechtsnachfolgern der ehemaligen Eigentümer eine Vereinbarung getroffen. Der Erlös wird geteilt, das Kunstwerk ist wieder handelbar. Der Gesetzgeber schränkt dadurch die Eigentumsrechte des jetzigen Eigentümers ein, denn zu diesen Rechten gehört auch, dass man sein Eigentum verwerten darf. Der Staat verlagert den legitimen Zweck der moralischen Verpflichtung zur Wiedergutmachung durch die derzeitige Regelung vom Staat auf die Privatperson und spart dadurch viel Geld. Diese Privatperson nimmt die Verpflichtung in der Regel angesichts des unsäglichen Unrechts hin, das den ehemaligen Eigentümern einst widerfuhr. Dies muss sie sich jedoch auch leisten können. Das zu restituierende Kunstwerk wurde oft Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg zum vollen Kaufpreis erworben. Der Erlös des womöglich wirtschaftlich notwendigen Weiterverkaufs wird nun jedoch aufgrund einer moralischen Verpflichtung, die mit jedem dazwischenliegenden Erwerbsvorgang abstrakter und aleatorischer wird, geteilt.
Die willkürliche Zufälligkeit des Auftauchens von Restitutionsfällen kann dazu führen, dass auch Nachkommen ehemaliger Opfer zur Wiedergutmachung beitragen müssen, nämlich immer dann, wenn diese zufällig ein Kunstwerk erworben haben, das sich später als verfolgungsbedingt entzogen herausstellt. Aktuelle Fälle aus diesem Problemkreis betreffen zum Beispiel eine Restitutionsklage der Erben der von den Nationalsozialisten verfolgten Familie Kainer gegen die ebenfalls jüdische Familie Horowitz vor dem Federal Court von US-Bundesstaat Georgia und eine Restitutionsforderung der vier noch lebenden Enkel des deutschen Juden Ludwig Marum gegen das Israel-Museum in Jerusalem: Die Nachkommen erheben Anspruch auf das älteste erhaltene illustrierte Pessach-Manuskript der Welt: die berühmte Vogelkopf-Haggada. Das mittelalterliche Werk sei ihrer Familie während der Nazizeit gestohlen und später ohne ihre Zustimmung an den Vorgänger des Israel-Museums verkauft worden.
Handelt es sich bei dem Kunstwerk um öffentliches Eigentum, wie dies zum Beispiel bei den „Füchsen“ von Franz Marc der Fall war, die aufgrund einer Empfehlung der Limbach-Kommission von der Stadt Düsseldorf restituiert wurden, gelten abgesehen von derselben sachenrechtlichen Grundsituation aufgrund der selbstverpflichtenden Anerkennung der Washingtoner Erklärung durch Bund, Länder und Kommunen, andere Regeln.
Der Fall wurde aus mehreren Gründen rege diskutiert. Zunächst deshalb, weil die Empfehlung der Limbach-Kommission die bisherige Praxis der Restitutionsempfehlungen erheblich erweitert. Der ehemalige jüdische Eigentümer Kurt Grawi musste aus Deutschland fliehen. Das Gemälde „Füchse“ konnte er mitnehmen und es anschließend in New York zu einem damals wohl angemessenen Preis verkaufen. Es besteht eine Kausalität im strengen Sinne der Conditio-sine-qua-non-Regel, denn wenn der jüdische Eigentümer nicht hätte fliehen müssen, hätte er das Gemälde auch nicht zur Finanzierung eines Neuanfangs verkauft. Dennoch stellt sich für viele die Frage, ob auch diese so genannten Fluchtgut-Fälle zu einer Restitution führen sollten. Die beratende Kommission ging trotz starker Bedenken jedenfalls von einem verfolgungsbedingten Entzug aus und empfahl die Rückgabe des Bildes. Viele hätten anders empfohlen.
Es schließt sich ein formaljuristisches Problem an, denn die Empfehlungen der Limbach-Kommission sind rechtlich nicht bindend. Aus sachenrechtlicher Perspektive fehlt es an einem Restitutionsanspruch, da die Stadt Düsseldorf durch die Schenkung des Sammlers Helmut Horten im Jahre 1962, jedenfalls jedoch durch Ersitzung seitdem, sachenrechtlich fehlerfreies Eigentum an dem Gemälde erlangt hat. Das Gemälde wurde also strengjuristisch betrachtet ohne rechtliche Verpflichtung zurückgegeben. Die Restitution stellt rechtlich daher eine Schenkung dar, die gegen die Nordrhein-westfälische Gemeindeordnung verstößt und für die zudem Steuern zu zahlen wären. Statt dieses Problem – und damit geltendes Recht – aus moralischen Gründen zu ignorieren, sollte der moralische Anspruch auch hier zur Schaffung einer rechtlichen Grundlage führen, die dann durch den Gesetzgebungsprozess auch demokratisch legitimiert wäre.
Schließlich empfinden viele Beobachter dieser spektakulären Restitutionsfälle das Verhalten derjenigen, die ihre Kunstwerke zurückerhalten, als unangemessen, da im Prozess einerseits regelmäßig – so zum Beispiel in Bezug auf das Gemälde „Füchse“ – die emotionale Bedeutung der Werke für die Familie hervorgehoben wird, andererseits die Gemälde jedoch meist umgehend verkauft werden. Es bleibt den Nachfahren der Verfolgten jedoch keine Wahl, denn häufig übersteigen die Rechtsanwaltskosten in diesen komplizierten, langwierigen Rechtsfällen mit hohen Streitwerten die Möglichkeiten der Anspruchsteller. Für zusätzliche Belastung sorgen zudem oft berufsrechtlich bedenkliche anwaltliche Prozessfinanzierungsverträge mit Erfolgsbeteiligung.
Die schlecht geregelte und daher unvorhersehbare Rechtslage trägt somit dazu bei, dass die Nachfahren der Opfer erneut um einen Teil des ihnen zustehenden Vermögens gebracht werden. Durch die Versäumnisse des Gesetzgebers verdienen dann – und ihnen ist daher im Prinzip auch kein Vorwurf zu machen – vor allem die Anwälte der streitenden Parteien. Damit den Nachfahren der Verfolgten Gerechtigkeit widerfährt, sollten Recht und Moral wieder in Einklang gebracht werden, und zwar durch ein Gesetz, das eindeutige und gerichtlich einklagbare Restitutionsansprüche der Opfer und Ausgleichsansprüche restituierender Privatpersonen gegen den Staat als Nachfolger des Unrechtsstaats schafft.