Ob am Strand auf den Balearen, in einer kleinen Berghütte in Österreich oder am heimischen Badesee – wir haben die passende Urlaubslektüre für alle Reisepläne parat
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28.07.2022
Die Wiener Werkstätte kennen viele, aber das Atelier Zanolli? Geriet längst in Vergessenheit. Im Zürich der Zwischenkriegszeit schuf diese italienische Immigrantenfamilie ein konkurrenzfähiges kunstgewerbliches Œuvre, das sich aus Folklore, Art Déco und internationalen Avantgarde-Strömungen speiste. Dem modebewussten Großstadtpublikum brachten die Zanollis eine anmutige, erfrischend gemusterte Produktwelt näher. Für ihre Holzarmreifen, Glasperlenbänder, Wandbehänge, Lampenschirme, in Brandmalerei gestalten Ledergürtel oder in moderner Airbrushtechnik veredelten Seidenstoffe und viele weitere Accessoires griffen sie zu einer leuchtenden Farbpalette, wie man sie heute bei Kvadrat oder Hermès erwarten würde. Nun hat das Museum für Gestaltung Zürich diesen Schatz gehoben. Mit einer bis September laufenden Werkschau und diesem hinreißenden, monographisch fundierten Bilderbuch erhält das Atelier Zanolli endlich einen festen Platz in der Stilgeschichte. Alexandra González
Zeichen der Zeit
Als im März 1876 die Nationalgalerie (heute Alte Nationalgalerie) auf der Museumsinsel feierlich eröffnet wurde, war Hugo von Tschudi 25 Jahre alt und hatte gerade sein Jurastudium in Wien abgeschlossen. Der Kunst war der junge Schweizer jedoch bereits seit seiner Jugend hoffnungslos verfallen. 1896, viele Vorlesungen der Kunstgeschichte und Studienreisen durch Europa später, wird Tschudi zum Direktor der Nationalgalerie ernannt. In diesem Jahr beginnt auch die Autorin Mariam Kühsel-Hussaini ihren Roman über den herausragenden Direktor und Visionär, der einst die französischen Impressionisten nach Berlin holte. Gemeinsam mit seinem Freund und Berater Max Liebermann reiste Tschudi oft nach Paris, wo er die Kunst von Manet, Monet, Cézanne und Caillebotte kennenlernte. Von da an stand eines für ihn fest: Die Impressionisten gehören in die europäischen Museen! Doch der flüchtige Stil des Impressionismus entsprach damals nicht den Sehgewohnheiten der Menschen und galt als „unfertige“ Kunst. Kaiser Wilhelm II. und Akademiedirektor Anton von Werner waren von Tschudis Vorhaben wenig begeistert, doch dieser ließ sich nicht von ihnen abschrecken. Kühsel-Hussaini greift mit einer liebevollen und bildhaften Sprache die Meilensteile in Tschudis Karriere auf, gewährt Einblicke in sein Privatleben, sowie das illustre Leben der Berliner Gesellschaft zur Jahrtausendwende. Nach der Lektüre empfiehlt sich ein Ausflug in die Alte Nationalgalerie, um die im Buch erwähnten Werke noch einmal mit ganz neuen Augen zu entdecken. Clara Zimmermann
„Warum hat es keine bedeutenden Künstlerinnen gegeben?“, fragte die amerikanische Kunsthistorikerin Linda Nochlin bereits 1971 in ihrem gleichnamigen Essay, der wegweisend für die feministische Kunstgeschichte werden sollte. Donna Seaman stellt in „Identity Unknown“ sieben amerikanische Künstlerinnen vor, die zu Lebzeiten zwar großen Erfolg verzeichneten, jedoch heute in den Kunstgeschichtsbüchern (fast) vergessen sind: Die surrealistische Künstlerin Gertrude Abercrombie, die „Königin der Bohème“; Joan Brown, die dem pulsierenden künstlerischen Zentrum der San Francisco Bay Area angehörte; Ree Morton, die in ihren farbenfrohen und skurrilen Werken Liebe, Freundschaft, Mutterschaft und Sexismus thematisierte, Loïs Mailou Jones, die der Harlem Renaissance angehörte und deren Werkspektrum von traditionellen Landschaften bis hin zu abstrakten afrikanischen Themen reicht; Lenore Tawney, die Weberei und Bildhauerei kombinierte, als Kunst und Handwerk noch als einander ausschließend galten; Christina Ramberg mit ihren formal eleganten, erotisch düsteren Gemälden; und Louise Nevelson, die Meisterin der Assemblage. Lisa-Marie Berndt
Die Avantgarde hat Einen sitzen
Warum ist der einstige Bauhäusler Erich Dieckmann in Vergessenheit geraten? Lag es vor allem daran, wie die Kunsthistorikerin Katja Schneider in diesem Buch argumentiert, dass Dieckmann die Ästhetik der Moderne mit einer Prise bürgerlicher Bequemlichkeit abfederte – und daher nicht so radikal avantgardistisch wirkte wie sein Kollege Marcel Breuer? Oder war der Grund doch eher die Tatsache, dass sich der Gestalter ab 1933 den Nazis andiente und dann bis zu seinem Tod 1944 als Sachbearbeiter in Ämtern hockte, was seine Kreativität und seinen Nachruhm beschränkte. In jedem Fall ist die Begleitpublikation zur aktuellen Ausstellung des Berliner Kunstgewerbemuseums (bis 14. August) eine spannende Lektüre. Erfährt man doch, wie sehr Dieckmann mit Typenmöbeln wie dem Küchenstuhl H2 von 1926 am Raum- und Sitzgefühl seiner Generation mitarbeitete.
Die Stadt hatte diverse bessere Zeiten. Man braucht nur an die Achtzigerjahre erinnern, als Köln in puncto Gegenwartskunst gleich neben New York rangierte. Oder ans Mittelalter, da war „Sancta Colonia“ ein weit ausstrahlendes Zentrum Europas. Ein Prachtband schwelgt jetzt in den großen Epochen. Die Abbildungsflut ist geistreich kommentiert und begleitet von kritischen Liebeserklärungen an die Stadt. Die Mischung reicht von den Römern bis zur Gegenwart. Dabei fehlt der Karneval ebenso wenig wie der schwule Comiczeichner Ralf König. Und wer wusste, dass Peter Behrens’ berühmte Gläser von 1901 im Stadtteil Ehrenfeld entstanden? Das Buch will eine neue Wertschätzung der Stadt anregen. In Köln hat der Funke bereits gezündet: Dort ist es ein Bestseller und löste zahlreiche Initiativen aus.