Lucia Moholy

Im Schatten des Bauhaus

Die Architekturaufnahmen der Gebäude in Dessau kennt die ganze Welt. Aber kaum jemand weiß, wer die ikonischen Bilder schuf. Es war Lucia Moholy, die als wichtige Bauhaus-Fotografin lange übersehen wurde

Von Jochen Stöckmann
30.09.2022
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 204

Tristan Tzara gibt den Beau mit Handschuhen und Monokel. Werner Graeff setzt einem lang hingestreckten Hans Richter sehr graziös einen Spazierstock auf die Brust. Theo van Doesburg hat sich fix eine Papiertüte übergestülpt. El Lissitzky posiert mit Pfeife und karierter Mütze. Konstruktivisten und Dadaisten sind für ein Gruppenfoto von ihrem Kongress 1922 in Weimar schier aus dem Häuschen. Nur an der Spitze der Künstler-Pyramide schaut das Ehepaar Moholy-Nagy mit Alfréd Kemény in der Mitte über die exaltierten Verrenkungen gelassen hinweg.

Die kühle und geradlinige Sachlichkeit des Bauhauses, ebenfalls in Weimar, bestimmt nur ein Jahr später das Leben von László und Lucia Moholy-Nagy. Er wird 1923 als Bauhausmeister berufen, avanciert unter Walter Gropius mit Lehrsätzen wie „der fotografie-unkundige wird der analfabet der zukunft sein“ zum Cheftheoretiker. Sie sorgt mit der Fotodokumentation von Produkten aus den Werkstätten und – nach dem Umzug 1926 nach Dessau – durch die bis heute ikonischen Architekturaufnahmen für das typische Bauhaus-Image.

Konstruktivisten Dadaisten Weimar
Gelassen an der Spitze der Künstlerpyramide: Beim Gruppenfoto der Konstruktivisten und Dadaisten 1922 in Weimar nehmen Lucia und László Moholy-Nagy die Außenpositionen in der oberen Reihe ein. © Archive of Van Eesteren/courtesy Het Nieuwe Instituut

Und Alfréd Kemény, der Dritte im Bunde? Aus Ungarn emigriert, steht der sprachgewandte Kunstkritiker seinem Landsmann zur Seite, als der 1920 in Berlin für Zeitschriften wie Herwarth Waldens Der Sturm die ersten Artikel verfasst. Moholy-Nagy – von Hans Richter als „Sprinter“ charakterisiert – hat Mühe beim Ausformulieren seiner überströmenden Assoziationskaskaden. Der eilige Geist ist für ein Manuskript in druckreifem Deutsch angewiesen auf das „Protokoll“ bedachtsamer Dialogpartner. Als Ehefrau übernimmt Lucia diesen intellektuellen Part, damit endet die Freundschaft zu Kemény.

Lucia selbst berichtet Jahrzehnte später, in ihren 1971 erschienenen „Marginalien zu Moholy-Nagy“, über das „Zusammenwirken von kühner Phantasie einerseits sowie abwägender Grundhaltung andererseits“. Sie sieht sich und László als Zweigestirn.

Für die „symbiotische Arbeitsgemeinschaft“ mit Moholy-Nagy war Lucia Schulz prädestiniert. Geboren 1894, legt die mit Tschechisch und Deutsch aufgewachsene Tochter eines Prager Rechtsanwalts mit nur 18 Jahren erst die Lehramtsprüfung für Englisch und Französisch ab, studiert dann Kunstgeschichte und Philosophie. Bei der Betreuung russischer Kriegsgefangener mit revolutionären Parolen konfrontiert, vertieft sich ihr politisches Interesse durch einen Aufenthalt in Norddeutschland. In der Barkenhoff-Kommune des Worpsweder Künstlers Heinrich Vogeler verfasst sie 1919 einen Spendenaufruf für Bernhard Hoetgers Denkmal der Gefallenen der Bremer Räterepublik: ein expressionistisches Gedicht – verborgen unter dem Pseudonym Ulrich Steffen.

László Moholy-Nagy, ein Sympathisant der kommunistischen Partei, flieht nach Niederschlagung der Räterevolution in Budapest aus Ungarn. Der Maler und abgebrochene Jurastudent findet 1920 völlig mittellos Aufnahme in einer Quäker-Familie in Berlin. Bei einem Atelierfest im Künstlerkreis um Raoul Hausmann und Hannah Höch trifft László auf Lucia. Die Lektorin bei Kurt Wolff, später im Rowohlt-Verlag, sorgt nach der Heirat im Jahr 1921 für den Lebensunterhalt.

Das Manifest „Produktion – Reproduktion“, 1922 veröffentlicht in der Zeitschrift De Stijl, gerät zur Gründungsurkunde der gemeinsamen Arbeit. Aber als Autor wird allein László Moholy-Nagy genannt. Dabei beruht der Text auf sinnesphysiologischen Annahmen, die Lucia in Prag im akademischen Umfeld des Gestalttheoretikers Ernst Mach kennengelernt hat. Und die Unterscheidung einer „produktiven“, schöpferischen Kunst gegenüber vermeintlich nur „reproduzierender“ handwerklicher Technik resultiert aus Lucias Lebenssituation an der Seite des umtriebigen, zuweilen in abgehobene Projekte verstrickten László.

Statt „Produktion – Reproduktion“ unversöhnlich gegeneinander in Stellung zu bringen, suchen die Moholys nach kreativen Möglichkeiten auch auf Seiten der Technik. In diesem Sinn formuliert das Künstlerpaar 1922 die bis heute aktuelle Frage: „Sind wir fähig und hat es einen Wert, den Apparat so zu erweitern?“ Das zielt auf den „reproduzierenden“ Fotoapparat, für Lucia ein Wunschobjekt. 1915 notiert die Studentin in ihrem Tagebuch: „Es erwachte in mir ein Interesse für die Photographie. Ich bin passive Künstlerin; ich kann Eindrücke aufnehmen und wäre sicherlich fähig, alle von der schönsten Seite aufzunehmen und sie durch angelernte chemische Prozesse durchgehen und dann so erscheinen zu lassen, wie sie auf mich wirken. Ich bin nicht schöpferisch, nicht produktiv aus mir selbst, wohl aber von sehr feiner Aufnahmefähigkeit, rezeptiv.“

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