Mit subtiler Malerei und dem Blick auf queere Intimität erobert sich Anouk Lamm Anouk gerade ihren/seinen Platz in der Kunstwelt. Ein Gespräch über Schubladendenken, Lektüre im Flugzeug und die Nähe von Jazz und Begehren
ShareVerdichtung durch Reduktion war ihr/ihm ein frühes Anliegen. „Es war mir ein hohes Bestreben, mit möglichst wenig möglichst viel auszusagen, mit wenigen Strichen viel darzustellen. Am Anfang war dabei die Figuration, umgeben von viel Leere und Raum, die gewissermaßen der erste zarte Vorstoß in das Abstrakte war“, sagt Anouk Lamm Anouk. Die Abstraktion habe sie/ihn schon immer fasziniert, im Vergleich zur Figuration fiel es ihr/ihm jedoch viel schwerer, in der Abstraktion eine eigene Bildsprache zu entwickeln. „Ich musste mich aus unserer Welt, in der wir physisch verankert sind, gewissermaßen lösen und alles, was wir visuell aus dieser Welt kennen, zu einem gewissen Grad vergessen.“
Während die Werke aus „Lesbian Jazz“ trotz ihrer kopflosen Akteurinnen recht spezifisch sind, bleibt bei den Arbeiten der „post/pre“-Reihe mehr Raum für Imagination: längliche Säulen treffen hier auf kreisförmigen Formen, die teilweise zu glühen scheinen wie goldene Sonnen. Die Kreise und Halbkreise scheinen die Leere als Portal zu einer weiteren Dimension des Denkens heraufzubeschwören.
Auch Zen-buddhistische Gedanken fließen in die „post/pre“-Serie mit ein – wie der der Leere als Fundament der Fülle, als Reichtums des Lebens, als ultimativer Nicht-Raum. „Die Arbeit mit Nicht-Räumen als Raum zum Denken, zur Entfaltung ist mir sehr nahe – da mir die Offenheit in der Malerei sehr wichtig ist um die Betrachter und Betrachterinnen mit ihren persönlichen Perspektiven und Gedanken einzuladen“, sagt Anouk Lamm Anouk. „Raum zum Sein, Raum zur Interpretation.“
Vor ein paar Jahren habe sie/er auf einer Flugreise von Wien nach Stockholm das Buch „Philosophie des Zen-Buddhismus“ des koreanisch-deutschen Philosophen Byung-Chul Hans gelesen, ein kleines, gelbes Reclam-Büchlein. Sie/Er hatte plötzlich Worte für ihren Zugang zum Leben, beschreibt Anouk Lamm Anouk die Lektüreerfahrung. „Man kommt mit diesem Urvertrauen und einer eigenen Wahrheit auf die Welt. Die Welt nimmt einem das Stück für Stück durch die Anpassung an die Gesellschaft. Diese eigene Wahrheit zu behalten bedeutet für mich eine große Reinheit.“
Die Gemälde der Gstaader Ausstellung waren bereits nach wenigen Tagen ausverkauft. Anouk Lamm Anouks Karriere geht steil bergauf: 2021 gewann sie/er den renommierten Strabag Art Award, im selben Jahr listete sie/ihn das Trend Magazin als eine der zehn wichtigsten Künstlerinnen und Künstler unter vierzig in Österreich. Anouk Lamm Anouks Arbeiten wurden in Einzel- und Gruppenausstellungen in Deutschland, Polen und Österreich gezeigt, unter anderem im Strabag Art Forum und im Belvedere Museum für zeitgenössische Kunst. Außerdem sind sie in Privatsammlungen wie der Wiener Stad̈tische Versicherung Collection, der Dichand Family Collection und der Hotel Sacher Collection vertreten.
Für das kommende Jahr ist eine weitere Einzelausstellung in Johann Königs Berliner Galerie St. Agnes geplant.
Die Galeristin Patricia Low bezeichnet Anouk Lamm Anouks Universum als „Gesamtkunstwerk“ – und ein Blick auf den Zoom-Screen genügt, um diesen Eindruck nachvollziehen zu können. Anouk Lamm Anouk ist umgeben von ihrer/seiner Kunst, von dieser zerbrechlich erscheinenden, in neutralen Tönen gehaltenen Ästhetik, die eine gewisse Ruhe ausstrahlt. Gleichzeitig ist es ein Universum, das sich patriarchalen Strukturen zu entziehen scheint, das sich für eine offene Gesellschaft einsetzt.
In der 180 Quadratmeter großen Wohnung, die sie/er mit ihrer Ehefrau und Managerin, der Juristin Marleen Anouk-Roubik, teilt, fließen Wohn- und Arbeitsraum ineinander. Im Hintergrund stapeln sich Leinwände, auf dem Kamin, an den Wänden. Das Atelier selbst besteht aus mehreren hellen und hohen Räumen. In zweien der sogenannten Salons sei das Licht besonders gut, erzählt Anouk Lamm Anouk. Licht sei ihr/ihm besonders wichtig, sie/er arbeite überwiegend bei Tageslicht, vor allem in der ersten Tageshälfte. Sie/Er habe immer Schaffensräume gesucht, die Platz für Leben und Arbeiten bieten – auch im Studium habe sie/er nie die Ateliers der Akademie genutzt. „Ich bin gerne von meiner Kunst umgeben und lebe gern mit meiner Kunst“, sagt Anouk Lamm Anouk. „Es erschien mir immer unnatürlich, an einem anderen Ort zu arbeiten als an dem, wo ich wohne.“