Boris Anisfeld malte im Jahr 1906 die Wolkenformationen über dem Schwarzen Meer. Im russisch-ukrainischen Krieg bekommt das Gemälde ungeahnte Aktualität
Von
10.10.2022
Aus der Vogelperspektive, von weit oberhalb der Wogen, malte Boris Anisfeld im Jahr 1906 das Schwarze Meer und die darüber schwebenden Wolkenformationen. Nichtig und klein wirkt das schwarze Segelschiff in den tiefblauen Wellen, die fast das gesamte Bild einnehmen. Ein Jahr zuvor war Anisfeld zunächst ins Baltikum und anschließend über den Dnepr zur Krim gereist. In der Kunstgeschichte wird Anisfeld, der als Jude in Balti im heutigen Moldau geboren wurde und zunächst in Odessa studierte, bevor er für einige Jahre nach St. Petersburg und später in die USA ging, als russischer Maler geführt. Eine Zuschreibung, die aus heutiger Sicht zu überdenken ist. Wo doch die Gegenwart uns brutal daran erinnert, dass zum russischen Imperium zu gehören keinesfalls bedeuten muss, russisch zu sein. Auch auf die Kunstgeschichte wirft der Krieg in der Ukraine ein grelles Licht. Eine Brücke zur Krim gab es 1906 noch nicht. Im Zweiten Weltkrieg ließ eine paramilitärische NS-Bautruppe, die Organisation Todt, eine Brücke errichten, die die Deutschen aber auf ihrem Rückzug vor der Roten Armee wieder zerstörten. 2018 wurde die heutige Krim-Brücke eröffnet, ein Prestigeobjekt von Putin, das die Annexion der Krim symbolträchtig besiegeln sollte, weil sie die Insel mit der russischen Region Krasnodar verbindet. Als am Samstag nun eine schwere Explosion die Brücke erschütterte, sprach der ukrainische Präsident Selenskyj in seiner Videoansprache am nächsten Morgen, in der Ukraine sei es großenteils sonnig und warm gewesen, „auf der Krim leider bewölkt, obwohl auch dort warm“.
Übrigens: Boris Anisfelds „Wolken über dem Schwarzen Meer – Krim“ gehört zur Sammlung des New Yorker Brooklyn Museum und ist dort zu sehen.