Picassos Taube im Regenbogen erinnert an den Traum eines Friedens für alle. So unerfüllbar er auch ist
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07.10.2022
Die deutsche Friedensbewegung, das weiß man heute, war in Teilen von der Stasi unterwandert. Schon damals reichte der lange Arm der Diktatur bis in die Reihen wohlmeinender Demonstrierender, die für die gute Idee eines Friedens für alle auf die Straße gingen. Pablo Picassos Taube war in diesen Zeiten ein beliebtes Symbol, es hing in Plakatform in zahllosen WG-Zimmern. Der Maler hatte sie erstmals 1949 für den Pariser Weltfriedenskongress geschaffen, eine Veranstaltung von Pazifistinnen und Pazifisten, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht. Picasso liebte Tauben, er besaß schon als Kind einige der zahmen Vögel, und eines seiner frühesten Gemälde zeigt ein Kind mit einer Taube im Arm. In der biblischen Geschichte von Noah ist die Taube der Seismograf für die Zeit nach der Katastrophe. Als die Taube, die Noah von der Arche aus fliegen lässt, mit einem Ölzweig zu ihm zurückkommt, weiß er, dass es wieder trockenes Land auf der Erde gibt. Als sie gar nicht mehr zurückkommt, weiß er, dass sie einen neuen Ort zum Leben gefunden hat, dass es auch für ihn und die Seinen Zeit ist für einen Neuanfang. Der diesjährige Friedensnobelpreis geht an Menschen und Organisationen im Krieg, aus der Ukraine, aus Russland, aus Belarus. Sie sind verfolgt oder inhaftiert, sie wurden ins Exil gedrängt oder sie leben in einem Land, das die Katastrophe des Krieges erlebt. Es sind Menschen, die kämpfen und sich wehren. Die Idee eines Friedens, der ohne Kampf auskommt, ist heute weiter weg denn je. Es gibt ihn nicht. Auch wenn die Sehsucht danach bleibt.
Übrigens: Picassos Lithografie der fragmentierten Taube vor dem Regenbogen von 1952 stammt aus dem Picasso Museum Münster, das sich derzeit in einer Ausstellung Picassos Lebensgefährtinnen Fernande Olivier und Françoise Gilot widmet.