Piet Mondrian war berühmt für seine geometrischen Raster-Bilder. Da kann man schon mal durcheinander kommen, wie so ein Bild aufzuhängen ist. In Düsseldorf jedenfalls hängt ein Bild wohl nicht so, wie es eigentlich sollte
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28.10.2022
Strenge Linien waagerecht und senkrecht, und immer wieder die Grundfarben Blau, Rot und Gelb: Ein Bild von Piet Mondrian ist für Kunstinteressierte leicht zu erkennen. Aber hängen die abstrakten Kompositionen eigentlich auch immer richtig herum? Bei einem Hauptwerk des niederländischen Avantgarde-Malers sind daran jetzt Zweifel aufgekommen. Zur Eröffnung der Ausstellung „Mondrian. Evolution“ zum 150. Geburtstag Mondrians (1872–1944) enthüllte die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen: Das berühmte Klebestreifenbild „New York City 1“ hängt wohl seit Jahrzehnten auf dem Kopf.
Gleich mehrere Indizien für ihre Annahme präsentierte Kuratorin Susanne Meyer-Büser am Donnerstag bei der Pressekonferenz zur Jubiläums-Ausstellung. Die Schau zeichnet anhand von 90 Bildern die markante Entwicklung Mondrians vom Landschaftsmaler zum Meister der Abstraktion nach. Das 1941 entstandene Bild „New York City 1“ ist der Höhe- und Endpunkt der Präsentation. Und nun hängt ausgerechnet dieses bekannte Bild aus roten, gelben, blauen und schwarzen Klebestreifen, die sich waagerecht und senkrecht kreuzen, falsch herum?
Seit 1980 gehört es zum Bestand der NRW-Kunstsammlung. Im Gegensatz zu dem zeitgleich entstandenen fast identisch großen Schwesterbild in Öl, das im Pariser Centre Pompidou hängt, werde das Klebebild aber seit dem Tod Mondrians 1944 um 180 Grad gedreht gezeigt, sagte Susanne Meyer-Büser.
Auffällig ist zudem: Auf einem Foto, das wenige Tage nach Mondrians Tod 1944 in dessen Atelier entstand, ist das Klebebild noch in anderer Ausrichtung auf der Staffelei zu sehen: Die dichteren Streifen befinden sich am oberen Rand und verlaufen damit exakt wie beim Ölbild in Paris. „Könnte es sein, dass die auf dem Foto gezeigte Ausrichtung die eigentliche ist, die Mondrian intendiert hatte?“, fragte Meyer-Büser.
Auch der Verlauf der Klebebänder erhärtet ihre Annahme. Meyer-Büser glaubt, dass Mondrian von oben nach unten geklebt hat. Oben am Bild habe er noch Kontrolle über die Streifen gehabt und sie präzise angesetzt. „Nach unten labbert es aus.“ Dort seien die Streifen unsauber abgeknipst, so dass immer ein halber Zentimeter fehle. In der Düsseldorfer Hängung aber sind die unsauberen Kanten nun oben. Die Richtung der Klebestreifen habe letztlich auch die Restauratoren überzeugt, so die Kunsthistorikerin. So ist festzuhalten: „Das Gemälde New York City 1 aus der Kunstsammlung steht auf dem Kopf.“
Das Problem ist, dass Mondrian das Bild nicht signiert hatte. Eventuell diente es auch nur als Studienobjekt. Vielleicht sei der Hängungsfehler schon 1945 passiert, als das Bild erstmals im New Yorker Museum of Modern Art ausgestellt wurde, so Meyer-Büser. „War es Zufall, war es ein Versehen?“ Vielleicht sei es schon beim Auspacken der Transportkisten umgedreht worden. Der Nachlassverwalter Harry Holtzman habe später groß „Mondrian“ auf den Holzrahmen geschrieben. Habe auch er „nicht richtig hingeguckt“?
Das Bild sei jedenfalls so ins Werksverzeichnis eingegangen und damit kunsthistorisch akzeptiert, sagt Meyer-Büser. Umdrehen werde die Kunstsammlung das Klebestreifenbild nun nicht mehr. „Das werden wir nicht tun„, so Meyer-Büser. Schließlich habe es über 75 Jahre auf dem Kopf gestanden und bestehe aus empfindlichen Klebestreifen. „Drehe ich das Werk um, riskiere ich, dass es zerstört wird.“ Die verkehrte Hängung gehöre nun ja auch zur Geschichte des Bildes. „Und sie erzählt viel über das Hinsehen und das Akzeptieren von Autorität.“
„New York City 1“ gibt noch viel Anlass zu Spekulationen. Mondrian habe sich Zeit seines Lebens mit Spiegelungen beschäftigt, um seine eigene und die Wahrnehmung der Betrachter zu schärfen, sagte Meyer-Büser. „Vielleicht gibt es überhaupt keine richtige oder falsche Ausrichtung?“ Das Klebebild funktioniere letztlich wie ein Stadtplan: „New York City 1“ verlaufe in alle Richtungen – wie der „Boogie Woogie“, den Mondrian so liebte. (dpa)