Bilder in Augenhöhe zu hängen scheint ein ungeschriebenes Gesetz, dabei eröffnet der Blick nach unten neue Perspektiven. Unsere Stilkolumne „Alles nur Deko“ gibt Tipps für die Kunst im eigenen Heim. Folge 1: Hängt sie niedriger!
ShareEin Schlag in die Magengrube muss es sein, nicht ins Gesicht. Das ist kein Hinweis eines Nahkampfausbilders, sondern eine besonders einleuchtende Anleitung für das Hängen von Bildern, die dem Maler Mark Rothko zugeschrieben wird: Je niedriger desto besser. Wer schon einmal in die Verlegenheit gekommen ist, ein typisches Rothko-Bild zu hängen, wird allein wegen dessen schierer Größe nicht besonders weit nach oben gekommen sein. Für die anderen unter uns soll die Regel aber auch gelten, denn sie hilft, das häufigste Versehen beim Hausgebrauch von Kunst zu umgehen, das zu hohe Hängen von Bildern.
Die prägnantesten Beispiele dafür bieten Hotels. Häuser, in denen echte Kunst hängt, haben Persönlichkeit, hohe Gastgeberqualität, meistens etwas Abenteuerliches und ein geistvolles Verständnis von Einrichtung. Ein gewisses inhaltliches Niveau wird in diesen Hotels also selten unterschritten. Und dennoch scheint eine magische Kraft dafür zu sorgen, dass ein ideales Niveau der Bilderhöhe fast nie gehalten, sondern überschritten wird. In Wohnungen passiert das ebenso häufig, besonders in Altbauten mit hohen Decken. Die Bewohner glauben dann, die Höhe des Bildes in einem ausgewogenen Verhältnis zur Höhe der Wände zu hängen. Das sollten sie aber nicht tun. Man sollte die Entscheidung in einem ausgewogenen Verhältnis zum einzig gültigen Bezugspunkt beim Einrichten treffen: sich selbst.
Jedes Kunstwerk an einer Wand ist einem sinnlich näher, wenn es einem wie ein aufgeschlagenes Buch, unterhalb des Gesichtsfelds begegnet. Die Sicht auf das Bild ist konzentrierter, komfortabler, unmittelbarer. Eine niedrige Hängung erlaubt den Blick in das Bild, bei dem man mehr erfährt, als wenn man hinaufsehen muss. Auch die körperliche Nähe ist so schöner und nicht nur für große Menschen erlebbar. Eine unserer Lehrerinnen in der Schule war Frau Kucik. Sie stammte aus Wales und unterrichtete Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch. Sie hat in ihrem Leben also Großes geleistet. Aber sie war selbst eher von kleiner Statur und musste nach vielen Schulexkursionen ins Museum eine Nackenstarre einplanen. Zu hoch, alles zu hoch.
Den oben zitierten Rothko-Spruch haben wir vom Direktor der wunderbaren Osloer Galerie Standard erzählt bekommen. Auf deren diesjährigem Art-Basel-Messestand waren die mittelformatigen Bilder hüfthoch gehangen. Es war die niedrigste Hängung, die wir je geschehen haben, zu unserer größten Entzückung. Diese Entscheidung war so verblüffend wie der Effekt eindeutig. Von den Bildern ging unweigerlich eine Nahbarkeit aus, die jede Schüchternheit beim Betreten des Messestandes verfliegen ließ.
Wir möchten also für ein zu niedriges Hängen von Kunst an freien Wänden, über Konsolen, über Sofas (nein, niemand wird sich den Kopf stoßen) und hinter Schreibtischen eintreten. Ausnahmen sind natürlich erlaubt, wenn eine entschieden hohe Hängung Methode hat oder besondere Kompositionslust erkennen lässt. Etwa bei der Installation eines Frieses (logisch), bei der Hängung mehrerer Bilder übereinander (zwangsläufig, eines muss nach oben), bei Bildern über Kleiderschränken und Türen (empfohlen), bei der Anwesenheit von unkontrollierbaren Kindern (temporär) oder kontrollierbaren Dänischen Doggen (selten).
Wagen wir uns ans niedrige Niveau. Es gibt wenig zu verlieren, außer ein bisschen Spachtelmasse.
Stella von Senger ist Creative Director, Sebastian Hoffmann Galerist bei Ebensperger, Cecil von Renner ist Schauspieler. Gemeinsam betreiben sie den Stil- und Einrichtungsservice TADAN.