Viele folgen dem Drang, Dinge an die Wand zu schieben. Dabei wird ein Raum durch freistehende Möbel sozialer, auch Kunst steht gern im Zentrum. Folge 4 unserer Stilkolumne „Alles nur Deko“ empfiehlt: Ab in die Mitte!
ShareDie Menschen machen komische Dinge. Sie haben zum Beispiel die Angewohnheit, Einrichtungsgegenstände immerzu an die Wand zu schieben. Der Grund dafür liegt in der fälschlichen Annahme, der Raum würde dadurch an Größe gewinnen. Das geht rechnerisch gar nicht. Natürlich hat man dadurch mehr ununterbrochene Fußbodenfläche, aber die vermeintlich gesparte Fläche fehlt dann an anderer Stelle. Ganz sicher.
Man macht nicht in jedem Zimmer Yoga. Man braucht auch keine Landebahn von der Wohnzimmertür zum Balkon oder mindestens einen Meter Radius um sich herum, damit man sich bewegen kann. Es gibt natürlich Ausnahmen, sowohl bei Menschen als auch bei Wohnbedingungen, aber nicht so viele, dass sie die Anzahl der Räume entschuldigen könnten, die unter dieser Angewohnheit leiden.
Ein historisches und gutes Beispiel dafür, dass das An-die-Wand-Rücken nichts mit dem zur Verfügung stehenden Platz zu tun hat, ist das Schlafzimmer von Kaiser Franz Joseph in der Wiener Hofburg. Warum zum Beispiel mutet es im Vergleich zu anderen regierenden Schlafzimmern seiner Zeit so kurzsichtig, so klein, so eng an? Auch Franz Joseph hatte anscheinend das dringende mitteleuropäische Bedürfnis, sein Bett, seinen Schreibtisch, sein Sofa, Ablagen und Nachttische allesamt an die Wand zu schieben und dort aufzureihen. Warum er das tat, bleibt unklar. Zum Tanzen fehlt noch immer Raum (Yoga ginge vielleicht).
Dabei mangelt es nicht an Vorbildern freistehender Möbel. In England stolpert man gar über den Telefontisch (!), weil man auf 20 Quadratmetern nicht noch ein weiteres Möbel neben den sechs Tischchen mit Lampen, Vasen, Büchern und (leeren) Longdrink-Gläsern erwartet. Das amerikanische Empfangszimmer der Moderne ist gern wie eine gute Hotellobby aufgebaut: Couchtisch, drumherum Sofas und Sessel mit Ablagen, dahinter Kommoden und viele, viele Lampen, im Zimmer verteilt. Auch das traditionelle japanische Interieur, welches auf den ersten Blick viel vermeintlich ungenutzten Platz hat, ist natürlich eine fein durchdachte Komposition im und mit dem Raum. Was da steht, steht frei.
Es lohnt sich also, noch einmal in sich zu gehen und zu beobachten, ob man nicht auch selbst dem oben genannten Drang folgt. Denn die Möglichkeit, auch in einer durchschnittlich großen Wohnung um Möbel und Gegenstände herumgehen zu können, besteht und belohnt. Sie macht Räume tatsächlich geräumiger. Sie bietet auch den unschätzbaren Vorteil für Telefontiger (Städter, die beim Telefonieren in der Enge ihrer Apartments bis zu 2500 Meter im Laufe eines Gesprächs zurücklegen), ihrer Rastlosigkeit Raum und Strecke zu geben.
Ein Raum kann durch freistehende Möbel sozialer werden und bietet so mehr Rückzugsmöglichkeiten und schönere Zonierungen. Ein Hinweis darauf ist der „Conversation Chair“, also die Verschmelzung zweier gegenüberliegender Stühle oder Sessel, der schon dem Namen nach sozialen Charakter hat. Man kann ihn nur frei platzieren, sonst spricht einer der Gesprächspartner: mit der Wand.
Nicht einmal jedes Bild muss an die Wand. Am und im Bücherregal, auf dem Tisch auf kleinen Staffeleien oder an Paravents machen kleinere Werke eine gute und überraschende Figur. Überhaupt wird ein Zimmer, ähnlich wie eine schöne Ausstellung, sinnlicher, wenn die Gegenstände aus unterschiedlichen Richtungen angesehen werden können. Die Beziehung der Möbel und Gegenstände untereinander wird spannender, die Beziehungen ihrer Nutzer vielleicht entspannter. Kaum eine Galerie würde heute auf die Idee kommen, Skulpturen und Objekte samt Sockel an die Wand zu schieben; kein Stilllebenmaler rückt die Orange, den Apfel, das Glas, den Korb allesamt an den Rand der Leinwand. Das Ergebnis wäre eine Art Brettspiel mit viel Platz zum Würfeln in der Mitte. Spielen wir lieber mit ein paar Zentimetern! Allein kleine Abstände zwischen Sofas, Konsoltischen, Sockeln und ihren Wänden tun der Raumkomposition und Lässigkeit schon gut.
Hier geht’s zu Folge eins, zwei und drei von „Alles nur Deko“.
Stella von Senger ist Creative Director, Sebastian Hoffmann Galerist bei Ebensperger, Cecil von Renner ist Schauspieler. Gemeinsam betreiben sie den Stil- und Einrichtungsservice TADAN.