Kunstwissen / Der Nachthimmel über Kyjiw

Jedes Bild aus meiner Stadt zeigt dunkle Straßen. Im Blick durch die Objektive internationaler Medien scheint das ganze Land in Dunkelheit, als wäre es in einer düsteren Vergangenheit gefangen. In Wahrheit ist es anders: Einige Stadtteile bleiben ohne Beleuchtung, aber das gilt nicht für jede Straße. Die meisten Geschäfte passen sich den Umständen an.

An einem Novemberabend bin ich bei Vollmond durch meinen Bezirk flaniert. Noch nie sah ich so viele Sterne über Kyjiw. Trotz des unproduktiven Einflusses auf den Alltag war diese neue Erfahrung am Anfang bezaubernd. Ohne Elektrizität sinkt die Mobilverbindung und Netzqualität, niemand ist erreichbar. Ich gehe hinaus und höre zu, was Leute auf der Straße erzählen. Nach einem der Angriffe erfahre ich erst auf diesem Weg, dass eine Energiequelle in meinem Bezirk betroffen war. Alle bislang dringenden Aufgaben verlieren ihre Dringlichkeit. Deadlines sind relativ.

Diese romantisierenden Beobachtungen sind nur ein kleiner Einblick in die Schwere des Alltags und in ein dennoch frohes und unterstützendes Miteinander.  

Wie lange können wir ohne Netz und Mobilverbindung, ohne Wasser und Heizung leben? Ein paar Tage sind nichts – man fürchtet sich nicht, wenn nach den russischen Bombenangriffen wieder und wieder einige dieser Ressourcen ausfallen oder sogar alle auf einmal. Andere Regionen außerhalb von Kyjiw müssen schon viel länger so leben, doch davon erfährt die internationale Öffentlichkeit nur wenig. 

Die Angriffe auf die Infrastruktur und die Versuche, uns in düstere und dunkle Zeiten zu ziehen, sind ein Raub an Zeit. Es findet eine Asynchronisierung mit der Außenwelt statt, dennoch ist unser Miteinandersein im Kriegsalltag enger. Ich habe keine Angst, wenn ich jemanden ein paar Tage nicht erreichen kann – in den Stadtteilen links vom Fluss Dnipro ist die Verbindung schlechter. Dank der kommunalen Diensten wird die Stromversorgung meist unerwartet schnell wiederhergestellt, und dann ist auch die Netzverbindung wieder da.

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