Alles nur Deko

Durchsichtige Ambition

Wer Kunstwerke ins Fenster stellt, erfreut nicht nur sich selbst, sondern auch die Passanten. Unsere Stilkolumne gibt Tipps für die Kunst im eigenen Heim. Folge 6: Rückkehr der Schaufenster

Von STELLA VON SENGER, SEBASTIAN HOFFMANN & CECIL VON RENNER
04.01.2023

Im mittel- und süddeutschen Raum wurde bis in die 1970er-Jahre der soziale Status und die Ehrenhaftigkeit der Hausbewohner an der messerscharfen Faltung der Gardinen gemessen. (Ältere erinnern sich an die prägende Fernsehwerbung von Ado mit der Goldkante). Dass dieses „Ansehen“ von einer gewissen Undurchsichtigkeit geprägt war, versteht sich von selbst. Anders im norddeutschen Raum. Angelsächsisch geprägt und durch trübes Wetter gekennzeichnet, musste man in Hamburg-Harvestehude schon früh erkennen, dass Gardinen und Vorhänge das wenige Restlicht zusätzlich absorbieren. Vasen, wertvoller Zierrat und vor allem langhalsige Lampen sind dort noch heute die Dekorationswährungen im Fenster. 

Jasper Johns Schaufenster Fensterschmuck
Fensterschmuck: Eine dioramenartige Installation von Matson Jones für Schaufenster bei Tiffany & Co. — Matson Jones? Das waren Robert Rauschenberg und Jasper Johns in Personalunion zwischen 1954 und 1958. © Tiffany & Co.

In puncto Fenster lohnt sich vor allem der Blick in die regenreichste Stadt Europas, Bergen, und in die Hauptstadt des 20. Jahrhunderts, New York. Letztere ist vor allem für eines berühmt: Schaufenster. Es dürfte also kein Zufall sein, dass sich in der sonnenarmen Häuserschlucht der Fifth Avenue viele namhafte Künstler in den Auslagen der Kaufhäuser verwirklichen durften: Salvador Dalí, Robert Rauschenberg, Roy Lichtenstein, Andy Warhol, Jasper Johns. Alle hatten sie hier ihren „Spaß im Glas“, und die Übergänge zwischen Dekoration und Kunst waren fließend und gewollt. Warhol zeigte seine ersten Gemälde 1961 in einem Kaufhaus, bei Bonwit Teller – in den Fenstern. Diese bieten nämlich weitreichende Präsentationsmöglichkeiten. Wer Kunst ins Fenster stellt, hat nicht nur selbst etwas davon, sondern erfreut auch die Passanten. Sie werden durch ihre Neugier geradezu gezwungen hinzusehen, insbesondere wenn abends die Beleuchtung stimmt. Vielleicht reicht die Neugier auch aus, um anzuklopfen, um mehr über die „Ausstellung“ zu erfahren.

Genau das taten Simona Denicolai und Ivo Provoost für die gerade zu Ende gegangenen Bergen Assembly, der Triennale in der norwegischen Stadt. Denicolai & Provoost zeigten hier ihr Projekt Eyeliner, für das sie Gegenstände ausstellten, welche sie auf ihren Spaziergängen durch Bergen und Umgebung in Fenstern und auf Balkonen erspäht hatten und dann bei den Besitzern ausliehen. In ganz Bergen konnte man diesen Herbst also, wenn man eifrig unterwegs war, in den Fenstern eines Wohnhauses, Nagelstudios oder Restaurants nun ein kleines Schild sehen, auf dem stand: „Currently on loan at the Bryggens Museum“. Und im Bryggens Museum bekamen die Fensterdekorationen, jetzt versammelt wie bei einem stillen Fest, ihren verdient auratischen Raum einer Großausstellung.

Bergen Assembly Fensterinstallationen
Komposition nach außen: Ein Ensemble dreier Fensterinstallationen aus der Stadt Bergen, gezeigt vom Künstlerduo Denicolai & Provoost auf der Bergen Assembly, 2022

Aber auch wer im zweiten, dritten, vierten oder auf der Fifth Avenue eben im 80. Stockwerk wohnt, findet mit Kunst im und am Fenster einen neuen Blick auf beides. Der Ausblick wird besser, der Blick zurück stärker. Gewitzt, wer Kunst ins Fenster stellt; ein Poet, wer sie darauf oder an den Rahmen hängt; genial, wer das Fenster als künstlerisches Medium versteht und zum Beispiel in die häusliche Hängung integriert. Denn obwohl es uns vor der Nase liegt, scheint einem das Fenster nicht besonders häufig in den Sinn zu kommen, um als „Leinwand“’ benutzt zu werden. Das mag an der Durchsichtigkeit liegen – es gibt wunderschöne Kirchenscheiben von Henry Matisse, Marianne Peretti oder, freistehend, von Kehinde Wiley. Hier handelt es sich jedoch meistens um farbiges Glas. Das gewöhnliche Glas selbst als Bildträger zu nutzen ist selten. Picasso, sozusagen die Fifth Avenue unter den Künstlern, hat das mal gemacht. 1949 malte er Blumen, Vögel, Stiere, Figuren auf eine Scheibe und wurde dabei vom Künstlerfilm-Pionier Paul Haesarts aufgenommen.

Im Herbst gab es in der Galerie Noah Klink in Berlin eine Ausstellung des Künstlers Max Paul. Er zeigte unter anderem Fotoarbeiten, auf denen man Umrisse von Vögeln vor dunklem Hintergrund sehen konnte. Er hatte sie an der Neuen Nationalgalerie aufgenommen, sie zeigen die Fettabdrücke fehlgeleiteter Tauben auf den riesigen Scheiben des Gebäudes. Anzunehmen ist, dass auch sie die Kraft des Fensters einfach übersehen hatten. Die fehlenden Vogelschutzaufkleber waren auch Anlass für die besonders schöne und für unser Thema sinnfälligste Arbeit Pauls am Eingang der Galerie: Über die Fensterfront und die Glastür zog sich ein bräunliches Mäanderband auf Augenhöhe, aufgetragen mit flüssigem Make-up. Vielleicht zur Zierde oder zum Tierschutz oder als Reverenz an die antiken Tempelvorbilder der Neuen Nationalgalerie, aber auf jeden Fall hautverträglich für Neugierige, die sich die Nase am Glas plattdrücken, oder Irrende, die mit dem Gesicht an die Scheibe prallen. Auch wir Menschen sind nämlich mit unseren Köpfen manchmal in den Wolken. Und dann passiert schon mal ein Unglück und wir bemerken gar nicht, was doch eigentlich glasklar ist: Achtung Fenster! Bitte gerne mit Kunst. Danke.

Fensterkunst Eric Cohler
Anblick und Ausblick: Eine Fensterfanasie des Einrichters Eric Cohler in einem zweiten Stock auf der First Avenue. © Elle Decor

Hier geht’s zu Folge einszwei, drei, vier und fünf von „Alles nur Deko“.

Service

DIE KOLUMNISTEN

Stella von Senger ist Creative Director, Sebastian Hoffmann Galerist bei Ebensperger, Cecil von Renner ist Schauspieler. Gemeinsam betreiben sie den Stil- und Einrichtungsservice TADAN.

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