Das Zusammenspiel des Menschen mit banalen Alltagsobjekten inspiriert Erwin Wurm. Österreichs berühmtester Künstler sprach mit uns über Bodyshaming, seine beengte Kindheit und Kleidungstücke als skulpturales Phänomen
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30.01.2023
Mein Elternhaus war nicht kunstfeindlich, aber desinteressiert. Doch mein Vater hatte bei irgendeinem Maler ein Bild gekauft, als er in den Fünfzigerjahren die Wohnung eingerichtet hat. Es hing auf einer Bambuswand und schaute aus wie Picasso, war aber kein Picasso. Es ist mir immer wieder durch den Kopf gegangen, abstrakt, aber dann doch nicht abstrakt, komisch verformte Menschen. Leider habe ich es nicht mehr. Es war der Anfang, es hat etwas bei mir in Gang gesetzt.
Ich habe früh begonnen zu zeichnen, alles ganz klein, weil wir nicht viel Platz hatten. Ich hatte ein kleines Zimmer, das ich mit meiner Schwester teilen musste, auch den Schreibtisch. Da habe ich ganz kleine Zeichnungen mit kleinen Figürchen gemacht, und Skulpturen, maximal drei Zentimeter groß. Weil ich gern mit Krippenfiguren gespielt habe, hatte mein Vater, der Kriminalbeamter war, schon Sorge, dass ich vielleicht Priester werden möchte. Mich hat aber einfach die Plastizität dieser schön geschnitzten Holzfiguren angezogen. Im Gymnasium hatten wir dann einen tollen Kunsterzieher, sodass mein Interesse aufgeflammt ist, als hätte man Benzin hineingegossen.
Das „Narrow House“ ist 20 Meter lang und neun Meter hoch, wie Einfamilienhäuser halt so sind, aber wir haben es auf der Längsseite auf einen Meter gequetscht. Man kann hineingehen – alle Räume und Möbel sind natürlich auch geschmälert. Sofort stellt sich ein Gefühl von Klaustrophobie ein. Andererseits das Gefühl, zu Hause zu sein, weil man in unserem Kulturkreis diese Art von Familienhäusern kennt, wo die Eltern wohnen, die alle in etwa die gleichen Möbel und die gleichen Bilder haben. Das Schlafzimmer ist 40 Zentimeter breit, aber fünfeinhalb Meter lang. Das Kreuz über dem Bett ist auch gequetscht. Im Bad ist die Klobrille ganz schmal, es ist eine absurde Welt. Man bleibt stecken, wenn man einen Rucksack trägt, denn der Gang ist nur 50 Zentimeter breit. Für viele Leute ist es schwierig, durchzukommen. Das hat natürlich mit der Zeit zu tun, in der ich aufgewachsen bin, im Österreich der Nachkriegszeit. Ich bin 1954 geboren, die Gesellschaft war damals anders.
Rigide und relativ hart. Bodyshaming war zum Beispiel an der Tagesordnung. Man hat sich über andere, die fett waren oder kurz oder lang, lustig gemacht. Das war eine andere Zeit. Wir haben uns schon sehr weiterentwickelt, obwohl wir noch immer eine enge Gesellschaft sind.
Wir haben hier mehrere große Hallen und Werkstätten, Schmiede und Tischlerei, Lackiererei und dann die großen Lagerhallen. In Wien haben wir das Loft, meine Tochter geht dort in die Schule, und ich pendle zwischen Wien und Land hin und her. In Limberg sind wir insgesamt zehn Leute, ein kleiner, aber erfolgreicher Betrieb. Wir haben hier alle Möglichkeiten, die Lastwagen können reinfahren, anliefern und abholen. Meine Skulpturen sind ja manchmal sehr, sehr groß, dafür braucht man Riesenhallen. Oft denke ich, ach, wäre ich ein Maler, da bräuchte ich vielleicht eine Hilfe zum Aufspannen der Leinwände, aber sonst niemanden. Als Bildhauer geht es nicht anders, noch dazu, wenn man große Dinge macht. Aber ich habe ein super Team und wir verstehen uns alle gut, das ist fast wie Familie.