Krieg in der Ukraine

„Wir nennen es den unendlichen Februar“

Die Berliner Künstlerin Dariia Kuzmych lebt seit einigen Monaten wieder in der Ukraine. Wir sprachen mit ihr über ein Jahr Krieg, den Alltag der Sirenen und das Glücksgefühl, nach Kyjiw zurückzukehren

Von Simone Sondermann
23.02.2023

Wir haben vor einem Jahr schon einmal miteinander gesprochen, da war der Krieg in der Ukraine gerade mal ein paar Tage alt. Wie haben Sie diese Zeit in Erinnerung?

Ich war vor Kurzem in Wien, und vor einem Jahr war ich auch dort. Erneut in Wien zu sein war für mich wie ein Flashback: die gleiche Jahreszeit, der gleiche Kontext wie der, in dem ich damals die Nachricht vom russischen Angriff bekommen habe. Ich habe also außerhalb der Ukraine vom Krieg erfahren. Das war sehr schwierig, weil die neue Realität nicht mit meiner Umgebung übereingestimmt hat. Es hat sich angefühlt wie ein Unfall, sehr körperlich. Die ersten Wochen des Krieges waren sehr eng, sehr dicht, es gab jeden Tag so viele Ereignisse. Am Anfang haben wir jeden Tag gezählt, und nun sind es schon bald 365 Tage. Wir nennen das ganze Jahr des Krieges den unendlichen Februar. Und nun ist es wieder Februar, der echte Februar.

Wie geht es Ihnen heute im Vergleich zu damals?

Dariia Kuzmych körperreich, samtig, stechend, pochend
Dariia Kuzmych im Juli 2022 neben ihrer Installation „körperreich, samtig, stechend, pochend“ in Traiskirchen, Österreich. © Foto: Oksana Meister

Mir geht es gut. Ich bin jetzt in Kyjiw und fahre in den nächsten Tagen nach Cherson, um meinen Freunden Lena Samoilenko und Vitya Glushchenko von der Künstlergruppe Understructures zu helfen, die dort humanitäre Hilfe leisten. Sie fahren schon zum dritten Mal dorthin, für mich wird das die erste solche Reise. Wir liefern Medikamente, Powerbanks, alles, was die Leute dort brauchen. Die bringen wir vor allem älteren Menschen oder Menschen, die nicht mobil sind. Und es geht auch darum, schutzbedürftige Menschen zu überreden, sich evakuieren zu lassen. Es ist gefährlicher dort als in Kyjiw, es gibt viele Bombardierungen. Man bekommt keine Warnung, keinen Bombenalarm, weil die russische Armee sich schon am gegenüberliegenden Ufer des Dnipro befindet. Sie schießen willkürlich mit Artillerie, mit Panzern und anderen Waffen, die aus kurzer Distanz das Ziel treffen können.

Bei Kriegsbeginn waren Sie in Wien. Wie kam es dazu, dass Sie heute wieder in der Ukraine leben und arbeiten?

Bis Anfang Februar 2022 hatte ich drei Monate in Kyjiw verbracht und war dann zur Recherche für ein paar Wochen nach Wien gefahren. Eigentlich wohne ich in Berlin, aber dort war seit meinem Abschluss an der Universität der Künste nur sporadisch. Im August 2022 war ich dann zum ersten Mal seit Kriegsausbruch wieder in der Ukraine, seit Oktober bin ich durchgängig hier. Ich kam zum Aufbau einer Ausstellung für die Short List des Pinchuk Art Center Prize in Kyjiw, für den ich nominiert bin. Der Aufbau hat länger gedauert als geplant, weil es viele Stromausfälle gab, es war einfach kompliziert, so etwas unter Bombardierung hinzukriegen. Die Schau wurde im dann im Dezember eröffnet und läuft noch bis Ende April.

Das heißt, die Ausstellung war der Grund, dass Sie die sicheren Orte Berlin und Wien verlassen haben, um nach Kyjiw zu gehen?

Lena Samoilenko Vitya Glushchenko
Lena Samoilenko und Vitya Glushchenko beim Vorbereiten von Hilfspaketen für Cherson. © Dariia Kuzmych

Nein, das war zweitrangig. Es war für mich einfach wichtig, hier zu sein, sonst wäre ich nicht bis heute geblieben. Ich bin gekommen, um mein inneres und äußeres Bild in Einklang zu bringen. Es war für mich psychisch auf Dauer sehr schwierig, die Situation nur von außen mitzuerleben, zwar vermittelt über Menschen, die mir nahestehen, aber dennoch von außen. Ich wollte das ausgleichen, deshalb habe ich entschieden, hier für längere Zeit zu bleiben, und ja, ich bin immer noch hier.

Und ist es jetzt leichter?

Psychisch? Ja. Die erste Zeit hier war ich geradezu euphorisch oder zumindest sehr erleichtert. Jetzt bin ich schon etwas länger hier und habe mich an die Situation gewöhnt. Es war dann zum Teil auch schwierig wegen der Bombardierungen und der Stromausfälle, aber mich persönlich hat das nicht stark beeinträchtigt, ich weiß aber, dass das bei anderen anders ist. Die Stromausfälle werden nicht überall gleich schnell behoben, es ist manchmal von Straße zu Straße unterschiedlich, je nachdem, über welche Stromleitung sie versorgt wird. Das war den ganzen Herbst und Winter so, wegen der Angriffe. Wir hören jeden Tag Sirenen, manchmal mehrmals am Tag, die vor Bombardierungen warnen. Die sind so oft, dass du sie nicht immer ernst nehmen kann. Wenn man gerade arbeitet zum Beispiel, will man das nicht immer unterbrechen. Und dann passiert wieder etwas Schlimmes wie in Dnipro vor einem Monat, wo ein Wohnhaus bombardiert wurde …

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