Künstliche Intelligenz

Jeder Computer ein Künstler?

Die Revolution der Kunst durch künstliche Intelligenz kommt, aber wohl anders als erwartet. Rechtlich wirft sie völlig neue Fragen auf

Von Stefan Kobel
20.02.2023
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 210

Nach NFT kommt KI, die Kunst wird immer digitaler. KI steht für künstliche Intelligenz, auf Englisch AI oder artificial intelligence. Es geht um Bildwerke, die nicht von Menschen, sondern von Computern geschaffen werden. Bereits vor fünf Jahren ließ das Kollektiv Obvious ein fiktives Porträt des ebenfalls fiktiven Edmond De Belamy von einem Programm aus 15 000 Vorbildern der Kunstgeschichte erstellen und bei Christie’s für über 400 000 US-Dollar versteigern. Erst in den vergangenen Monaten aber sind die Medien voll von Artikeln über KI und Kunst. Der Grund: Seit 2022 ist DALL-E, ein vom US-Unternehmen OpenAI entwickeltes Programm, verfügbar. Jetzt kann jeder Computerkunst machen.

Hinter OpenAI, das auch den Textgenerator ChatGPT betreibt, stehen unter anderem Elon Musk und Microsoft. Andere Anbieter sind Midjourney oder die Open-Source-Initiative hinter Stable Diffusion. Bei diesen Programmen handelt es sich um sogenannte Text-zu-Bild-Generatoren. Die Bilder werden mit Algorithmen erstellt, die mit riesigen Datenmengen aus dem Internet oder anderen Quellen trainiert wurden, darunter Bilder aller Stile und Genres. Die Algorithmen lernen die Muster und Beziehungen zwischen Farben, Formen, Texturen und nutzen die Informationen, um neue Bilder zu erzeugen, die als Kunst angesehen werden können. Ein Programm, das auf berühmte Gemälde trainiert wurde, könnte etwa neue Bilder im Stil van Goghs oder Monets erzeugen.

Aktuell sorgt im MoMA in New York eine Arbeit von Refik Anadol für Furore, die in sehr großem Maßstab etwas Ähnliches tut: Auf einem monumentalen Bildschirm wabern in 3-D-Animation Formen und Farben, die sich aus sämtlichen Werken der Museumssammlung speisen sollen. Sie ist dauernd in Bewegung, es tauchen schemenhaft Elemente auf, die vertraut wirken und sich in einem endlosen Strom gleich wieder auflösen. Eine ganz andere Stoßrichtung verfolgt etwa das deutsche Künstlerduo Banz & Bowinkel, das in virtuellen Räumen virtuelle Figuren, sogenannte Avatare, selbstständig miteinander in Aktion treten lässt.

Refik Anadol Museum of Modern Art
Anadols großformatige KI-Installation beruht auf den Bildern der MoMA-Sammlung. © Refik Anadol Studio/courtesy The Museum of Modern Art, New York

Unbewegte Bilder mit KI selbst herzustellen ist denkbar einfach. Um etwa das Programm von Midjourney nutzen zu können, genügt ein kostenloser Account bei dem Diskussionsdienst discord.com. Nach Beitritt zum Channel von Midjourney reichen einfachste Textbefehle an den Bot (von »robot« für Roboter), sogenannte Prompts – etwa »/imagine meadow of flowers« –, um loszulegen. Nach wenigen Augenblicken liefert der Bot vier Versionen davon, was er sich unter einer Blumenwiese vorstellt. Bei stablediffusionweb.com geht es sogar noch einfacher: Hier wird der Befehl einfach in ein Textfeld der Webseite eingegeben.

Die schöne neue Welt der computergenerierten Bilder wirft rechtlich allerdings auch völlig neue Fragen auf. Da die Bilder als Dateien nicht von einer Person, sondern von einem Computer erstellt werden, kann auch niemand einen Anspruch auf Urheberschaft stellen. Jedes von einer KI geschaffene Bild ist daher gemeinfrei und kann von jedem veröffentlicht, weiterverarbeitet oder ausgedruckt werden. Künstlerinnen und Künstler können sich dadurch gleich von zwei Seiten bedroht fühlen. Einerseits könnte die Nachfrage nach ihrer eigenen kreativen Arbeit unter der elektronischen Konkurrenz leiden, andererseits ist die Software durch das Füttern mit unzähligen bereits existierenden Bildern überhaupt erst in die Lage versetzt worden, neue Bilder zu generieren. An diesem Punkt setzt eine gerade in Kalifornien anhängige Sammelklage von Künstlern an, die argumentieren, dass das Trainingsmaterial selbst urheberrechtlich geschützt sei und daher ohne Zustimmung nicht genutzt werden dürfe.

Ein Segment des Kunstmarktes wird es wahrscheinlich in Zukunft schwer haben: die Ausstatter von Hotels, Restaurants und Büros. Und auch von Wohnzimmern. Der Markt ist riesig, und die Qualitätslatte des in Lobbys oder Konferenzräumen Dargebotenen hängt häufig ausgesprochen niedrig. Auch in vielen Wohnzimmern finden sich oft Bilder, deren ästhetischer oder künstlerischer Anspruch hinter dem Dekorationszweck weit zurücksteht. Zahlreiche Künstler, die in den seltensten Fällen jemals in messefähigen Galerien ausgestellt haben, finden so ihr Auskommen. Aber ist es nicht viel attraktiver, ein Bild über dem Sofa zu haben, das genau den eigenen Wünschen entspricht? Wenn man denn willens und in der Lage ist, sich dem elektronischen Malgesellen verständlich zu machen.

Die Revolution der Kunst durch KI kommt, aber wahrscheinlich anders als von vielen erwartet. Für Künstler, die im internationalen Diskurs stehen, dürfte sich die künstliche Intelligenz zu einem Werkzeug entwickeln, das ihrer eigenen Kreativität neue Möglichkeiten eröffnet. Dass daraus eine eigene Ästhetik entstehen kann, mag Traditionalisten nicht gefallen. Aufhalten lässt sich die Entwicklung nicht, so wie sich die Kunst immer wieder neue Wege und Ausdrucksformen gesucht hat.

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