Mit dem Ukraine-Krieg hat sich für den in der DDR aufgewachsenen Maler Norbert Bisky die Perspektive auf die eigene Entwicklung deutlich verschoben. „Der Krieg wird unsere Zukunft verändern. Und in meinem Fall verändert er auch meine Vergangenheit, weil er meinen Blick auf meine Kindheit und Teenagerjahre in der DDR verändert“, sagte der 52-Jährige der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vor dem Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine (24. Februar). „Der Krieg verändert unsere Gegenwart, egal, was irgendjemand dazu sagt. Berlin ist näher an Osteuropa dran als an Düsseldorf. Wir können gar nicht so tun, als ginge uns das nichts an.“
Bisky erinnert sich: „Offensichtlich ist das Sowjetreich doch nicht unblutig zusammengebrochen. Es bricht mit brutal blutigen Kriegen zusammen. Das habe ich Anfang der 90er noch verdrängt.“ Tschetschenien oder Georgien seien weit weg. „Ich ärgere mich über mich selbst, dass ich das nicht klarer wahrgenommen habe“, sagt Bisky. „Jetzt aber ist es unübersehbar offensichtlich, was für monströse Auswüchse aus diesem Kommunismus hervorgegangen sind. Die führen ohne Skrupel Krieg gegen die eigenen Leute.“
Der Name Bisky gehört zur jüngeren deutschen Geschichte. Sein Vater war der langjährige PDS-Vorsitzende Lothar Bisky (1941-2013), sein Bruder ist der Journalist und Schriftsteller Jens Bisky. Der Maler stammt aus Leipzig, er wuchs in Berlin auf. Beim Mauerfall war er 19.
„Mein Vater mochte Putin nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er da jetzt irgendwie auf seiner Seite wäre“, sagt Bisky. Er selbst spricht von „entfesselten Ex-KGB-Offiziersverbrechern wie Putin, die zum Monströsesten gehören, was die Gegenwart hervorgebracht hat“.
Der Blick auf Russland war mal anders. „Als ich neun Jahre alt war, habe ich begonnen, Russisch zu lernen. Ich bin ein paar Mal nach Moskau gefahren und habe unheimlich viele positive Erinnerungen an Erlebnisse mit russischen Freunden. Natürlich verändert sich das jetzt.“
In Ostdeutschland hätten viele Menschen sehr positive Erinnerungen und Begegnungen mit Russen und Menschen aus der Sowjetunion. „Dass das dazu führt zu sagen: wir müssen jetzt einen Diktator in Schutz nehmen. Das finde ich irrwitzig und falsch.“
In seinem Atelier im Berliner Stadtteil Friedrichshain erinnert sich Bisky. „Als der Krieg losging, habe ich gerade in den USA eine Ausstellung eröffnet. Ich bin dankbar dafür, dass ich, obwohl ich ja aus dem zusammengebrochenen Sowjetimperium herkomme, jetzt in den USA im Museum eine Ausstellung machen kann.“ Dabei sei ihm „dieses Missverhältnis“ klar geworden, dass viele seiner Freunde, mit denen er telefoniert habe, sehr kritisch den USA gegenüber seien, „aber auf der anderen Seite zu sehr vielen Kompromissen bereit sind, wenn es um Russland geht. Das ist komplett verzerrt.“
Bisky verweist darauf, er sei in den Westen nicht hineingeboren, sondern reingewachsen. „Ich glaube, deshalb nehme ich das auch klarer wahr, wie auch viele Leute in Osteuropa, denen immer vorgeworfen wird, dass sie nicht objektiv genug seien. Dabei haben sie die blutige Geschichte des Sowjetreiches erlebt: 1953 in der DDR, 56 in Ungarn, 68 in Prag. Die ganze Zeit sind furchtbare Dinge passiert.“ Nun kulminiere es nochmal. „Die Menschen haben ein Verständnis davon, was das heißt, wenn russische Panzer ausrücken aus den Kasernen.“
Der Maler steht in Kontakt mit ukrainischen Künstlern. Dort würde viel von den Diskussionen in Deutschland nicht verstanden. „Weil sie darum kämpfen, nicht gefoltert, vergewaltigt und erschossen werden.“ Bisky beteiligt sich selbst an Hilfsaktionen. Der sechsstellige Erlös einer Edition sollte einen Katalog zu Ausstellungen über seine jüngste Auseinandersetzung mit der DDR finanzieren. Das Geld floss in die Ukraine-Hilfe.
„Wir unterstützen auf unkomplizierte Art Leute, die zum Beispiel in der Clubszene elektronische Musik in Kiew machen. Das ist eine Riesenszene und natürlich sind Tanzen, Feiern, queere Partys auch böse aus Kreml-Perspektive“, sagt Bisky.
Die Ereignisse verändern seinen Blick auf viele Dinge auch im privaten Umfeld. Bisky ist „sauer und wütend, in welche Richtung sich Teile der ehemaligen linken Szene entwickeln“. Schon bei der russischen Besetzung der Krim 2014 habe er sich total aufgeregt. „Mit einigen Leuten habe ich mich auch sehr verstritten. Und es geht mir jetzt wieder genauso.“
Wie beeinflussen die Ereignisse die Kunst des Malers? „Meine Arbeitswelt sind Emotionen, nicht Politik“, sagt Bisky. „Ich beschäftige mich viel mit meiner Wut und Rückblicken auf dieses wahnsinnige 20. Jahrhundert, in das ich hinein geboren wurde. Das verändert die Sache.“ Der Prozess sei nicht abgeschlossen. „Ich weiß nicht, wohin das führen wird.“
Die Leinwände spiegeln bereits den Prozess. „Ich habe viel Zerstörung, kaputte Gebäude, Brutalität, brutale Motive gemalt in meinen Bildern“, schildert es Bisky selbst. „Das mache ich im Moment nicht, es kommt überhaupt nicht vor, weil ich es völlig irre und anmaßend finden würde, jetzt aus der Ferne Bilder zu malen, die sich auch nur im Entferntesten auf diese Kriegssituation beziehen würden. Ich vermeide das bewusst.“
Der Zusammenbruch Osteuropas werde ihn nicht mehr loslassen. „Jetzt kriegt das noch mal eine andere Spirale: zu verstehen, wie monströs sich da der Zusammenbruch der Sowjetunion entwickelt, was für ein Wahnsinn da gerade stattfindet.“ Für einen künstlerischen Umgang mit den Ereignissen benötigt er mehr Abstand. „Malerei existiert im außersprachlichen Bereich“, sagt Bisky. „Ich werde viel Zeit brauchen, um diesen Wahnsinn, den wir jetzt erleben, in Bilder zu transformieren.“ (dpa)