Wohnen wie der King? Wer sich im Einrichtungsstil an Elvis orientiert, erlebt ein Fest der Opulenz und des feinsten Edelkitschs. Unsere Stilkolumne gibt Tipps für ein kunstvolles Heim. Folge 10: Graceland für alle
ShareHaben sie sich schon einmal überlegt, wie es wäre, Elvis Presleys Leben zu führen? Ohne die Nutznießer, die nervige Entourage, den Manager, die Pillen und die körperlichen Grenzgänge? Ohne den ganzen Ballast? Wir widmen uns heute den Innenräumen des Films „Elvis“ von Baz Luhrmann und dem, was wir von ihnen lernen können. Allerdings müssen wir gleich klarstellen: Für wen Opulenz gleich Ballast ist, wird in diesen Fiebertraumräumen doch nicht ohne Beruhigungspillen auskommen. Und auch die Gesellschaft einer Entourage wäre naheliegend angesichts der schieren Anzahl an Sitzgelegenheiten in Elvis’ Anwesen Graceland. Außerdem möchten wir vorab um Entschuldigung dafür bitten, dass sich hier die unterschiedlichen Ebenen vermischen (fiktionaler Film, das Zeitenamalgam des heutigen Graceland-Museums und die heutigen Fotoquellen). Was Erfindung, Realität und Wahrheit ist, wer weiß das schon bei einem solchen Film mit solch einer Hauptfigur. Wir passen uns da insgeheim Elvis’ Wahrnehmungswelt an.
Auf eine Form von Ballast konnte selbst der King fröhlich verzichten: die bildende Kunst. Sowohl in seinem Elternhaus als auch später in Graceland und in seinem Penthouse in Las Vegas dominierte das Kunsthandwerkliche. Waren es bei Vernon und Gladys Presley noch die Blumenstilllebenkalender, gerahmte Blütenreliefs und Steingutfigurinen, zwischen denen Elvis aufwuchs, so sollten es später gläserne Notenschlüssel, weiße Affenfiguren (in allen Größen und Qualitäten) und aufwendigste Bleiverglasungen sein. All das vermischte sich zu einem Gesamtkunstwerk — krasse Farbzusammenstellungen, Unmengen an Stoff, Kristall, Holzvertäfelungen, Antikspiegelverkleidungen, Möbel und plüschigen Fußbodenbelägen, die sich vom Eingangsbereich („Don’t tramp mud in the house!“, ermahnt Elvis seinen Cousin) bis in die Küche zogen. Dazu zählen genauso sein bunter Fuhrpark und die „Lisa Marie“ (nicht die Tochter, sondern der Privatjet).
Wie der Film sind auch seine Räume feinster und berührender Edelkitsch, eingängig und opulent. Zugleich trifft auf Elvis’ Haus das zu, was das Geheimnis großer Kunst ausmacht: Selbstreferenz. So sind zum Beispiel die wenigen malerischen Arbeiten im Erdgeschoss Darstellungen des Hauses oder des Hausherrn selbst.
Zeichen für Elvis’ ausgefallene Einrichtungsentscheidungen gibt es viele. Eine Insel aus Marmorfliesen unter dem Esstisch in der sonst komplett mit Teppichboden ausgelegten Etage zum Beispiel (praktisch eigentlich!). Oder das überlange Sofa als einladende Geste des Gastgebers (nett!). Oder auch die Fernseher, die in der gepolsterten Decke leicht angewinkelt über seinem Bett montiert waren (Gold wert!). Und ja, Fernseher, Mehrzahl. Angeblich hatte er gesehen, wie sein Kollege, der zweitmächtigste Mann der Welt und damals amtierende Präsident der Vereinigten Staaten, Lyndon B. Johnson, sich das Oval Office eingerichtet hatte. Der hatte dort nämlich drei Fernseher nebeneinanderstehen, um nichts zu verpassen. Also ließ sich Elvis fortan in jede seiner Behausungen auch drei Fernseher einbauen, sogar in der Klinik in Vegas. Hierhin hatte er sich selbst eingeliefert und verbrachte die Tage hinter mit Alufolie verdeckten Scheiben, die ihn vor der gleißenden Sonne der Außenwelt schützen sollten.
Süchtig nach der Liebe der Menschen und zerfressen von der Suche nach der Ewigkeit scheint der Elvis im Film nicht zu merken, dass er längst zum Vampir geworden ist. Die Szenen werden nächtlicher und die Räume dunkler. Rot, tiefes Blau und Lila, Gold und Kupfer dominieren die Zimmer, Schwarz seine Garderobe. Immer seltener zieht er die Sonnenbrille ab. Sein Körper scheint immer wieder dem Tod zu entrinnen, bevor er sich mit letzter Kraft auf die Bühne rafft, wo er die Bewunderung der Fans wie ein Lebenselixier in sich aufsaugt. Nach den Auftritten zieht er sich in seine Suite im International Hotel zurück, die im Vergleich zu Graceland erst recht wie eine Dracula-Höhle wirkt. Er selbst nennt das Hotel gegen Ende des Films ein Mausoleum. Mitten im Penthouse steht eine goldene Vitrine mit seinen Waffen und ein schwarzer Flügel (in Graceland war er noch weiß). Er schließt per Knopfdruck die schweren Vorhänge und fällt in der — natürlich — im Boden versenkten Sofalandschaft ins Delirium.
Von seiner Suite führt ein Fahrstuhl direkt in die Tiefgarage. Einmal trifft er dort unten auf seinen Manager: „Du blutsaugender alter Vampir, Du hast mich leergesaugt!“, wirft er ihm vor und verschwindet anschließend statt in der rettenden, dunkel verglasten Limousine doch wieder in seiner Vorhölle aus Samt, Velours und Ornamenten. Elvis hasn’t left the building. Interieur als Tragödie.
PS: Elvis lebt.