Er präsentiert ebenso virtuos, wie er verbirgt: der Paravent. Unsere Stilkolumne gibt Tipps für die Kunst im eigenen Heim. Folge 11: wunderbare Wandschirme
ShareWas unter den Büchern das Leporello ist, das ist unter den Möbeln der Paravent. Faltbar, bildlastig, überraschend. Dazu muss er gut gemacht sein, sonst steht er nicht. Dem Paravent wird heute oft eine reine Helferfunktion zugewiesen. Er schafft Raum, wo keiner ist; Privatsphäre, wo sie gebraucht wird; Ordnung, wo Chaos verborgen werden muss. Wir beschäftigen uns in dieser Ausgabe mit dem Paravent als fünfter Wand, als Kunstwerk und als platzproblemlösendem, buchstäblichem Bild-Träger.
Woher der Begriff Paravent kommt, scheint offensichtlicher, als es eindeutig ist: Seit 1599 ist er gebräuchlich — „gegen den Wind“. Die Winde, um die es dabei ging, kamen aus allen Himmels- und Bedeutungsrichtungen. Das waren der kalte Wind und die Zugluft, die von außen kamen, sowie „geschäftliche“ Winde, die von innen kamen (Versailles kannte keine Klos). Dabei stand der Wandschirm eigentlich immer zwischen Funktion und Dekoration. Das muss an seiner Zweigesichtigkeit liegen, denn dem Namen nach hält er den Wind ab, den Tatsachen nach die Blicke. Wo ein Paravent ist, wird auch Neugier verwaltet. Das Nolimetangere des Schauens: Seht her, aber seht nicht dahinter.
Bevor der Paravent in Japan beispielsweise die Funktion bekam, den Eingang vom Bösen abzuschirmen, war er im China des 4. Jahrhunderts vor Christus frei jeden Zwecks und hatte die schönste Daseinsberechtigung eines Bildes: Er war dazu da, angesehen zu werden, Auge und Geist anzuregen. Er war Kunst. Viel später sollte und heute darf er es wieder sein. Paul Cézanne, Paul Klee, Marc Chagall, Giacomo Balla haben sich des Mediums Paravent bedient; der Über-Designer Jean-Michel Frank arbeitete beim Wandschirm mit Diego Giacometti und Salvador Dalí zusammen. Selbst die Designerin Eileen Gray verlieh ihrer Variante in den 1920ern einen skulpturalen oder abstrakt-reliefhaften Charakter. Charles und Ray Eames brauchten ihn wiederum, um ihre flexiblen Grundrisse und multifunktionalen Räume zu strukturieren. Ein Paravent kann also nicht nur Ordnung schaffen, indem er Unordnung verbirgt, er kann auch den Blick binden und in unseren Wohnquadern für erholsame Unregelmäßigkeit und Schrägheit sorgen. Das gelingt schon mit dem einfachen, stoff- oder papierbespannten Wandschirm gut, man muss nicht gleich Dan Graham bemühen (kann man aber natürlich) oder in der großartigen Mailänder Galerie Nilufar einkaufen (besuchen sollte man sie aber in jedem Fall).
Wie können wir uns also zu Hause des einfachen Paravents für die Kunst bedienen? Menschen, die Kunst besitzen und — geht es nach ihren Galeristen — noch mehr davon brauchen, sagen oft, sie hätten keinen Platz für weitere Bilder. Hier schafft der Paravent spatialen Ablass. Er macht das Passierte nicht ungeschehen (bereits vollgehangene Wände), bietet aber Erleichterung (neue Hängeflächen und Zusammenhänge). Auch in der kleinsten Hütte ist noch Raum für Wind und Wände. Bei Nischen, Fenstern, Türen und bei Sitzgruppen aufgestellte Paravents sind verblüffende Präsentationsflächen für kleinformatige Kunstwerke. An sie lassen sich eben auch auffaltbare Geschichten wie ein Leporello hängen.
Übrigens sind offen stehende Leporellos wiederum ganz herrliche Tisch-Paravents, hinter denen sich im Kleinen wie beim großen Bruder Dinge verbergen lassen, die man benötigt, die aber nicht dringend gesehen werden sollen: der Drucker, das Faxgerät (nostalgischer Gedanke), Ladegeräte, Steckdosen überhaupt, Whiskey.