Bild des Tages

Warum Malewitsch jetzt Ukrainer ist

Immer mehr Museen blicken angesichts des russischen Angriffskriegs kritisch auf ihre Kunstgeschichtsschreibung und kategorisieren vormals als russisch gelabelte Künstlerinnen und Künstler nun als ukrainisch

Von Simone Sondermann
22.03.2023

Der Krieg in der Ukraine geht nun mehr als ein Jahr und wirkt sich nicht mehr nur auf unsere Gegenwart aus, sondern auch auf den Blick auf die Geschichte. Dies gilt auch für die im aktuellen Ukraine-Krieg so schicksalhafte Frage, wer denn nun ein Russe oder eine Russin ist und wer eben nicht. Das Stedelijk Museum in Amsterdam besitzt die größte Sammlung des Malers Kasimir Malewitsch außerhalb Russlands. Lange galt der Begründer des Suprematismus als klassischer Vertreter der Russischen Avantgarde, da er lange in Moskau und Sankt Petersburg, dem damaligen Leningrad, lebte und wirkte, sich bei allen Konflikten mit der Idee des Sowjetimperiums durchaus identifizierte und dabei sogar zu künstlerischen Zugeständnissen an die stalinistische Kulturpolitik bereit war. Daher bezeichnete ihn das Museum auf Tafeln, ihrer Website und in Katalogen lange Zeit als russisch. Jetzt hat man in Amsterdam noch einmal genauer hingeschaut und diese Zuordnung vor knapp einem Monat revidiert. Malewitsch wurde 1879 in Kiew geboren, das damals Teil des zaristischen Imperiums war. Im Stedelijk wird er nun als „geboren in der Ukraine, Eltern polnischer Abstammung“ gelabelt. Denn das Zarenreich war wie die spätere Sowjetunion ebenso imperialistisch wie ein Vielvölkerstaat. Auch andere Museen überprüfen in diesem Sinne derzeit ihre Kunstgeschichtsschreibung. Das Metropolitan Museum hat die Maler Ilya Repin, Iwan Aiwasowski und Archip Kuindschi ebenfalls vom Label „Russisch“ befreit. Wie kompliziert das Ganze bleibt, zeigt der Fall Aiwasowski, der auf der Halbinsel Krim zu Hause war. Er war weder Russe, wie lange behauptet, noch Ukrainer, sondern Armenier. Darauf wies laut Art Newspaper die ukrainische Journalistin Oksana Semenik hin. Jüngst ging die National Gallery in London einen Schritt weiter und machte Edgar Degas’ Pastellzeichnung „Russische Tänzerinnen“ zu „Tänzerinnen im ukrainischen Kleid“. Die Frauen auf dem Blatt tragen einen typisch blau-gelben Haarschmuck – die Farben der Ukraine.

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