Bild des Tages

Das verlorene Paradies

Das Frankfurter „Paradiesgärtlein“ aus dem 15. Jahrhundert ist derzeit in einer Schau zur Zukunft des Gartens im Vitra Design Museum zu sehen

Von Simone Sondermann
05.04.2023
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 200

Ein umfriedeter Garten: Gibt es eine sanftere Glücksvorstellung in unruhigen Zeiten? Für den oberrheinischen Meister (oder die Meisterin, wer weiß das schon) war der Hortus conclusus um 1420 die Verbildlichung des Paradieses. Die kleine, aber feine Tafel zeigt die Gottesmutter in einem blühenden Eiland, in dem, geschützt durch eine Mauer, das Böse besiegt ist. Alles hat seinen rechten Ort. Das Schöne am „Paradiesgärtlein“, ein Prunkstück des Frankfurter Städel Museums, ist auch seine präzise Darstellung der Pflanzen. Die Blumen rund um die lesende Gottesmutter sind ein Potpourri heimischer Flora: Erdbeerbusch, Pfingstrosen, Akeleien, Lilien, alles Gewächse der gemäßigten Zone. Als Christoph Kolumbus gegen Ende des 15. Jahrhunderts Amerika „entdeckte“ und das Zeitalter der europäischen Expansion begann, hatte dies auch Folgen für die natürliche Welt. Die Mauern der Gärten fielen. Nicht nur verbreiteten die Europäer fatalerweise ihre Krankheiten rund um den Globus, sie brachten auf den großen Entdecker- und Forscherreisen auch neue Pflanzen nach Europa. Die botanischen Gärten, bis heute beliebte Erholungsorte in unseren Städten, haben also ein koloniales Erbe. So wie die Geranie, Inbegriff spießig deutscher Balkonbegrünung, die eigentlich Südafrikanerin ist. Schon vor dem menschengemachten Klimawandel war die Natur, die wir noch immer als Gegensatz zur Kultur missverstehen, keinesfalls geschichtslos. Und die Zeit der geschlossenen Gärten ist vorbei. Die globalisierte Welt ist der eine Garten für uns alle.

Übrigens: Das Werk ist aktuell in der Ausstellung „Garden Futures: Designing with Nature“ im Vitra Design Museum in Weil am Rhein zu sehen.

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