Alles nur Deko

Fließender Übergang

Wenn der Frühling da ist, kommt Licht ins Haus, und die Möbel wandern nach draußen. Unsere Stilkolumne gibt Tipps für ein kunstvolles Heim. Folge 14: das Spiel zwischen Innen und Außen

Von STELLA VON SENGER, SEBASTIAN HOFFMANN & CECIL VON RENNER
26.04.2023

Dinge aus ihrer gewohnten Umgebung nehmen, ihnen einen neuen, ungewohnten Kontext geben — diesen Trick kennt man von Künstlern, Architekten und gewitzten Interior-Designern. Das Ergebnis liegt dann je nach Schärfe der Verfremdung zwischen Überraschung, Witz oder Empörung und der elterlichen Bemerkung, wie unpraktisch das nun wieder sei.

Im besten Fall ist es so: Etwas Selbstverständliches wird plötzlich wieder neu entdeckt, ist auf einmal wieder hochinteressant, und allerlei Fragen können sich ergeben. Das gilt sowohl für langjährige Liebespartner als auch für Alltagsgegenstände. 

Zäune Interior Design
Alptraum so mancher deutschen Eigenheimbesitzer: keine Zäune. Gesehen auf: https://www.clevelandfoundation.org/2019/04/what-we-talk-about-when-we-talk-about-middle-neighborhoods/

Ein Einstieg in dieses Spiel gelingt am einfachsten mit dem wunderbaren Auslagern von Innenraumobjekten in den Außenbereich und dem umgekehrten Vorgang. Man nehme sich etwa ein Beispiel an den Wohngemeinschaften der Frat-Houses in den USA. Dort erkannten die pfiffigen jungen Männer schon früh, dass ein nicht bemerkenswertes „Budweiser“-Leuchtreklameschild vor der Stammbar mit einem Ortswechsel, nämlich in den Innenraum des Partywohnzimmers, ein immer wieder aufs Neue beeindruckender Gag sein kann. Plötzlich wurde ein im Straßenbild selbstverständliches Objekt zum absoluten Siegel der Coolness und Neidtreiber unter den Kappa-, Alpha-, Theta- und Omega-Häusern der College-Bros’.

Nun bricht bei uns die Jahreszeit heran, in der wir ganz plötzlich den Balkon herrichten wollen, den Garten wieder entdecken oder die Wohnung einem Frühjahrsputz unterziehen. Und ein Gedanke, der sich mitnehmen lässt in diese Vorhaben, ist eben etwas fließender vorzugehen in der Gestaltung zwischen Indoor und Outdoor. Es muss ja nicht gleich ein privater Land-Art-Park im Garten sein oder ein offenes Haifischbecken im Gästezimmer. Schon kleine Veränderungen bewirken Lässigkeit und Großzügigkeit, wenn das Außen gemütlicher und das Innen frischer und spielerischer wird. Wirklich große Pflanzen in wirklich großen Töpfen ins Haus zu holen ist zum Beispiel eine solche Maßnahme. Ihr schönstes Denkmal in Deutschland ist bestimmt das Orangerieschloss Friedrich Wilhelms IV. in Potsdam. Für dessen Zitrusfrüchte, Palmen und Olivenbäume wurden sogar eigene Holzkübel in ihrem ganz eigenen Sanssouci-Grün entworfen wurden, die auch und ganz besonders innen bella figura machen. Überhaupt ist das Konzept des Wintergartens als Ort der Vermischung beider Welten die allerbeste Idee. Sie ermöglicht es in unseren Gefilden, auch in jenen Monaten „fast“ draußen zu sitzen, in denen die Lust stimmt, aber noch nicht das Wetter. 

Paris Bar Berlin
Wegweisend: Betrunkene Laterne außen, vor der Paris Bar. © Paris Bar

Auch Gartenmöbel überleben im Wohnzimmer. Umgekehrt ist das schwieriger, aber wie schön, wenn man draußen ein Sofa hat! Wenn’s nicht regnet oder sogar überdacht ist, mit Kissen, Beistelltischen, Lampen. Oder Kunst. Vor der Paris Bar in Berlin stand die längste Zeit Martin Kippenbergers „Betrunkene Laterne“ einfach auf der Straße, bis sie von Amts wegen nach drinnen auf die Fensterbank verdonnert wurde. Das macht diesen Fall für unser Thema besonders bemerkenswert, denn als Kunst gehörte sie nicht auf die Straße und als Laterne nicht nach innen, funktioniert aber hier und da genial. Zu Hause geht das schon mit einem Liegestuhl, den man ins Wohnzimmer stellt. Und vielleicht lässt sich ein Bad ja auch mit Pflastersteinen fliesen (Orthopäden empfehlen das sogar wahrscheinlich). 

Ein Meister des fließenden, undefinierbaren Raums war der spanische Künstlerarchitekt Xavier Corberó, der über Jahrzehnte und bis zu seinem Tod einen Gebäudekomplex schuf, der sich unglaublich frei zwischen Innen und Außen, Haus und Skulptur bewegt. Das Gleiche gilt für Niki de Saint Phalles Häuser und Gärten in der Toskana und an der belgischen Küste.

Interior Design Kolumne Innen und Außen
Unsere Stilkolumnisten Stella von Senger, Sebastian Hoffmann und (draußen) Cecil von Renner. © Catherine Peter

Es ist das Freilassen der Räume aus der Norm, was unsere Herzen etwas höher schlagen lässt. Und was dann, wenn die Vermischung zwischen Privatraum und öffentlichem Raum stattfindet, offen und einladend wirkt. Wüsste man nicht um das potenzielle (immerhin erlaubte) Waffenarsenal der Eigentümer, würde man beim Spaziergang durch die Vororte der Vereinigten Staaten am liebsten direkt an die Häuser klopfen, deren Vorgärten durch die Abwesenheit von Zäunen oder Hecken so wunderbar entspannt und friedlich wirken oder deren Veranden eigentlich einem offenen Wohnzimmer zur Straße hin ähneln. Die gleiche Wirkung haben die endlosen Topfpflanzen vor den Häusern in den Gassen Roms. Wenn man genau hinschaut, findet man inzwischen aber auch in Berlin die ersten zarten Anzeichen von Inspiration, die ersten Versuche der mutigen Vorreiter, auch hier bei uns die Türen zu öffnen. Ab und zu tauchen vor Häusern erste Pflanzenkübel auf dem Gehweg auf, meistens noch gesichert durch ein Fahrradschloss. Ein erster kleiner Zeh ins kalte Wasser. Ach wie schön! Der Frühling ist da!

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