Fondation Carmignac

Porquerolles ahoi!

Auf der Insel Porquerolles an der Côte d’Azur verwirklichte ein französischer Sammler seinen Traum. Er ließ ein Museum bauen, so berauschend wie die Natur, die es umgibt

Von Tim Ackermann
11.04.2023
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 145

Die Fahrt ins Glück dauert fast 23 Minuten. Länger als sonst. Wahrscheinlich wegen der Wellen, die unregelmäßig vorn ans Taxiboot knallen. Normalerweise zählt man an der französischen Côte d’Azur pro Jahr über 300 Sonnentage. Doch an diesem Morgen hat es geregnet, und auch jetzt raubt ein diesiger Schleier über dem gar nicht mehr so blauen Meer die Sicht. Erst nach zehn Minuten meint man, sie erstmals zu erkennen – die Insel, deren bewaldeter Hügelrücken sich dunkel aus dem Wasser hebt. Im Dunst hat ihr Anblick etwas Außerweltliches: So, als wolle sie für immer Sehnsucht bleiben. Doch wenige Minuten später gelangt das Boot in ruhiges Wasser. Die Wolkendecke reißt auf, und plötzlich liegt es vor einem – mit seinem Hafen, den Booten und bunten kleinen Häusern. Das Glück in Gestalt einer Insel. Oder auch: Porquerolles. Sieben Kilometer lang und nur drei Kilometer breit. Geformt wie ein Croissant. Ein Eiland in der Sonne, dessen erster Anblick vom Boot aus den Schriftsteller Georges Simenon „tief bewegte“. Und nicht nur ihn, sondern 1,4 Millionen Tagestouristen in den Sommermonaten. Es gibt eine pittoreske Steilküste im Süden, Traumstrände im Norden. Braucht dieses Paradies ein Kunstmuseum?

Um diese Frage zu klären, bin ich hier: Die private Kunststiftung Fondation Carmignac aus Paris hat auf Porquerolles ihr Museum eröffnet. Doch zuerst nehme ich den Weg zum Dorfplatz, um im Hotel Villa Sainte Anne einzuchecken. Die Chefin Adèle Le Ber, vor 31 Jahren auf der Insel geboren, ist eine Urenkelin von François Joseph Fournier, der als Abenteurer in Mexiko mit einer Goldmine ein Vermögen anhäufte und 1912 einen Großteil des noch verschlafenen Porquerolles als Hochzeitsgeschenk für seine junge Frau Sylvia ersteigerte. Die beiden zogen hierher, bekamen sieben Kinder und öffneten die Insel behutsam für den Tourismus. Am Ende ihres Lebens sorgte sich Sylvia Fournier um die Zukunft: „Meine Urgroßmutter ahnte, dass es nur zwei Möglichkeiten gab“, erzählt Adèle Le Ber: „Entweder Immobilieninvestoren zu holen, die hier riesige Hotelklötze errichtet hätten, oder Porquerolles an den Staat zurückzugeben.“ Glücklicherweise entschied sie sich für die zweite Option: Seit 1971 ist die Insel Naturschutzgebiet, nahezu autofrei und die Bevölkerung mit 300 Einwohnern überschaubar. „Das Besondere an Porquerolles sind die Natur und die Menschen, die hier leben“, erklärt Adèle Le Ber. Respekt für beide schärft sie ihren Gästen ein.

Alexandre Farto VHILS Scratching the surface
Umgeben von Grün: „Scratching the surface“ (2018) von Alexandre Farto aka VHILS. © Fondation Carmignac, Foto: Camille Moirenc

Zur Fondation Carmignac geht es also zu Fuß – auf einem der typischen Sandwege, unter Kiefern und Schirmpinien, bis man vor einem großen Metalltor steht, das am Tag ins Gebüsch zurückgezogen wird. Wer seine Tasche im Garderobenschrank einschließen möchte, findet ihn versteckt in einem Hain junger Steineichen. Auf dem Hauptweg serviert Charles Carmignac, seit 2018 Museumsdirektor, einen Becher geheimnisvollen Kräutersud, um die „Aufnahmefähigkeit des Besuchers zu unterstützen“. In wenigen Minuten wird er mich noch bitten, im Museum die Schuhe und Socken auszuziehen, um die Energie des Steinbodens besser zu spüren. Doch für den Moment setzt sich Carmignac auf eine Mauer in die Abendsonne. Seine braunen Augen blinzeln unter dem dunklen Lockenschopf. „Unser Projekt ist komplett in die Landschaft integriert“, sagt er und lässt den Blick zur Villa auf dem kleinen Hügel wandern. In diesem steckt – gut verborgen – die Kunst.

Das alte Bauernhaus inmitten von 35 Hektar Weinstöcken baute der Architekt Henri Vidal in den Achtzigerjahren zu seinem Landsitz um. Als eine seiner Töchter dort den Schauspieler Jean Rochefort ehelichte, war auch der Fondsmanager Édouard Carmignac eingeladen. Vielleicht hat die Magie jener Nacht, in der Jean-Paul Belmondo per Hubschrauber einflog, eine Rolle gespielt: Édouard Carmignac jedenfalls signalisierte sofort Kaufbereitschaft für die Villa – und musste doch noch Jahrzehnte warten. 2012 verkündete er den Plan für das Museum. Doch die Lage kam mit Auflagen: „Wir durften keinen Meter Erdboden für die Erweiterung der Villa aufwenden“, erzählt sein Sohn. „Also haben wir unter der Erde gebaut.“

Fondation Carmignac Porquellos
Mit der Fondation Carmignac verwirklichte sich Édouard Carmignac seinen Traum. Sein Museum ist so berauschend wie die Natur, die es umgibt. © Fondation Carmignac, Foto: Laurent Lecat

Rund 2000 Quadratmeter Ausstellungsfläche unterirdisch zu verstecken hatte seinen Preis. Über den bei den Carmignacs – wie bei so vielen Privatsammlern – diskret geschwiegen wird. Geld dürfte kaum zu den Sorgen von Édouard Carmignac zählen. Der 70-Jährige verwaltete im ersten Quartal des Jahres 2018 mit seiner Firma Carmignac Gestion Anlagen im Wert von 55 Milliarden Euro. Sein privates Vermögen schätzte Forbes auf 1,8 Milliarden Dollar. Und als er 2017 mit seinem Sohn die Kunstmesse Art Basel besuchte, kehrten die beiden leichterhand mit dem Gerhard-Richter-Gemälde „Horst mit Hund“ (1965) zurück, dessen Anfragepreis nach Medienberichten bereits 2014 bei 6 bis 7 Millionen Dollar lag. Ansonsten wusste man bisher eher wenig über die gut 300 Werke zählende Carmignac-Kollektion, die auf die Firmensitze in Paris, London, Miami oder Luxemburg verteilt war.

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