Antike Möbel

Warum Antiquitäten nachhaltig sind

Wer eine Barockkommode kauft, schont die Ressourcen der Natur. Antiquitäten und alte Kunst sind heute kein Luxus mehr – und die wohl schönste Form von Nachhaltigkeit

Von Sebastian Preuss
30.06.2023
/ Erschienen in Kunst und Auktionen Nr. 20/22

Dass heute viele Menschen ihre Wohnzimmer nicht mehr als Rokokosalons oder Biedermeierstuben ausstatten wollen, sondern stattdessen moderne Möbel und Bilder der Gegenwart bevorzugen, ist der Lauf der Dinge. Kulturpessimistische Klagen sind nicht angebracht. Viel sinnvoller ist es zu überlegen, wie Antiquitäten und die alte Kunst eine neue Wertschätzung gewinnen können. Auch in der Redaktion machen wir uns darüber viele Gedanken. Denn wir sind überzeugt, dass ein historisches Möbelstück des 18. Jahrhunderts, ein figürlich bemalter Majolikateller der Renaissance oder eine Jugendstilvase aus Wien das Leben ganz anders bereichern als fabrikneue Produkte. Ihre Geschichten müssen erzählt werden: die hohe handwerkliche Qualität, die geschichtlichen Kontexte ihrer Entstehung (gerade wirtschafts- und sozialpolitisch sind die Artefakte oft spannend), aber auch ihre „Biografien“, der Weg, der sie über die Zeiten zu ganz unterschiedlichen Besitzern brachte.

Ein Aspekt, der heute besonders aktuell ist, trifft für alle Antiquitäten zu: die Nachhaltigkeit. Wer eine Barockkommode kauft, schont die Ressourcen der Natur. Kein Baum wird gefällt, kein bisschen Energie aufgebracht, keine chemische Substanz zur Produktion benötigt. Allenfalls zur Restaurierung müssen (vorzugsweise naturnahe) Mittel eingesetzt werden, eventuell braucht es ein Stück (altes) Holz zur Ergänzung. Überall wird derzeit zirkuläres Wirtschaften gefordert. Bei Antiquitäten ist es perfekt erfüllt. Das Schöne dabei ist: Empirefauteuils, Delfter Fayencen oder kunstvoll geschnittene Gläser aus Böhmen sind kein Luxus mehr. Natürlich erfordern Stücke von hoher musealer Qualität auch hohe Preise. Aber die „Mittelware“ ist heute so günstig wie noch nie. Warum nicht der Tochter oder dem Sohn eine Kommode des 18. oder frühen 19. Jahrhunderts als Erstausstattung fürs Studentenzimmer mitgeben?

Kommode Antiquitäten Dorotheum
Möbel-Nostalgie des späten 19. Jahrhunderts: Die Kommode à la 1770 / 80 kostete im Dorotheum mit Aufgeld 12.800 Euro. © Dorotheum, Wien

Für 3000 bis 4000 Euro, manchmal auch schon für 1500 oder gar 800 Euro sind Stücke zu haben, die sich einst nur wenige leisten konnten. Nach musealen Maßstäben weisen diese Stücke womöglich den einen oder anderen Makel auf, aber sie sind voller Individualität, Charme und historischer Aura. Solche Möbel können einen das ganze Leben begleiten, und im Gegensatz zu den Pressspanprodukten von heute überdauern sie jeden Umzug. Alte Schränke lassen sich beliebig oft auseinandernehmen.

Hinzu kommt: Wer sich ein bisschen einarbeitet, um etwas über den Kontext der Entstehung zu erfahren, fängt vielleicht sogar Feuer an diesem Thema und gelangt zu einem neuen Hobby. Die klassischen Connaisseur-Sammler, die sich über Jahrzehnte einem Gebiet verschreiben und selbst zu Experten werden, sind gerade bei der alten Kunst seltener geworden. Und doch werden alle Käufer von Antiquitäten rasch merken, wie viel Spaß es macht, tiefer in die Materie einzusteigen und mehr über die Geschichte zu wissen, mit der man täglich lebt.

Antiquitäten sind ein gewaltiges Reservoir, das vor dem Hintergrund von Naturschutz und Ressourcenschonung, eine völlig neue Bedeutung gewinnen sollte. Das betrifft nicht nur die Möbel. Warum Keramikschalen aus chinesischen Fabriken kaufen, wenn es viele herrliche Stücke im Angebot der Auktionshäuser gibt? Alte Silberbestecke (auch hier die Spitzenwerke ausgenommen) sind sowieso meist günstiger als neue. Und wenn das Herz für modernes Design schlägt, gibt es auch hier ausreichend Vintage-Objekte in allen Preisklassen. Die Fabrikanten von heute werden es nicht gerne hören, aber die Natur dankt es uns, wenn wir den Fundus der Antiquitäten nutzen.

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