Was mich berührt

Blau ist die Liebe

In seiner Kolumne „Was mich berührt“ stellt der Bestseller-Autor Daniel Schreiber Künstlerinnen und Künstler vor, die sein Leben begleiten. Folge 9: David Hockney und die Swimmingpools

Von Daniel Schreiber
29.06.2023

Manchmal frage ich mich, ob es nicht so etwas wie Lebenskünstler und -künstlerinnen gibt, die uns unser ganzes Leben lang begleiten, so wie es bestimmte Freundinnen und Freunde tun. Vielleicht ist das ein kitschiger Gedanke. Aber es gibt Künstlerinnen und Künstler, die ich liebe – egal, was sie tun, egal, wie bedeutend oder unbedeutend die Werkphasen sind, in denen sie sich gerade befinden. Deren Arbeiten mir etwas bedeutet haben, als ich jung war, und mir wahrscheinlich noch in vielen Jahren etwas bedeuten werden.

Ganz oben auf dieser Liste steht David Hockney. Ich habe noch nie ein Bild, eine Zeichnung oder ein Foto von ihm gesehen, das ich nicht in irgendeiner Hinsicht gemocht hätte. Selbst die weniger guten Arbeiten von ihm lösen ein Gefühl der Vertrautheit in mir aus und stoßen alle möglichen Fragen in mir an. Ich kann mir die cleveren Bilder seines Frühwerks anschauen, die noch der Nachkriegsavantgarde-Ästhetik verhaftet waren, und denke, dass sie vielleicht ein bisschen too cool for school sind, liebe aber trotzdem, mit welch bahnbrechender Offenheit er Sex und Queerness darin verarbeitete. Ich kann durch eine Ausstellung mit den leuchtenden Landschaften seines Spätwerks gehen, durch den von ihm mit seinem iPad eingefangenen Wechsel der Jahreszeiten in Yorkshire und der Normandie, und finde die Arbeiten eigentlich zu dekorativ, und dennoch sagen sie mir etwas. Ich bin voller Bewunderung dafür, mit welcher Selbstverständlichkeit er sich weiterentwickelt hat, wie er sich bis heute, bis ins hohe Alter immer wieder neu findet und sich dabei trotzdem treu bleibt.

Doch meine Lieblingsbilder von Hockney sind seine Kalifornienbilder aus den Sechzigerjahren, jene leuchtenden Arbeiten mit ihrer Patina eines gewissen West-Coast-Glamours. „Lieblingsbilder“ trifft es eigentlich gar nicht. Ich liebe sie, mein Herz klopft schon schneller, wenn ich nur eine Reproduktion von ihnen sehe, und wenn ich wirklich vor ihnen stehe, möchte ich nicht mehr weg. Ich möchte ich sie am liebsten berühren, sanft mit der Hand über sie streichen und verspüre völlig irrationale Besitzansprüche.

David Hockney iPad Landschaft Normandie Würth
Blühende Landschaft: Detail aus Hockneys großem Werk „A Year in Normandie“ von 2020 bis 2021 in der Kunsthalle Würth. © David Hockney

Hockneys kalifornische Werkphase nahm im Sommer 1966 mit einem Lehrauftrag an der University of California in Los Angeles ihren Anfang – und mit einer der wichtigen Begegnungen seines Lebens. Hockney, als viertes von fünf Kindern in einer Arbeiterfamilie im nordenglischen Yorkshire aufgewachsen, war 29 Jahre alt, und obwohl er in seiner Heimat schon große Erfolge feierte, hatte er nach einem ersten längeren Aufenthalt in Los Angeles beschlossen, seinen Lebensmittelpunkt von London an die amerikanische Westküste zu verlegen. Als ein bildhübscher, modisch gekleideter junger Mann mit halblangem blondem Haar schüchtern den Seminarraum betrat, war diese Entscheidung besiegelt.

Die Begegnung mit Peter Schlesinger war mehr als ein glücklicher Zufall. Hockney sollte bald jeden Tag mit seinem neuen Bekannten, der im San Fernando Valley aufgewachsen war, verbringen. Unschuldig am Pool, redend und zeichnend oder bei Festen von Hockneys bekannten schwulen Freunden. Kurz bevor das Seminar endete, wurden sie ein Paar.

Die Liebesbeziehung mit Schlesinger sollte Hockneys Leben verändern und eine seiner produktivsten Werkphasen einläuten. In den fünf Jahren, in denen sie zusammen waren, und in der sich anschließenden Trauerphase, entstanden einige der ikonischen Kunstwerke des 20. Jahrhunderts: Hockneys berühmte Swimmingpoolbilder wie „A Bigger Splash“, seine aseptischen kalifornischen Kunstsammler- und sammlerinnenporträts wie „Beverly Hills Housewife“, für das Betty Freeman Modell stand, seine kühlen realistischen Doppelbilder, auf denen er die Beziehungen befreundeter Paare festhielt, etwas die von Christopher Isherwood und Don Bachardy. Schlesinger stand Hockney für zarte Zeichnungen, explizite Fotos und atmosphärische Gemälde wie „Portrait of an Artist“ Modell. In seinem Werk würde er für immer einen besonderen Platz einnehmen: Peter, wie er auf einen Swimmingpool schaut, in dem jemand unter Wasser schwimmt. Peter auf dem gemeinsamen Bett liegend, Peter, wie er aus dem Pool eines gemeinsamen Freundes klettert oder auf einem Hotelbalkon steht und in die Ferne blickt. Peter in Los Angeles und London, in Paris, Marrakesch und Rom, in Carennac, Vichy oder Le Nid de Duc. Peter angezogen. Peter nackt.

David Hockney Sunbather (Sonnenbadende
David Hockneys „Sunbather (Sonnenbadende)“ von 1966 ist eines der vielen Gemälde, die der Künstler von seinem Freund Peter Schlesinger schuf. © David Hockney / Museum Ludwig, Köln / Rheinisches Bildarchiv

Liebe und Sex sind nie reine Privatsache, und als Hockney und Schlesinger sich kennenlernten, waren sie es erst recht nicht. Die Entwicklungen der vergangenen Jahre können schnell in Vergessenheit geraten lassen, dass queere Menschen vor dem Gesetz noch vor relativ kurzer Zeit nicht nur als Bürger zweiter Klasse, sondern als Kriminelle galten. Obwohl man dem Thema in den höheren sozialen Schichten Großbritanniens häufig mit stillschweigender Offenheit begegnete, stand schwuler und lesbischer Sex noch bis 1967 selbst dann unter Strafe, wenn er in der Privatheit der eigenen vier Wände stattfand. Sogar im liberalen Kalifornien wurde queerer Sex erst im Jahr 1975 dekriminalisiert.

Hockney hatte seine Sexualität schon früh akzeptiert. Schon während seines Studiums am Londoner Royal College of Art, erschuf er so aufsehenerregende wie humorvolle Bilder wie das nach einem Walt-Whitman-Zitat benannte „We Two Boys Together Clinging“, das mit der Bildsprache von Dubuffet und Picasso spielend ein küssendes, schwules Paar zeigte. Sein Wunsch, nach Amerika zu ziehen, war unter anderem der Frustration entsprungen, dass es in London zu Beginn der Sechzigerjahre noch keine schwule Szene gab. In Los Angeles hingegen hatte sich nach dem Krieg eine körperbewusste, sexuell freizügige Subkultur entwickelt, eine der Geburtsstätten modernen schwulen Lebens. Er kannte diese Subkultur aus Magazinen wie Physique Pictorial, die die strikten Pornografieverbote der Zeit umgingen, indem sie sich als Sportzeitschriften ausgaben, und aus dem Roman „City of Night“ des mexikanisch-amerikanischen Schriftstellers John Rechy, einem Beststeller, der die schwule Subkultur und ihre Nachtgestalten in den wildesten Farben ausmalte. Hockney sehnte sich so sehr nach L.A., dass er dort hinzog, obwohl er noch nicht einmal einen Führerschein hatte, ohne den ein Leben in der Stadt eigentlich undenkbar war.

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