Vor neun Jahren wurde die ermäßigte Mehrwertsteuer für Galerien und den Kunsthandel abgeschafft, nun hat die Politik ein Comeback versprochen. Dies könnte dem hiesigen Kunstmarkt deutlichen Auftrieb geben
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19.06.2023
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 10/23
Die GroKo versprach in ihrem Koalitionsvertrag, sich für die Wiedereinführung „des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes bei gewerblich gehandelten Kunstgegenständen“ einzusetzen. Gegen Ende ihrer Amtszeit war ein erfreuliches Etappenziel erreicht. Denn am 6. April 2022 veröffentlichte der Europäische Rat eine Änderung der Mehrwertsteuer-Richtlinie, die den Weg bereitet, um dem Kunsthandel die Anwendung des reduzierten Satzes wieder zu ermöglichen (Richtlinie EU 2022 / 542 des Rates vom 5. April 2022 zur Änderung der Richtlinien 2006 / 112 / EG und EU 2020 / 285 in Bezug auf die Mehrwertsteuersätze). Diese Steilvorlage gilt es aufzugreifen, um einen von der EU selbst ausgelösten Fehler endlich zu beheben. Jetzt ist die Ampel-Regierung am Zug, das deutsche Steuerrecht entsprechend zu korrigieren.
Zur Vorgeschichte: Im Jahr 2014 wurde die ermäßigte Mehrwertsteuer im Kunstmarkt auf Betreiben der EU abgeschafft. Damit galt ein bewährter Grundsatz deutscher Kulturpolitik – nämlich den gesamten Kulturbetrieb mittels Steuerermäßigung staatlich indirekt zu fördern – plötzlich nicht mehr für Galerien und Kunsthandel. Bereits im Jahr 2006 hatte die EU-Kommission jene Mehrwertsteuer-Richtlinie erlassen, die einen Keil in die Kunstwelt trieb. Deutschland verhielt sich zunächst passiv, wurde jedoch durch die Androhung eines Vertragsverletzungsverfahrens durch die EU im Februar 2012 zum Handeln gezwungen. Die Regelung wurde in das Steuergesetz implementiert, seit 2014 gilt für den gewerblichen Kunstmarkt der volle Mehrwertsteuersatz: 19 Prozent.
Für bildende Künstler blieb die Ermäßigung von 7 Prozent hingegen erhalten. Galerien sind ihren Künstlern persönlich eng verbunden; in der Regel arbeiten sie auf Kommissionsbasis miteinander. Die steuerliche Ungleichbehandlung von Künstlern und ihren Vermarktern hatte zwangsläufig Folgen: Galerien gaben dutzendweise auf, Nachwuchs und Wachstum im Kunstmarkt stagnieren seither. Eine Studie des Bundeswirtschaftsministeriums über Neugründungen im Kulturbetrieb bestätigte dies noch Anfang dieses Jahres.
De jure war der Kunsthandel auch in den übrigen Mitgliedstaaten zur Anwendung des jeweils geltenden Regelsteuersatzes verpflichtet. De facto praktizierte jedoch fast jedes Land seinen eigenen Modus Vivendi: Österreich behielt die Ermäßigung stillschweigend bei; Frankreich ersann eine günstige Margensteuer und reduzierte die Einfuhrumsatzsteuer auf ein Minimum (5,5 Prozent); die Galerien der Benelux-Länder definierten sich als Agenturen und nutzten die EU-rechtlich nurmehr Künstlern vorbehaltene Steuerermäßigung einfach weiterhin.
All diese Verstöße wurden von der EU-Kommission nicht beanstandet und die genannten Länder drückten ebenfalls beide Augen zu. Folglich sind deutsche Galerien nicht nur einer Ungleichbehandlung ihren Künstlern gegenüber, sondern auch einer Wettbewerbsverzerrung innerhalb der Union ausgesetzt.
Jüngst trieb das Thema Mehrwertsteuer sonderbare Blüten. Zuerst in der Welt wurde das Missverständnis kolportiert, EU-weit drohten 20 Prozent Mehrwertsteuer auf Kunstgegenstände. Zum Mitschreiben: Die EU kann weder einen einheitlichen Regelsteuersatz, noch einen „Sondersteuersatz für Kunstgegenstände von 20 Prozent“ festlegen. Die EU verfügt in diesem Bereich nur, dass es zwei ermäßigte Steuersätze geben kann, die nicht unter 5 Prozent liegen dürfen und dass es einen Regelsatz geben muss, der mindestens 13 Prozent beträgt. Ganz entscheidend: Sie definiert, auf welche Güter und Leistungen die ermäßigten Mehrwertsteuersätze überhaupt angewendet werden dürfen. Alles andere ist Sache der Steuergesetzgebung der Mitgliedstaaten.
Seit über zehn Jahren macht der Bundesverband Deutscher Galerien und Kunsthändler auf die unterschiedlichen Besteuerungspraktiken aufmerksam und fordert Abhilfe von den hierdurch erlittenen Wettbewerbsnachteilen. Mit Erfolg – wie die jüngst erlassene Änderung der Mehrwertsteuer-Richtlinie beweist. Denn damit ist die entscheidende Grundlage für eine Wiederherstellung der Situation vor 2014 gegeben.
Zwischen A wie Arzneimittel bis Z wie Zierpflanzen findet sich im Anhang der neuen Richtlinie eine Palette an Gütern und Dienstleistungen – darunter vieles zur Eindämmung der Klimakrise –, für die künftig Steuerermäßigungen eingeführt werden können. Unter Position 26 wird hier die „Lieferung von Kunstgegenständen, Sammlungsstücken und Antiquitäten“ explizit genannt!
Das Tor ist also sperrangelweit geöffnet. Es liegt jetzt an den nationalen Gesetzgebern, die Steuerermäßigung für den Kunsthandel in ihren Ländern wieder einzuführen. In Deutschland ist dafür ein Zusammenwirken von Finanz- und Kulturpolitik vonnöten. Die Ampelregierung kann nun beweisen, dass sie es mit der „Stärkung der Kulturwirtschaft“ und der „Unterstützung freier Kulturorte wie Galerien“ – so steht es in ihrem Koalitionsvertrag – ernst meint. Es eilt! Die Frist zur Umsetzung ist der 1. Januar 2024.
Auch der Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler, der Deutsche Künstlerbund und der Deutscher Kulturrat haben sich vielfach mit dem Kernanliegen der Galerien solidarisiert. Es droht also keinerlei Gegenwind. By the way gilt es, Ressentiments gegen den Kunstmarkt auszuräumen, die mutmaßlich Ursache der alten, fatalen Steuer-Richtlinie gewesen sind.
Die Reduktion auf bloß ökonomische Aspekte wird dem Kunstmarkt nicht gerecht. Ähnlich wie ein Literaturverlag bieten Galerien ihren Künstlern eine professionelle Infrastruktur und Vermittlungspraxis. Mit ihrem Netzwerk, ihrer Expertise und ihren Investitionen leisten sie einen eminenten Beitrag zur kulturellen Entwicklung. Im Kunstmarkt sind wirtschaftliche Planung und kulturelle Wirkung untrennbar verschmolzen – eine Doppelnatur, aus der künstlerische Produktivität überhaupt erst entsteht.
Kunst ist Kulturgut – ganz gleich, ob sie von Urhebern oder Kunsthändlern veräußert wird. Die ermäßigte Mehrwertsteuer wurde sogar für digitale Medien eingeführt und der berühmte Berliner Berghain hat sie für seinen Ticketverkauf erstritten. Sollten digitale Massenmedien und Clubbesuche etwa „mehr Kultur“ sein als originäre Kunstwerke?
Der jüngste Bericht der Bundesregierung zur Kulturwirtschaft beziffert den Umsatz des Einzelhandels mit Kunstwerken im Jahr 2021 auf 767 Millionen Euro. Es handelt sich also um einen überschaubaren Markt und die zu erwartenden Mindereinnahmen im Staatshaushalt bei einer Wiedereinführung der Ermäßigung wären nicht allzu schmerzhaft. Zumal sich eine neue wirtschaftliche Dynamik entfalten würde – nicht zuletzt zur Freude des Fiskus.
Laut aktuellem UBS Art Market Report führen die USA, Großbritannien und China den Weltmarkt mit 45 Prozent, 18 Prozent und 17 Prozent an. Die EU-Staaten hingegen liegen abgeschlagen im einstelligen Minimalbereich. Das Comeback der Steuermäßigung in der Gemeinschaft wäre eine ebenso nötige wie optimale Maßnahme zur Wettbewerbsstärkung des Kunstmarkts gegenüber den internationalen Auktionshäusern und relevanten Drittstaaten.
Kulturstaatsministerin Claudia Roth ist dringend gefordert, gemeinsam mit dem Bundesfinanzminister Christian Lindner die nötige Initiative zu ergreifen.