Alles nur Deko

Wo Licht ist, ist auch Schatten

Nichts geht ohne richtige Beleuchtung – und die Bandbreite reicht vom gleißenden Deckenlicht bis zum Lämpchen über dem Bilderrahmen. Unsere Stilkolumne gibt Tipps für ein kunstvolles Heim. Folge 18: im rechten Licht

Von STELLA VON SENGER, SEBASTIAN HOFFMANN & CECIL VON RENNER
21.06.2023

Wo Schatten ist, muss auch irgendwo Licht sein, wir können uns also beruhigen. Denn es ist wohl in aller Welt üblich, in der Dunkelheit die Gefahr, das Ende oder das Abgründige zu sehen und im Licht das Gute, das Reine, die Hoffnung. Dass aber eben das eine nicht ohne das andere daherkommt, das musste von Yoda bis Gott noch jeder und jede erkennen.

In Nordeuropa findet der Umgang mit künstlichem Licht recht gestalterisch statt. Dort kann es oft gar nicht gemütlich genug sein. Der brennende Ofen, die flackernden Kerzen und die tief hängenden Esstischleuchten, die ihr Licht sanft auf das Abendbrot fallen lassen, erstrahlen in der wärmsten Farbtemperatur, die man aus einer runtergedimmten Kohlefadenlampe herausholen kann. Eingewickelt in die Kaschmirdecke mit einer übergroßen Tasse Chai-Tee in den Händen (Mehrzahl) nennt man das dann Hygge. Eine Kultur der Geborgenheit unter der Obhut einer möglichst geringen Kelvin-Zahl. 

Ganz anders sieht man das in Ländern mit heißerem Klima und prallerer Sonne. In Bangkok baumeln an den Essensständen auf den „Neon Night Markets“ die Leuchtstofflampen um die Wette, angeführt vom Leuchtstofflampenhändler. Und in Rom sind die von den Römern empfohlenen Bars gerade die, die in etwa so beleuchtet sind wie die Kosmetikabteilung bei Karstadt. Die Wahl der Farbtemperatur? Eiskalt 10.000 Kelvin. Das entspricht erstaunlicherweise dem Tageslicht der Sonne. Weshalb auch Orte, an denen die Leute wachgehalten werden sollen (Schulen, Büros, Wettbüros), bevorzugt so beleuchtet werden.

Wie die Kultur und das Klima den Umgang mit Licht beeinflussen, lässt sich also überall beobachten. Wir spekulieren: Vielleicht ist es die Sättigung an Sonnenstunden, die die Italienerinnen und Italiener, unbedacht unseres neidenden Blickes, ihre Fensterläden im Prinzip den ganzen Sommer geschlossen halten lässt. Vielleicht geben sie auch einfach an — seht her, wir können so viel draußen in der Sonne sitzen, wir sind ganz dankbar für ein bisschen Schatten. Wer mittags schläft, braucht Dunkelheit. Und weil man dann so ausgeschlafen ist, passt abends auch das grelle Licht beim Vino! Das würde auch erklären, weshalb ein sehr eleganter Mailänder Freund von uns seine sonst nahezu perfekt eingerichtete Wohnung stets in ihr gleißendes Deckenlicht taucht. Licht an, Raum hell. Da hilft auch nicht, dass sie aus Murano kommt, wenn sie nur als Fassung für die weißblauen Flutlicht-Birnen dient. Deckenlicht überhaupt. Es hilft beim Putzen. Es hilft beim Finden des Schlüssels, den man abends vor dem Ausgehen gerade noch irgendwo völlig unlogisch hingelegt hatte. Deckenlicht ist Dienstleistungslicht.

Wir lassen also gerne das Deckenlicht aus und verteilen sehr viele Tisch- und Standleuchten im Raum, sodass sich in manchen Ecken ganze Lampenstillleben ergeben. Nur muss man sie auch anmachen, wenn man nach Hause kommt, was für viele so schwer ist, wie den Stuhl im Schlafzimmer nicht als Garderobe zu verwenden und doch auf das Dienstleistungslicht zurückgreifen. Deshalb teilen wir jetzt hier den Trick für alle die faul, aber ambitioniert sind mit: Funksteckdosen mit Fernbedienung für 22,95 Euro bei Bauhaus. Technik, die begeistert.

Was die Art der Beleuchtung angeht, gibt es natürlich große Unterschiede: indirekt, diffus, strahlend, nach oben an die Decke gerichtet, nach unten oder auf ein Objekt, welches besondere Aufmerksamkeit auf sich ziehen soll (das wirkt zuhause allerdings schnell etwas gespreizt und wie in einem Museum). Wer zufällig im Testament der Stammkneipe steht und plötzlich eine Jagdmotivsammlung vererbt bekommt, kann diese eigentlich nicht ohne sich über jeden Rahmen einzeln neigende Bilder-Lämpchen hängen. Ein Klassiker, der aus einer Reihe eigentlich überflüssiger Bilder eine hübsche Lichtquelle macht.

Licht Schatten Albrecht Dürer
Ein Leben im schützenden Schatten des Vorhangs: Albrecht Dürers Feldhase von 1502 in der Wiener Albertina. © Fabian Nitschmann / Albertina, Wien

Künstlerinnen und Künstler, die mit Licht gearbeitet haben, gibt es natürlich viele — nicht zuletzt Gott, als er es Licht werden ließ. Wie hätte er sonst auch sehen sollen, was er da macht? Ob er wohl mit vielen verteilten Lichtquellen oder Dienstleistungslicht gearbeitet hat? Ohne Licht lässt sich auch das größte Kunstwerk nicht erkennen, und doch ist es das Licht, welches die zarte Papierarbeit ganz langsam verblassen lässt. Schade, aber poetisch schön, oder?

Licht und Schatten, Hell und Dunkel, Yin und Yang. Auch ein Raum hat eigentlich zwei Gesichter. Das des Tages, das naturgegebene, unverfälschte im natürlichen Licht, das ungeschminkte sozusagen. Und das der Nacht, das geschminkte, die Inszenierung. Die Wahl der Beleuchtung ist also wie die Wahl des Make-ups. So kommt abends heraus, was tagsüber nur darauf wartete. 

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