Alles nur Deko

Mehrgleisig fahren

Die Eisenbahnfahrt ist eine ökologisch verträgliche Art der Fortbewegung – und kann auch eine sehr stilvolle sein. Folge 19 unserer Kolumne „Alles nur Deko“ widmet sich den schönsten Zug-Interiors, vom ersten ICE bis zum British Pullman

Von STELLA VON SENGER, SEBASTIAN HOFFMANN & CECIL VON RENNER
05.07.2023

Flugscham oder Zugstolz? So lautet eine regelmäßige Frage aus dem erfolg- und folgenreichen ZEIT-Podcast „Alles gesagt?“ mit Jochen Wegner und Christoph Amend. Bei den Gästen der Sendung ist sie eine beliebte, weil leicht zu beantwortende Frage. Niemand überspringt sie, weil man eben entweder selbstbewusst Zug fährt (beziehungsweise es gerne tun würde) oder man fliegt und es wird einem spätestens in der Sekunde der Fragestellung klar, dass man sich dafür schämen muss (besser: sollte).

Doch kann man abseits ökologischer, technischer oder preislicher Gesichtspunkte nicht nur auf das Fahren, sondern auch auf die Züge selbst stolz sein? Wir wollen dieses Gefühl gerne „befördern“ und stellen eine Auswahl unserer Lieblingsinterieurs der Züge dieser Welt vor.

ICE/V

Der Inter City Express fing mal besonders schick und besonders schnell an. Das V steht für Versuch und ICE anfänglich, also eigentlich, für Inter City Experimental. Eine Art Prototyp. Der ICE/V wurde nur für Demonstrations- und Rekordfahrten (er hielt bis 1989 anderthalb Jahre lang den weltweiten Höchstwert von 407 km/h) benutzt, aber seine Nachfolger haben die Geschwindigkeit und diesen gewissen, im Interieur deutlich werdenden Schick nie ganz erreicht. Dieser war typisch bundesrepublikanisch. Fast wie im Bonner Bundestag, bevor Helmut Kohl für Berlin blaue Stühle wollte und der SPD-Abgeordnete und sonst so treffsichere Peter Conradi (er sprach sich als Erster für Christo und Jeanne-Claudes Reichstagsverhüllung aus) feststellte: „Graue Männer mit grauen Haaren in grauen Anzügen auf grauen Sesseln vor grauen Tischen auf grauem Teppich und rundherum graue Wände – wen packt da nicht das Grauen?“ Wir hätten lieber die Anzüge geändert, mehr Diversität unter den Parlamentariern gewählt und die Sitze im Bundestag und im ICE grau gelassen.

ICE Zug Interior
Kühles Grau im frühen ICE. © Deutsche Bahn

Elettrotreno FS ETR.300

Aus dem Land, das uns Gio Ponti und Giorgio Giugiaro geschenkt hat, Gelato und Gusto, kommt der „Settebello“ (Joker). Zwischen 1953 und 1992 fuhr er zwischen Rom und Mailand und Neapel, später sogar nach Venedig. Tatsächlich findet man Ponti und Gelato im Inneren — Gusto sowieso! Der nationalheilige Designer gestaltete mit Giulio Minoletti die Innenräume und verwendete eisdielenhafte Innen(!)markisen für den Kanzelwagen, mit denen der Zug einen zweiten Spitznamen erfuhr: Arlecchino. Und weil die Italiener für alles eine passende Stiftung haben, wird das letzte erhaltene Modell von der Fondazione FS Italiane restauriert. Wir sehen uns dann an Bord!

TEE Settebello
Italienisches Stilbewusstsein mit Innenmarkise: der „Settebello“. © wikimedia

Seven Stars in Kyūshū

Außen sieht der Seven Stars aus wie ein Erdwurm, innen ist er ein Himmel mit Aussicht. Fürs Gucken hat man jedenfalls genug Zeit. Die bummelante Fahrt über Kyūshū, die kleinste der japanischen Hauptinseln, dauert nämlich vier Tage. Dreißig Passagiere dürfen mitkommen, sich im Jupiter-Restaurant bekochen lassen und aber bitte vorher im handbemalten Waschbecken die Hände waschen. Und wiederum nur zwei können die Deluxe-Suite mit dem rückwärtigen Panoramafenster belegen. Es ist übrigens die Deluxe-Suite „A“. Bitte bei der Buchung angeben. Wobei „Buchung“ möglicherweise nicht ganz zutrifft, denn die Zuggesellschaft hat eine Lotterie eingerichtet. Zu viele wollen mit.

Seven Stars Kyushu Interior Zug
Mit dem Seven Stars durch Japan, malerische Aussicht garantiert. © wikimedia

TGV Duplex

Es war die erste lange Zugreise. Unvergessen. Schüleraustausch nach Paris, Frankreich. Wir sind TGV Duplex gefahren, und keiner wusste eigentlich warum; es war ein ziemliches Umgesteige, um schließlich in den Train à grande vitesse einzusteigen. Heute glauben wir, dass die sehr französische, aber eigentlich deutsche Französischlehrerin es so machen wollte, damit sie uns Neuntklässlern beim Einsteigen und im Vorbeigehen die erste Klasse zeigen konnte. Ganz in Rot – beide, die Lehrerin und die erste Klasse, die ihrer Meinung nach von Pierre Cardin gestaltet worden war. Was immerhin stimmt: Peter Greenaways Filmkomponist Michael Nyman schrieb dem Zug die treibende, sich selbst überholende „MGV (Musique à grande vitesse)“ auf den Leib.

TGV Interior Zug
Ein Traum in Rot: der französische TGV. © wikimedia

British Pullman

Wenn auf dieser kleinen Liste schon nicht der Orient Express auftaucht (es gibt inzwischen ohnehin zu viele davon), dann sei wenigstens Agatha Christie erwähnt. Die Schriftstellerin, gespielt von Vanessa Redgrave, fährt in dem Film „Agatha“ von 1979 im „Cygnus“, einem Wagon des heutigen British Pullman, der zur Belmond-Flotte gehört, die wiederum vom Luxuskonzern LVMH einverleibt wurde. Das erklärt, weshalb die sechs Züge, obwohl sie alle unterschiedlich aussehen, doch irgendwie alle gleich sind. Aber es gibt eben den „Cygnus“-Speisewagen, der so überbordend exzentrisch ist mit seinem Blattsilber an der Decke, seinen Mustern, Intarsien und Textilien, dass er aussieht, als hätte Wes Anderson ihn gestaltet. Hat er auch.

Belmond Wes Anderson British Pullman
So schön kann nur ein Film sein: British Pullman à la Wes Anderson. © Belmond

Bahn-Bonus: Der Metropolitan 

MET, Metropolitan Express Train. Überall Birnbaumholz, verarbeitet von den Deutschen Werkstätten Hellerau, an der Decke gewellter Stahl, hier eine Cocktailbar, dort ein Club-Bereich und sonst noch ein Humidor, störungsfreier Mobilfunk. Der Gewinner des deutschen Design-Oscars des Industrie Forums verdankte seine Armani-mäßige Eleganz der Gestaltung von gmp (Gerkan, Marg und Partner), die sonst den Flughafen Tegel, das Tempodrom, den Berliner Hauptbahnhof entwickelt haben. In diesem Zug wurde zwischen 1999 und 2004 zwischen Köln und Hamburg in gut drei Stunden also an nichts gespart. Leider war auch die Qualität des wirtschaftlichen Flops, den der Metropolitan hingelegt hat, groß. Die silberne Außenhülle wurde im ICE-Anstrich überlackiert, und fortan überraschte er nichts ahnende Passagiere zwischen Frankfurt und Berlin, die auch mit einer Zweite-Klasse-Fahrkarte in den Genuss eines Reiseerlebnisses kamen, der innenräumlich weit über jede erste Klasse hinausging. Inzwischen kann man, wie der Autor des Fotos uns verraten hat, den Metropolitan kaufen. Auf dem Gebrauchtzugportal der Deutschen Bahn. Wollen wir zusammenlegen?

Metropolitan ICE Zug Interior
Als die Deutsche Bahn Club-Atmosphäre versprühte: der Metropolitan. © Lukas von Rantzau

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