Clara Mosch

Aussicht auf Freiheit

Die Gruppe Clara Mosch gab es nur wenige Jahre. Aber was ihre Künstlerinnen und Künstler ab 1977 in Karl-Marx-Stadt bewegten, bleibt bis heute ästhetisch und politisch einzigartig

Von Christiane Meixner
14.08.2023
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 215

Was geht in diesen Köpfen vor? Drei Männer hängen nackt in einem Baum und amüsieren sich, die Stimmung scheint gut hier auf Rügen. „Baumbesteigung“ heißt das Spektakel von 1979, das als schwarz-weiße Fotografie bis heute gegenwärtig ist. Ein harmloser Zeitvertreib der Künstlergruppe Clara Mosch oder doch mehr? Darüber rätseln damals mehr als hundert Mitarbeiter der Staatssicherheit. Man berät auch, wie sich das Quintett – eigentlich sind es fünf, die die nicht nur Bäume enternde Clara Mosch bilden – zersetzen ließe. Mit einer Affäre vielleicht: Eine andere Frau könnte die Ehe von Dagmar Ranft-Schinke und Thomas Ranft sprengen. Oder man macht eines der Mitglieder hochoffiziell berühmt und schürt so Neid und Missgunst untereinander.

Das Interesse der Stasi ist nachvollziehbar. Mit der Gründung von Clara Mosch entsteht 1977 in Karl-Marx-Stadt etwas, das sich nur schwer einordnen lässt. Kontrollieren noch weniger, denn die Künstlerinnen und Künstler – neben dem Ehepaar Ranft auch Michael Morgner, Gregor-Torsten Schade und Carlfriedrich Claus – sind überaus umtriebig. Sie gründen eine Produzentengalerie im Stadtteil Adelsberg, stellen dort ihre eigenen Werke und die geschätzter Kollegen wie Max Uhlig, Wolfgang Petrovsky oder Gerhard Altenbourg aus. Und sie unternehmen immer wieder Ausflüge ins Erzgebirge, an die Ostsee oder auf die Feuersteinfelder, eine Landschaft voller Geröll auf Rügen.

Die sogenannten Pleinairs, Aktionen unter freiem Himmel in Anlehnung an die Rituale der französischen Impressionisten, sind anarchisch, kurzlebig und vordergründig ideologiefrei: Die Künstler klettern halt auf eine Platane. Das mag ästhetisch umwerfend aussehen und wird von Ralf-Rainer Wasse kongenial fotografiert, unterläuft aber doch kaum das System. Vielleicht nicht eindeutig, die Kritik allerdings ist inhärent. Denn die Platane wurde gestutzt, darf nicht wachsen, wie sie will. Über ihre Entwicklung bestimmen andere, und die Instrumente der Einhegung sind brutal.

Das Subversive ist ein Markenzeichen von Clara Mosch. Allein der Name: Den misstrauischen Funktionären vor Ort erzählen die Kunstschaffenden, es handle sich um die historische Figur einer Chemnitzer Kommunistin. Das Plakat zur Eröffnung der Räume zeigt einen monumental vergrößerten DDR-Pass, an die Stelle des Porträts setzen sie den verhüllten Kopf einer Steinskulptur. „Die Mosch haben wir eigentlich gegründet“, sagt Michael Morgner, „weil man sich immer mehr für uns und unsere Kunst interessierte. Wir hatten aber keine Lust auf Atelierbesuche, wollten in Ruhe arbeiten. Also planten wir unsere kleine Galerie, um dort auszustellen.“ Drei Tage vor der Eröffnung wird klar: „Wir dürfen’s nicht. Clara Mosch wurde verboten.“

Man droht ihnen mit Haft, wenn sie die Ansage ignorieren. Und schlägt ihnen gleichzeitig einen Kompromiss vor: „Wir sollten eine Galerie des Kulturbundes eröffnen, die Kleine Galerie des Kulturbundes Adelsberg“, erzählt Morgner. Bloß Clara Mosch darf der Ort nicht mehr heißen. Die bereits gedruckten Ausstellungskataloge zur Eröffnung müssen eingestampft werden.

Der Name aber hängt in der Luft. Er klingt verheißungsvoll und wird zur Frage ihrer Identität. Die Kommunistin war natürlich reine Erfindung. Tatsächlich fügt sich Clara Mosch aus den Nachnamen aller fünf Gruppenmitglieder zusammen: CLA = Claus, RA = Ranft, MO = Morgner und SCH = Schade. Diese listige Idee von Thomas Ranft einfach wieder zu versenken – unmöglich. So entsteht die avantgardistische Truppe fast von selbst. Das Programm entwickelt sich erst danach, als Ausdruck einer „Form des Andersseins“, die Ranft für sich und seine doch sehr unterschiedlichen Freunde reklamiert. Ranft ist ein grafisches Genie, Morgner ein passionierter Maler und Carlfriedrich Claus mit seinen delikaten Zeichnungen ein legendärer Eremit. „Es gab kein Manifest“, erklärt auch Michael Morgner. Bloß eine kreative Lust auf Freiräume und außerdem Sehnsüchte: „Wir waren die friedlichsten Menschen der Welt, wir wollten Spaß haben wie junge Künstler, und die sind mit Richtmikrofonen hinter uns hergerannt.“

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